DGB Baden-Württemberg: Die von staatlichem Unrecht Betroffenen erwarten Entschädigung

Opfer der Berufsverbote protestieren in Berlin. Foto: Werner Siebler
Opfer der Berufsverbote protestieren in Berlin. Foto: Werner Siebler

Die wissenschaftliche Aufarbeitung des Radikalenerlasses (in Baden-Württemberg „Schiess-Erlass“ genannt) ist abgeschlossen. Die an der Universität Heidelberg erstellte umfangreiche Untersuchung des in Baden-Württemberg „Schiess-Erlass“ genannten Extremistenbeschlusses erscheint dieser Tage als Buch. Das Wissenschaftsministerium hatte die Untersuchung in Auftrag gegeben. In Baden-Württemberg wurde der Beschluss unter der Federführung des damalligen Innenministers Karl Schiess (CDU) besonders häufig und besonders streng exekutiert.

Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass die überwiegende Zahl vom Schiess-Erlass Betroffenen zu Unrecht vom öffentichen Dienst ausgeschlossen worden ist. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Baden-Württemberg und seine Mitgliedsgewerkschaften ver.di und GEW dringen darauf, dass dieses vom Staat begangene Unrecht endlich anerkannt wird und die Betroffenen rehabilitiert und entsprechend entschädigt werden. Sie haben sich deshalb direkt an Ministerpräsident Winfried Kretschmann gewandt. In dem Schreiben heißt es:

„Die aufgrund des Extremistenbeschlusses in Baden-Württemberg verhängten Berufsverbote sind ein Unrecht, das nicht mehr gut zu machen ist. Die betroffenen Kolleginnen und Kollegen erwarten, dass das Unrecht zumindest anerkannt wird, dass sie vollständig rehabilitiert werden und dass das Land zu einer materiellen Entschädigung bereit ist. Wir fordern Sie daher auf, in dieser Angelegenheit aktiv zu werden.“

Der Regierungschef hat sich bisher nicht bei den betroffenen Kolleginnen und Kollegen entschuldigt und sei Zögern mit der noch ausstehenden unabhängigen Aufarbeitung begründet.

Kai Burmeister, Vorsitzender DGB Baden-Württemberg: „Vom Postboten über die Putzfrau bis zum Referendar: Anwärter*innen und Stelleninhaber*innen im öffentlichen Dienst sind massenhaft bestraft worden für angebliches Fehlverhalten, häufig auf der Basis von Unterstellungen. Er hat Lebensentwürfe von jungen Menschen zerstört und ihnen regelrecht den Boden unter den Füßen weggezogen. Die Landesregierung ist aufgefordert, dieses Unrecht als solches anzuerkennen. Die Zeit des Abwartens ist vorbei. Jetzt muss eine Entschuldigung und eine materielle Entschädigung kommen.“

Martin Gross, Landesbezirksleiter ver.di Baden-Württemberg: „Im Januar hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann eine persönliche Entschuldigung bei Betroffenen nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen. Seit Mai liegt die umfassende Studie vor, die das Leid der Berufsverbote amtlich beglaubigt aufarbeitet. Herr Kretschmann, entschuldigen Sie sich jetzt im Namen des Landes Baden-Württemberg bei den Betroffenen. Geben Sie allen die Chance, dieses traurige Kapitel endlich zu schließen. Und lassen Sie uns gemeinsam, gerade mit denen, die die existenziellen Folgen der Berufsverbote am eigenen Leib erleben mussten, die richtigen Lehren für die Zukunft ziehen. Wann, wenn nicht jetzt!“

Monika Stein, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), hat zuletzt im Mai 2022 mit dem GEW-Mitglied Winfried Kretschmann über das Thema gesprochen. „Wir erleben gerade, wie in Ländern wie Russland Berufsverbote massenhaft eingesetzt werden, um Kritiker*innen mundtot zu machen. Auch vor diesem Hintergrund wäre eine schnelle Entschuldigung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei den Betroffenen in Baden-Württemberg ein wichtiges Signal. Berufsverbote waren noch nie ein Mittel, um Extremismus zu bekämpfen. Es zeichnet funktionierende Demokratien aus, wenn sie nicht nur darauf verzichten, sondern auch in der Lage sind, Fehler der Vergangenheit einzugestehen.“

Für den DGB Baden-Württemberg und seine Mitgliedsgewerkschaften sind eine demokratische Grundhaltung und die Anerkennung des Grundgesetzes eine unabdingbare Voraussetzung für die Beschäftigung im öffentlichen Dienst. Dies hat ein entsprechender Beschluss auf der 22. ordentlichen Bezirkskonferenz im Januar 2022 nochmals verdeutlicht. Gleichzeitig ist klar, dass ein Ausschluss aus dem öffentlichen Dienst ein massiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte jedes Einzelnen ist. Für diese weitreichende Maßnahme braucht es klare Regeln und Verfahren. Jeder Fall muss auf der Basis von Fakten entschieden werden. Pauschale Anhaltspunkte, Verdachtsmomente und Unterstellungen dürfen in diesen sensiblen Angelegenheiten nie wieder zum Maßstab werden.

 

Der DGB Baden-Württemberg lädt am 06. Juli zu einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Wenn der Dienst verboten wird – Berufsverbote gestern, heute und morgen“ ein. Die Veranstaltung beginnt um 17:30 Uhr. Sie findet im Willi-Bleicher-Haus in Stuttgart statt.

Weitere Information und Anmeldung zur Veranstaltung finden Sie hier.

Den Brief an Ministerpräsident Kretschmannn finden Sie hier.

 

Quelle: DGB Baden-Württemberg