Böse Videospiele

Immer, wenn es zu einem schlimmen Verbrechen kommt, wie etwa dem Anschlag im deutschen Halle, liegen die Umfragewert-Nerven führender Regierungspolitiker quasi blank. Da muß dann schnell ein Sündenbock her. Mehrfach bewährt hat sich als solcher in den vergangenen Jahren die sogenannte »Gamer-Szene«. Ein allumfassender Begriff mit kriminellem Touch, der all jene in einen Topf des Terrorismus wirft, die sich in ihrer Freizeit oder darüber hinaus mit Online-Spielen beschäftigen.

Nun hat der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) eine gute Gelegenheit gehabt, das Thema Überwachungsausbau in Form der Vorratsdatenspeicherung wieder einmal auf den Tisch zu knallen. Wofür Terroranschläge doch so alles gut sein können. Wer sich noch an das »CDU-Zerstörungsvideo« des YouTubers »Rezo« erinnert, merkt schnell: Viel von dem, was dieser den Altparteien vorgeworfen hatte, scheinen sich die Politiker aus der Zielgruppe nicht zu Herzen genommen zu haben. Ein reflexartiger Rundumschlag gegen die Videospiel-Szene ist eine ziemliche Bankrotterklärung.

Natürlich gibt es in den Online-Foren verschiedenster Spiele immer wieder rechtsradikale Diskussionsbeiträge und entsprechende Chaträume, doch läßt sich erstens an einem Ego-Shooter kaum ein terroristischer Akt im echten Leben trainieren und zum zweiten umfaßt die »Gamer-Szene« auch die Jugendlichen, die mit ihren Freunden über das Internet etwa Minecraft oder Fortnite daddeln. Selbst, wenn man ausschließlich die Spieler von Shootern, im Volksmund »Ballerspiele« genannt, heranzieht, sind Kausalitäten zwischen dem Spielen dieser Titel und gewalttätigem Auftreten oder derartigem Ansinnen nur selten nachweisbar. Selbst erklärte Pazifisten erfreuen sich zuweilen an Echtzeit-Strategiespielen.

Das gehört eben auch zur Welt der Videospiele: Das Hineinschlüpfen in unendlich viele Rollen, wie Rennfahrer, Block-Häuslebauer, Fußballspieler oder eben auch Kämpfer. Der Eindruck entsteht bei diesem Reflex der Politik, daß man es nicht wahrhaben will oder kann, daß es sich um einen rechtsradikalen Terroranschlag handelt. Es scheint so, als wurden, insbesondere konservative Politiker, nach Ausflüchten suchen. Stichwort: Hitler hatte auch eine schwere Kindheit. Im Übrigen wirbt auf diversen Videospiel-Messen auch die deutsche Armee mit dem »Beruf« Soldat als eine Art tollem Actiongame im »real life« um eine junge bis sehr junge Zielgruppe und die Armee ist es auch, die solchen Freaks, wie dem von Halle dann auch das Schießen beibringt.

Wie genau hätten die Instrumente der Datenvorratsspeicherung diese Tat verhindern können, wenn niemand etwas im Vorfeld mitbekommen hat? Insbesondere, wo die zuständigen deutschen Behörden in den vergangenen Jahren genauso kaputt gespart wurden, wie etwa die Ausstiegsprogramme für Rechtsradikale oder Auffang-Programme für schwierige Jugendliche? Einfacher ist es deshalb immer, einen Sündenbock zu haben, der einem komplizierte Arbeit erspart und die Umfragewerte in die Höhe schnellen läßt. Die Ursachenfindung dieser Regierungspolitiker ist manchmal so putzig wie eine Partie »Rainbow Islands«.

Der absichtlich herbeigeführte Lkw-Unfall in Limburg, so wurde mittlerweile bestätigt, war kein terroristischer Akt. Dennoch wurde er absichtlich herbeigeführt. Man weiß aber noch nicht, ob der Mann, der den Lkw zu diesem Zwecke mißbrauchte, sich zuvor beim
Euro-Truck-Simulator radikalisiert hatte.

Christoph Kühnemund

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek