Überzeugter Russland-Versteher

DKP in der Menschenkette (Foto: privat)
DKP in der Menschenkette (Foto: privat)

Am 1. September, dem Antikriegs- und Weltfriedenstag kam es in vielen Städten zu Kundgebungen der Friedensbewegung. In Berlin bildeten die Demonstranten eine Menschenkette mit Spruchbändern vom Brandenburger Tor bis zur Russischen Botschaft. Bei der Auftaktkundgebung sprach Andrej Reder, Diplomat der DDR:

„In Fragen von Frieden und gemeinsamer Sicherheit in der Welt bin ich ein überzeugter Russland- und Putin-Versteher“

Heute vor 82 Jahren überfiel die Wehrmacht Polen. Das faschistische Deutschland entfesselte den Zweiten Weltkrieg, die verheerendste Auseinandersetzung der Menschheitsgeschichte. Aber am 8. Mai 1945 wurden doch die Weltherrschaftsträume durch die Antihitler-Koalition zu Grabe getragen. Warum also so viel Aufsehen um ein Ereignis, das so lange zurückreicht? Dazu nur einige Anmerkungen zum Weiternachdenken.

Zum einen sind noch immer Überlebende unter uns, die die Greul dieses Weltbrandes seit Jahrzehnten mit sich tragen. Sie teilen das Erlebte ihren Angehörigen, Freunden und anderen Interessierten mit, damit sich so etwas nie wiederholt. Insbesondere all jenen, die das Wertvollste geopfert haben, nämlich ihr Leben, sind wir schuldig, heute alles zu tun, damit es keinen dritten und damit dann sicherlich letzten Weltkrieg mehr gibt.

Des Weiteren wollen wir hier und heute darauf aufmerksam machen, dass Kriege nicht gottgegeben sind, sie kommen auch nicht aus heiterem Himmel danieder, sondern sind Resultat menschlichen Ungeistes und menschlichen Tuns. Deshalb kommt es auch auf Menschen an, jenen in den Arm zu fallen, die an Rüstung, Kriegen und am Militär sich nicht genug satt stoßen können.

Nicht zu übersehen ist außerdem, dass der Kalte Krieg leider immer deutlicher auch auf die Bewertung historischer Ereignisse durchschlägt. Die Falsifizierung der wahren Hintergründe, die zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges führten, ist ein weiterer Grund, sich mit seiner Geschichte zu befassen, mit den treibenden Kräften und deren Zielen, aber auch warum es damals nicht gelang, den deutschen Faschismus und japanischen Militarismus zu bändigen.

Erinnert sei auch, dass kein geringerer als Präsident Biden am 27.Juli von der Möglichkeit eines „echten Krieges mit einer Großmacht als Folge ihres Cyberangriffs von großer Tragweite gegen die USA“ sprach. Man muss kein Politstratege sein, um zu begreifen, welche zwei Großmächte da gemeint sind und was ein „echter Krieg“ mit einer Großmacht bedeuten würde. Solche Wahnsinnsgedanken des Präsidenten der Supermacht, die bisher als einzige zweimal die Atomwaffe und in Vietnam mit „Agent Orange“ völkerrechtswidrig die Chemiewaffen im Krieg einsetzte, müssen ernst genommen werden. Zumal US-Militärs soeben Militärspiele eines Weltkrieges unter der Bezeichnung Large Scale Exercise abgeschlossen haben. Diese Kriegsübung sollte eine Drohung gegenüber Russland und China sein. Die Kriegsdebatte in den USA geht davon aus, dass China angeblich in den nächsten sechs Jahren Taiwan überfallen wird, deshalb müsse man sich jetzt auf einen Krieg vorbereiten.

Zwar sind wir bislang von einem Krieg zwischen Großmächten verschont, aber Gewaltanwendung und grausame kriegerische Auseinandersetzungen sind allgegenwärtig. Auch Deutschland beteiligt sich daran, um angeblich unsere Sicherheit im indopazifischen Raum, im Baltikum, im Nahen Osten oder anderswo verteidigen zu müssen. Auch regionale Kriege lehnen wir ab!

Seit Ende des Zweiten Weltkrieges leben hierzulande glücklicherweise mehrere Generationen von Menschen ohne Kriegserlebnisse. Für sie ist Krieg etwas Abstraktes und Frieden scheinbar eine Selbstverständigkeit. Deshalb sei gerade heute an die mahnenden Worte Willi Brandts erinnert: „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles andere nichts.“ Es ist höchste Zeit, dass die künftige Bundesregierung diese Erkenntnis endlich beherzigt! Stattdessen plakatieren Christdemokraten großflächig und demagogisch „Sicherheit ist, wenn ich nicht mehr nachdenken muss was Sicherheit ist.“ Sie blenden dabei bewusst aus, dass ihre jahrelange Politik Unsicherheit mitbefördert und wir uns mehr denn je über Sicherheit Gedanken machen müssen.

Als der Zweite Weltkrieg begann, war ich keine drei Jahre jung, als der Raub- und Vernichtungskrieg auf sowjetischem Territorium tobte, habe ich, wenn auch nur im Hinterland kasachischer Steppen schon vernommen, was Krieg bedeutet. Seinen schlimmsten Feinden wünschte man keinen Krieg, sondern Frieden. Und wenn ein Volk keinen Krieg will, dann sind das die Russen, was immer Russenhasser ihnen andichten.

Denn versetzen wir uns für einen Moment in das folgende Szenario:

  • dass die Vereinigten Staaten von Amerika einen Eroberungs- und Vernichtungskrieg erlebt hätten wie ihn Polen und die Sowjetunion durchleiden mussten;
  • dass die USA heute von Hunderten russischen Militärstützpunkten eingekreist und isoliert worden wären und nicht Russland von US-amerikanischen;
  • dass nicht die NATO-Militärallianz in den vergangenen zwei Jahrzehnten in mehreren Wellen mit weiteren Staaten an die russischen Westgrenzen herangerückt ist, sondern Russland an die Grenzen der USA. Und, dass z.B. nicht Polen und die baltischen Republiken der NATO beigetreten wären, sondern Kuba und Mexiko einer Sicherheitspartnerschaft mit Russland;
  • dass nicht die USA Russland ganz offen zum Gegner und Feind erklärten, sondern Russland das gegenüber den USA kundgetan hätte;
  • dass nicht der US-Präsident seinen russischen Amtskollegen Putin als Mörder titulieren würde, sondern der Präsident Russlands Biden als Mörder bezeichnet hätte;
  • dass nicht die USA ein Vielfaches des russischen Militärbudgets verschwenden würden, sondern umgekehrt Russland das täte;
  • dass nicht die USA fünf Milliarden US-Dollar in einen Staatsstreich gegen den rechtmäßig gewählten Präsidenten der Ukraine investiert hätten, sondern Russland für einen Putsch gegen einen ihr unliebsamen Präsidenten in Mexiko;
  • dass nicht die NATO seit Jahren Kriegsmanöver an Russlands Grenzen abhielte, sondern Russland an den Grenzen der USA;
  • dass nicht die USA immer neue Standorte wie Polen und Rumänien in unmittelbarer Nähe der russischen Grenzen für ihr Raketensystem ausbauten, sondern Russland vergleichbare Systeme im Süden Kanadas oder auf den Bahamas;
  • dass nicht die USA in den vergangenen drei Jahrzehnten verheerende Kriege weltweit angezettelt und zahlreiche Staatsstreiche inszeniert, System- bzw. Regimewechsel herbeigeführt hätten, sondern Russland so agieren würde;
  • dass nicht die NATO auf dem europäischen Kontinent Truppen samt modernster Militärausrüstung und Atomwaffen dislozieren würde, sondern Russland auf dem amerikanischen Kontinent. Und dass nicht die USA zu den seit 1945 in Europa stationierten Truppen unlängst zusätzlich 28 000 Soldaten mit Ausrüstung an den Grenzen Russlands stationiert hätten, sondern Russland auf dem amerikanischen Kontinent dies täte.

Würden sich die USA bei einem solchen Szenario tatenlos verhalten? Ganz bestimmt nicht. Sie würden zu Recht alles unternehmen, um ihre nationale Sicherheit und staatliche Souveränität zu gewährleisten. Und genau das tut Russland. Deshalb bekenne ich ohne Herzbeklemmungen, dass ich in Fragen von Frieden und gemeinsamer Sicherheit in der Welt überzeugter Russland- und Putin-Versteher bin.

Nicht zuletzt sei hier die Frage gestattet, ob die Regierenden Polens angesichts dieses Szenarios, der Vorkriegs- und verheerenden Kriegserfahrungen des polnischen Volkes mit ihrem NATO-Beitritt sowie ihrer russlandfeindlichen Politik, die richtigen Konsequenzen aus der leidvollen Geschichte gezogen haben.

Wenn sich die NATO-Staaten, Polen und Deutschland inbegriffen, tatsächlich gefährdet sehen, dann wäre es doch dringend angesagt, in Verhandlungen die vermeintlichen Gefahren zu entschärfen und letztlich zu überwinden. Stattdessen wird immer mehr für sinnlose Kriegszwecke zur Abschreckung des vermeintlichen Gegners verpulvert. Wenn man wirklich Frieden will, sollte man statt in gegenseitige Abschreckung in gegenseitiges Vertrauen investieren, statt in Aufrüstung in Abrüstung. Der längste und kostspieligste NATO-Krieg in Afghanistan hat gerade offenbart, dass man mit Krieg keinen Frieden, keine Demokratie oder Freiheit herbeibomben kann. Krieg war, ist und bleibt die schlimmste Menschenrechtsverletzung.

Der 1. September 1939, der Weltfriedenstag 2021 mahnen eindringlich: Nie wieder Krieg von deutschem Boden, kein Krieg nirgendwo, abrüsten statt aufrüsten!

Quelle: UZ – Unsere Zeit – Überzeugter Russland-Versteher