„Die wahre Kritik steckt im Herzen eines Volks, das nicht aufgibt“

Am 28. Mai veranstaltet die marxistische Tageszeitung junge Welt eine Konferenz mit dem Titel „Hände Weg von Venezuela – Solidarität mit den progressiven Kräften Lateinamerikas“. Neben deutschen linken Gruppen und Parteien beteiligen sich auch migrantische Solidaritätsgruppen an der Konferenz. re:volt-Redakteur Jan Schwab sprach mit dem lateinamerikanischen Bündnis Bloque Latinoamericano, das die Konferenz unterstützt.

Jan [re:volt]: Hallo liebe Genoss*innen von Bloque Latinoamericano. Könntet ihr uns etwas zu eurer Arbeit erzählen? Wer seid ihr und was macht ihr schwerpunktmäßig?

Bloque Latinoamericano: Wir sind ein Zusammenschluss von linken lateinamerikanischen Kollektiven und Einzelpersonen in Berlin und bundesweit. Der Bloque Latinoamericano entstand vor einem halben Jahr als Antwort auf den Vormarsch der Faschist*innen in Lateinamerika und die Geschehnisse in Chemnitz. Auf keinen Fall konnten wir danach weiter unorganisiert bleiben. Weder als Latinos/as in der Diaspora, noch als Migrant*innen in Deutschland.

Eines unserer Ziele ist, die lateinamerikanischen Kämpfe in Berlin zu vereinen, um die Kämpfe unserer Völker auf dem lateinamerikanischen Kontinent zu unterstützen. Ein anderes ist die Stärkung linker migrantischer Politik in Deutschland. Dahinter stehen für uns die Kämpfe um Würde und Demokratie, antikoloniale, feministische und antikapitalistische Kämpfe. Wir beteiligten uns in den letzten Monaten an zahlreichen Demonstrationen und Protesten gegen den Neo-Faschismus in Deutschland, die Regierung Bolsonaro in Brasilien und Moreno in Ecuador, gegen die imperialistische Intervention in Venezuela, oder für die Befreiung politischer Gefangener auf unserem Kontinent. Im April unterstützten wir eine Initiative kolumbianischer Organisationen in Europa und zogen vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, um eine Anklage gegen die systematische Ermordung von Aktivist*innen in Kolumbien anzustrengen. Wir unterstützen darüber hinaus Gedenkveranstaltungen an unsere Genoss*innen, die ihr Leben im Kampf verloren haben, wie z.B. Marielle Franco in Brasilien und Berta Cáceres in Honduras. Am 8. März beteiligten sich die Frauen* des Bloque Latinoamericano an einem internationalistischen Protestmarsch in Berlin-Lichtenberg zusammen mit anderen migrantischen Frauen*kollektiven. Wir machen auch Solidaritätsarbeit mit dem kurdischen Befreiungskampf und unseren palästinensischen Genoss*innen, da wir verstanden haben, dass es sich in beiden Fällen um eine fundamental wichtige Arbeit in Deutschland handelt. Intern schaffen wir Räume für gemeinsame Diskussionen und Analysen und entwickeln unsere regionale Arbeit mit der lateinamerikanischen Community in Berlin.

Jan [re:volt]: Seit Ende der 90er Jahre kamen in Lateinamerika immer mehr linke Regierungen an die Macht. Parallel dazu gab es immer wieder starke soziale Bewegungsproteste – vonNi una menos (Nicht eine weniger) in Argentinien, überNo+AFP in Chile oder die Proteste für den Frieden in Kolumbien. Wo liegen eure Bezüge in der lateinamerikanischen Linken?

Bloque Latinoamericano: Die Kämpfe der Lateinamerikaner*innen sind so vielfältig wie die aus einem historisch kolonisierten, ausgeplünderten und sich in permanentem Widerstand befindenden Kontinent hervorgegangenen Identitäten. Wir sprechen von Geschichten der Kämpfe im Plural, weil die Wege der Lateinamerikaner*innen im Ringen um ihre Befreiung schon immer vielfältig waren und unter unseren „Völkern“ ebenfalls eine Vielfalt an Kulturen, Sprachen und Weltanschauungen existieren. Die daraus entstehenden politischen Perspektiven gehen weit über den westlichen Bezugsrahmen hinaus. Und es ist genau diese Vielfalt und kollektive Erinnerung, die es uns verbietet, unsere Geschichte der Kämpfe auf die sogenannten „Linksregierungen“ der vergangenen Jahrzehnte zu reduzieren. Vor allem dann, wenn wir bedenken, dass jede einzelne Errungenschaft, alle Fortschritte in puncto sozialer Gerechtigkeit, Siege unserer Kämpfe waren – Kämpfe die uns Leben gekostet haben. Wir begleiten also als Bloque Latinoamericano die emanzipatorischen Ausdrücke unseres Kontinents. Wenn die Linksregierungen zu ihrer Zeit mit der Idee der Emanzipation, die eben nicht nur die letzten 10 oder 20 Jahre, sondern 500 Jahre zurückreicht, in Einklang standen oder stehen, dann werden wir ihre Politiken hier sichtbar machen. Wenn aber die Regierungen, auch die Linksregierungen, nach der Pfeife neoliberaler Interessen tanzen und Politiken gegen die Arbeiter*innenklasse lancieren, wenn sie unsere Ländereien und natürlichen Ressourcen an die multinationalen Konzerne verschachern, dann werden wir da sein und Widerstand leisten.

Jan [re:volt]: In der deutschsprachigen Diskussion finden sich ja häufig sehr kritische Haltungen zu den lateinamerikanischen Linksregierungen. Wo seht ihr die Erfolge und die Fehler der lateinamerikanischen Linksregierungen und sozialen Bewegungen?

Bloque Latinoamericano: Wir glauben, dass es in der europäischen Linken eine sehr paternalistische Haltung gegenüber Lateinamerika gibt. Dieser Stempel der „alten und neuen Welt“ haftet auch den Analysen der Linken hierzulande an. Die Kritik aus der Ferne läuft immer Gefahr in der Analyse Leerstellen zu hinterlassen und zu verflachen. Die Geschichten unserer Völker, in der auch die Regierungen eine Rolle spielen, sind komplex und widersprüchlich. Wir im Bloque Latinoamericano haben verschiedene Positionen in Hinblick auf die sogenannten Linksregierungen unseres Kontinents. Allerdings stellt dieser Aspekt auch nicht den Hauptpunkt unserer Debatte, oder unserer Praxis dar. Im Gegenteil. Die gegebene Komplexität zwingt und verpflichtet uns, mit Bescheidenheit den Berichten von mobilisierten Völkern zuzuhören. Was häufig passiert ist, dass die Linke, auch die lateinamerikanische, den Fehler begeht, nur das zu „unterstützen“, was aus ihrer Position heraus am „genehmsten“ erscheint: dogmatisch abgeleitet aus ihrem theoretischen Verständnis, was sie bereits „kennt“. Im Umkehrschluss verfällt sie in eine „Kritik“, die mit der Zurückweisung von allem einhergeht, was sie selbst nicht zu verstehen vermag. Nehmen wir als Beispiel die internationalistische Unterstützung der Zapatistas in Mexiko von Europa aus, im Gegensatz zu den „vorsichtigen“ linken Positionierungen zu Venezuela. Wir müssen auch darauf hinweisen, dass eine sogenannte Linksregierung nicht notwendigerweise sozialistisch bzw. links ist. Die Linksregierungen Lateinamerikas bauen auf einer Entwicklungsökonomie auf, die das Leben der Völker bedroht und die Natur als unendliche Ressource zur Akkumulation von Kapital begreift. Eine Perspektive, die nicht mit dem Kapitalismus als System bricht. Andererseits waren und sind diese Regierungen weder homogen noch statisch. Sie wandelten sich mit der Zeit und das aufgrund der linken Bewegungen in der Region. Das ist etwa der Fall, wenn wir uns Hugo Chávez’ ansehen. Hier konnte man beobachten, wie sein Diskurs sich wandelte, wie er sich radikalisierte und als Führer einer popularen Bewegung konsolidierte, die historisch, wie heute eine sozialistische Revolution fordert. Chávez machte sich auf Forderung des venezolanischen Volks und des Kontinents hin zum Anführer der bolivarischen Revolution. Aber in vielen Kapiteln unserer Geschichte wissen die Führungen nicht, wie sie auf den Pfad, den die Volksbewegung einschlägt, antworten sollen – auf eine Bewegung, die mit einer Machtstruktur kollidiert, die nicht bereit ist, ihre Privilegien zu verlieren. Fehler gibt es viele. Aber wichtiger als diese Fehler zu sehen, ist es, die Hoffnungen zu hinterfragen, die wir als soziale Bewegungen in diese Regierungen gesteckt haben und wie wir in vielen Fällen in Klientelpolitik gefangen geraten sind, die uns letztendlich demobilisiert hat. Es ist wichtig, klar zu haben, was wir aus dieser Erfahrung gelernt haben, und unseren Kampf fortzusetzen.

Jan [re:volt]: Venezuela war ja nun eines der am weitesten links stehenden Modelle, z.B. was Verstaatlichungen und Partizipation anbelangt. Seht ihr da einen grundlegenden Unterschied in der Politik von Hugo Chávez zu NicolásMaduro, oder hat letzterer schlicht Pech gehabt, dass die Krise des Wirtschaftsmodells in seine Amtszeit fiel?

Bloque Latinoamericano: Wir können uns erinnern, dass Chávez als ein Kandidat der Massen antrat, der eine Alternative zum neoliberalen Ausverkauf bot und mit dem sogenannten Punto Fijo-Abkommen brechen wollte. Dieser Pakt war unter zwei rechten Parteien geschlossen worden, die Venezuela für mehr als 40 Jahre regierten. Regierungen, die die reiche und ausbeuterische Klasse und ihren Erdölschatz schützten. Sie bildeten Streitkräfte und Städte nach Vorbild des begehrten US-amerikanischen und europäischen Lebensstils. Es genügt, sich eine Stadt wie Caracas anzusehen, um zu verstehen, wie bis heute eine immense Spaltung zwischen dem Venezuela des Reichtums und der Verschwendung und dem Venezuela der Armut und des Hungers das Land durchzieht. Die Rechtsregierungen, die eine Politik des antikommunistischen Terrors betrieben, verursachten Massaker und ließen Menschen verschwinden, in sogenannten „demokratischen Zeiten“. Es sind die gleichen Parteien, die sich heute als „neue Parteien“ und als „Alternative für ein neues Venezuela“ verkaufen wollen. Die Machtübernahme durch Chávez bedeutete einen Aufbruch, wie er niemals zuvor vom venezolanischen Volk erlebt wurde. Und sie stellt etwas dar, was schwierig durch politische Theorien zu erklären ist, weil es viel mit Würde und dem Gefühl der Zugehörigkeit zu tun hat, mit einem individuellen wie kollektiven Prozess, der es ab den Sozialpolitiken der chavistischen Regierung schaffte, tiefgreifende Veränderungen in dieser so ungleichen Gesellschaft Venezuelas Ende der 90er zu bewirken. Millionen von Venezolaner*innen erhielten Zugang zu einer Gesundheitsversorgung und kostenloser sekundärer, wie universitärer Bildung. Darüber hinaus schuf man Orte der demokratischen Partizipation, wie die riesigen Asambleas (Versammlungen) im gesamten Land, vor allem in den historisch marginalisierten Regionen, auf dem Land und in den Kommunen der Indigenen, um eine neue Verfassung zu diskutieren und zu schaffen. Genauso wie die Etablierung der Kommunalräte als Orte der direkten Partizipation durch das Volk oder die Arbeiter*innen-Räte der Fabriken und Firmen, die verstaatlicht wurden, die in den ersten Momenten tatsächlich aber von den Arbeiter*innen selbst verwaltet wurden. Der Aufbau „einer neuen Gesellschaft“ stellte und stellt immer noch die Hoffnung nicht nur für das venezolanische Volk dar, sondern für die ganze Region.

Dennoch gibt es im Zuge dieses Aufbaus zwei entscheidende Faktoren, die zur Abkehr vom Weg führen, der im Aufbau des Sozialismus gerade erst eingeschlagen wurde. Zunächst der Verlust von Einflussräumen für die heimatlose und entfremdete bürgerliche Klasse, die immer versuchte, wieder zurück in die politische Machtposition zu gelangen, es mittels Wahlen aber nicht schaffte. Weil sie keine populare Unterstützung genoss, griff sie zurück auf die Zusammenarbeit mit dem US-Imperialismus, auf die Gründung gewalttätiger, destabilisierender Gruppen, auf Maßnahmen des ökonomischen Drucks, politische Verfolgung von kommunalen Anführer*innen und Bäuer*innen und die Prägung des internationalen Mediendiskurses von einem vermeintlichen Failed State. Auf gewaltvollen Protesten dieser „demokratischen Opposition“ wurden in den letzten Jahren Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt, weil sie „wie Chavez-Anhänger aussahen“- Es ist mehr als offensichtlich, dass die so genannte venezolanische Opposition keinen demokratischen Weg zur Lösung des Konflikts sucht, für den sie selbst mit verantwortlich ist.

Auf der anderen Seite begann der bolivarische, durch Chavez angestoßene Prozess, der durch Kräfte des organisierten Volkes begleitet wurde, unter den Massen jedoch an Rückhalt zu verlieren. Die Gründe dafür waren, dass er nie den Staat beseitigte, der „das Volk vertreten“ wollte, sich immer weiter von den Interessen der Mehrheit entfernte und dafür partikularen Interessen annäherte. Mit den Regierungen Chávez und Maduro entstand eine neue politische Klasse, die sich in der politischen Macht einnistete und begann, die Räume der popularen Partizipation einzuschränken, sie sogar kriminalisierte, ebenso wie die Kritik aus den Reihen des Chavismus selbst. Womöglich trat der Prozess des Zerfalls erst nach dem Tod von Chávez deutlicher hervor. Tatsächlich bedient sowohl die rechte Opposition, wie auch die Regierung, missbräuchlich eines manichäischen und verkürzten Diskurses des „Bist du nicht mit mir, bist du gegen mich“. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass dieses Spiel seine Grenzen hat. Früher oder später wird das Volk anfangen sich zurück zu holen, was ihm genommen wurde. Es wird die Notwendigkeit sehen, sich in einer politischen Identität zusammen zu finden, die es ihm erlaubt, einen bislang noch unklaren Weg zu beschreiten. Ein weiteres Element ist, dass es sich bei der venezolanischen Gesellschaft um eine patriarchale, katholische Gesellschaft handelt, deren Geschichtserzählung voll mit großen Helden und Schurken ist, die in Maduro aber keinen empathischen Führer finden konnte – anders als in Chávez, der den Archetypen des schützenden Vaters und Erlösers repräsentierte. Die venezolanische Krise ist nicht nur eine ökonomische, sondern eine tiefgehende moralische Krise. Eine Krise, von der wir glauben, dass sie die Perspektive der kontinentalen Befreiung schwer getroffen hat.

Jan [re:volt]: In der deutschsprachigen Linken wird sich in Bezug zu Venezuela ja sehr ambivalent positioniert. Die Mehrheit spricht sich gegen den Putsch aus, entsolidarisiert sich aber zugleich mit der Regierung Maduro. Ein Teil der Linken hierzulande spricht, wie die westlichen Medien von einem „autoritären Regime“. Was haltet ihr von solchen Positionen?

Bloque Latinoamericano: Venezuela, wie früher auch Kuba, ist eines der bevorzugten Ziele der Diffamierung durch die transnationalen Medien. Es handelt sich dabei um ein Kriegswerkzeug, das eine militärische Intervention, den Raubzug auf die Ressourcen des Landes und die Einmischung anderer Regierung in die souveränen Entscheidungen des venezolanischen Volks rechtfertigen soll. Diese Medien sagen uns, über welche Länder „wir besorgt sein sollten“ und über welche nicht, wann wir ein im Fernsehen übertragenes Massaker akzeptieren sollen, wer die Terrorist*innen sind und wer nicht, welches Regime autoritär ist und welches nicht. Deshalb bekümmert Venezuela derzeit die gesamte Welt, da es dort angeblich ein sehr schlimmes autoritäres „Regime“ gäbe, welches die Menschenrechte attackiere. Und kann es dann nicht sein, dass vereinzelte, verfälschte Informationen sich am Ende in „Analysen“ verwandeln, inklusive jene der globalen Linken? Das ist unserer Ansicht nach etwas wirklich Besorgniserregendes, weil jene, die am lautesten die Fahne der „Menschenrechte“ in Venezuela schwenken, die gleichen Parteien sind, die 40 Jahre lang das Gesetz zur Ausrottung des Kommunismus angewandt haben. Und das, während jene, die am meisten betroffen waren von den Widersprüchen der Macht, die Anführer*innen der Bauernverbände, die Arbeiter*innen und die chavistischen Kommunen sind, die sich mutig gegen die Korruption, die Nachlässigkeit und den Klientelismus eingesetzt haben. So wie die Krise alle unterschiedlich hart getroffen hat, trifft auch nicht jede „Kritik“ ins Schwarze. Bei Staatsstreichen, dem Aufbau und der Finanzierung bewaffneter Gruppen mit faschistischen Praktiken, der Einforderung einer Militärintervention, einer Politik der Bestrafung und des Aushungerns eines Volks durch ein Embargo, kann man nicht von „Kritik“ sprechen. Wirkliche „Kritik“ ist die interessante Debatte, die die venezolanische Gesellschaft führt, die von ihr entwickelten Mechanismen des Überlebens und der Solidarität, die mit einem tiefen antiimperialistischen Gefühl einhergeht. Aber das ist etwas, was die Medien nicht bringen und was die große Mehrheit der deutschen, wie internationalen Linken, deren Informationsquellen die gleichen Meiden sind, nicht hört. Das soll nicht heißen, dass wir verneinen, dass Venezuela eine schwere Krise durchläuft. Das Land bleibt weiterhin und auf lange Sicht abhängig von der Ausbeutung des Rohöls und dem Verkauf seiner natürlichen Ressourcen. Ein Problem, das eine schwere Umweltkrise hervorgebracht hat. Es handelt sich um ein Land, das es weder geschafft hat, seine Ländereien produktiv zu machen, noch die Politik der Landzurückgewinnung weiterzuführen oder wirkliche Arbeiter*innenkontrolle über die Produktion zu erwirken. Die wahre Kritik steckt im Herzen eines Volks, das nicht aufgibt, das glaubte, der Moment der Gerechtigkeit und des Aufbaus des Sozialismus sei gekommen und trotzdem weiter in einer äußerst prekären Situation für das Leben, die Autonomie und die Befreiung kämpft.

Die Mehrheit der deutschen Linken positioniert sich leider überhaupt nicht, noch äußert sie sich zur Situation in Venezuela. Hierzulande tappen wir wieder in die Polarisierungs-Falle, d.h. die Realität nur in zwei Polen zu sehen. Wir glauben, dass die deutsche Linke, ebenso wie jede andere Linke, sich häufig nicht traut, zuzuhören und über den eigenen Tellerrand zu schauen, die ihr theoretischer Bezugsrahmen darstellt. Es ist kein Widerspruch gegen den Staatsstreich der USA mit Guaidó zu sein und die Regierung von Maduro nicht zu unterstützen. Maduro nicht zu unterstützen, heißt auch nicht automatisch, den wachsenden Faschismus auf dem lateinamerikanischen Kontinent zu unterstützen. Das Problem fängt da an, wo man die lebendigen Kräfte nicht kennt, die sich vor Ort organisieren und mobilisieren, sondern eine Position beansprucht, die auf verzerrten Informationen beruht.

Wir erwarten von einer deutschen Linken, dass sie eine klare Position gegen die freche Einmischung der deutschen Regierung in Venezuela und dem gesamten Kontinent einnimmt, d.h. ihr neokoloniales Machtspiel, ihre Unterstützung der Aushungerungspolitik gegen Venezuela oder ihre Unterstützung für Guaidó und die Lima-Gruppe. Darin unterscheidet sie sich nicht von den anderen imperialistischen Mächten, die sich die Kuchenstücke auf Kosten der Souveränität eines Volkes untereinander aufteilen. Wir würden hier gerne mehr wirkliche Kritiken an den kolonialen Politiken der „Europäischen Demokratie“ sehen. Für uns ist der Kampf kein abstraktes Konzept von Stellungnahmen aus der Distanz, über Dinge die uns nicht berühren oder weh tun. Wir reden hier über das Leben von Millionen von Menschen, wir reden von der Enthauptung einer ganzen Gesellschaft. Die Debatte ist notwendig, aber nur unter der Bedingung der internationalen Solidarität, der internationalistischen und revolutionären Verpflichtung, die einen Krieg, der vor den Toren unseres Kontinents steht, sichtbar machen und hoffentlich auch verhindern kann.

Jan [re:volt]: Ihr mobilisiert auch zu dem Kongress „Hände Weg von Venezuela – Solidarität mit den progressiven Kräften Lateinamerikas“. Warum unterstützt ihr die Initiative der Tageszeitung junge Welt?

Bloque Latinoamericano: Zwischen dem 28. und 29. Mai hat der deutsche Außenminister Heiko Maas zur Konferenz der „Lateinamerika-Karibik Initiative“ ins Auswärtige Amt geladen. Es kommen zahlreiche Außenminister*innen aus Lateinamerika und der Karibik, um sich unter die geopolitische Strategie des deutschen Imperialismus unterzuordnen. Das Verhalten der Merkel-Regierung hat bereits hinreichend ihre Unterstützung für die Intervention in Venezuela gezeigt. Sie war eine der Ersten, die Guaidó die Unterstützung zusagte, als dieser sich selbst Ende Januar zum Interims-Präsidenten Venezuelas ernannte. Während seines Besuchs vor einigen Wochen, kokettierte Maas mit den faschistischen Regierungen Kolumbiens und Brasiliens und traf sich mit den Vertreter*innen des versuchten Putsches in Bogotá. Als Thema ist Venezuela in der deutschen Gesellschaft und Linken derart marginalisiert, dass es wichtig ist, die existierenden Initiativen zu unterstützen und eine vereinte Front gegen Krieg und deutschen, wie US-Imperialismus zu bilden, die gleichermaßen unseren Kontinent bedrohen. Wir hoffen, dass die Konferenz „Hände weg von Venezuela – Solidarität mit den progressiven Kräften Lateinamerikas“ die progressiven Kräfte in Berlin zusammenschweißt und unseren Widerstand hier im Herzen der Bestie stärkt. Wir hoffen euch dort zu sehen!

Quelle:

re:volt magazine

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