Kolonialnostalgie verfängt nicht

Angesichts der anhaltenden Proteste gegen ein Auslieferungsgesetz in der chinesischen Metropole Hongkong wird dieser Tage an die Rückgabe der britischen Kronkolonie vor 22 Jahren erinnert. Dabei wird meist noch nicht einmal erwähnt, wie es zur Kolonialherrschaft über die heute 7,5 Millionen Einwohner zählende Sonderverwaltungszone im Mündungsgebiet des Perlflusses kam.

Im März 1839 begann der erste Opiumkrieg, als ein Sonderkommissar Kaiser Daoguangs in der heute Guangzhou heißenden Hafenstadt Kanton begann, das Verbot des Opiumhandels gegen europäische Händler – allen voran die britische »East India Company« – sowie korrupte chinesische Beamte durchzusetzen. Im Juni wurde das beschlagnahmte Rauschgift verbrannt und die Asche über dem Meer verstreut. Daraufhin landete im August ein britisches Expeditionskorps in Hongkong. Im Juni 1840 riegelten britische Kriegsschiffe die Mündungen des Perlflusses und des Jangtse ab, dann wurden weitere Städte besetzt und 1842 auch Shanghai und Nanjing erobert.

Anders als diese chinesischen Metropolen wurde Hongkong erst am 1. Juli 1997 an die Volksrepublik zurückgegeben. Da hatten die unter Deng Xiaoping begonnenen Reform- und Öffnungsmaßnahmen bereits seit fast zwei Jahrzehnten gewirkt – positiv und negativ. Um die seit der Ausrufung der Volksrepublik am 1. Oktober 1949 verhängte Totalblockade der USA und der mit ihnen verbündeten imperialistischen Mächte zu durchbrechen, und der Wirtschaft Zugang zu Technologien und Kapital aus der industrialisierten Welt zu verschaffen, sah sich die Kommunistische Partei zu Zugeständnissen gezwungen.

Dazu gehörte, daß die Rückgabe unter dem Prinzip »Ein Land, zwei Systeme« erfolgte. Noch bis zum Jahr 2047 behält Hongkong einen Sonderstatus innerhalb der Volksrepublik. Wegen eines unabhängigen Justizsystems können mutmaßliche Straftäter nicht an die Behörden des Mutterlands ausgeliefert werden – eine weltweit einmalige Regelung und darüber hinaus ein Relikt des Kolonialismus.

Auch die von Washington, Tokio und London finanzierte Oppositionsbewegung in Hongkong, die im Sinne ihrer Geld- und Auftraggeber die maximale Konfrontation mit Peking suchen soll, kann nur als Überbleibsel der Kolonialherrschaft bezeichnet werden. Das wurde in der Nacht zu Dienstag deutlich, als das Parlamentsgebäude von gewalttätigen Demonstranten gestürmt, der Plenarsaal verunstaltet und die Flagge der Kolonialisten am Podium befestigt wurde.

Deutlicher kann man nicht demonstrieren, wo man tatsächlich hin will – bzw. hin zurück will. Nachdem die Hongkong 1997 zugedachte Schaufensterfunktion auf dem chinesischen Festland überhaupt nicht verfangen hat, versucht die prowestliche Opposition offenbar nun, wenigstens Hongkong zu halten, indem die Stadt für unabhängig erklärt wird.

Doch auch diese imperialistische Hoffnung wird sich wohl zerschlagen: Längst haben die Städte an Chinas Ostküste der einstigen Handelsdrehscheibe Hongkong den Rang abgelaufen; Börsen und Freihäfen gibt es längst auch in Shanghai und anderswo. Ohne eine enge Anbindung an die gesamtchinesische Wirtschaft hat die Stadt ökonomisch keine Chance.

Für eine Unabhängigkeit Hongkongs gibt es schon deshalb keinen Spielraum. Die Radikalisierung der prowestlichen Opposition kann das nicht ändern – schon gar nicht mit einer Kolonialnostalgie, die nicht nur von Festlandchinesen als zutiefst beleidigend und abstoßend empfunden wird.

Oliver Wagner

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek