Eng Sprooch, déi een net versteet

Radioaktive Strahlung ist unsichtbar, man kann sie weder hören oder riechen, noch schmecken oder fühlen. Sie ist so unfaßbar wie die Zeit, die sie überdauert: Das Isotop Plutonium-239 zum Beispiel, das in vielen Kernreaktoren produziert wird, strahlt mehr als 24.000 Jahre, bis es den Punkt erreicht, an dem die Hälfte seiner Atomkerne zerfallen ist. Plutonium-242 hat sogar eine Halbwertszeit von 375.000 Jahren und der radioaktive Zerfallsprozeß von Jod-129 dauert bis zur Halbwertzeit unfaßbare 16 Millionen Jahre.

Alle drei Stoffe dürften im belgischen Atommüll enthalten sein, den die dortige »Nationale Einrichtung für Radioaktive Abfälle und angereicherte Spaltmaterialien« (ONDRAF bzw. NIRAS) entweder in einer geologischen Schicht, die durch Luxemburg verläuft, oder nicht weiter als 90 Kilometer von unserer Grenze entfernt »endlagern« – also für mindestens 100.000 Jahre unterirdisch einlagern – will.
Alle drei Stoffe schädigen Mensch und Tier, und sollte bei einem Unfall Radioaktivität ins Grundwasser gelangen, wäre das, gelinde ausgedrückt, eine Katastrophe für alles, was in Luxemburg lebt.

Neben Eiszeiten, Erdbeben und Vulkanausbrüchen gibt es beim Versuch, die künftigen Generationen mindestens 100.000 Jahre lang vor unseren radioaktiven Altlasten zu schützen, einen weiteren großen Unsicherheitsfaktor: den Menschen. Denn damit nicht irgendwann an der Stelle eines heutigen »Endlagers« nach Erdöl oder anderen Bodenschätzen gebohrt oder gegraben wird, muß das Wissen um die Atommülldeponie unbedingt erhalten bleiben.

Wie das überhaupt möglich sein soll, ist aber noch völlig unklar. Auf bewachte Anlagen, Warnschilder und schriftliche Aufzeichnungen kann man sich nicht verlassen. Denn wer versteht in ferner Zukunft noch antike Sicherheitsvorschriften?
Das wird klar, wenn man in die Vergangenheit blickt: Vor 100.000 Jahren machte sich Homo sapiens von Afrika aus auf Richtung Norden und Osten. Dann dauerte es volle 90.000 Jahre, bis der Mensch in der Jungsteinzeit allmählich anfing, vom Jäger und Sammler zum seßhaften Bauern zu werden. Die Anfänge der ersten Hochkultur des Menschen, die von den Sumerern im südlichen Mesopotamien errichtet wurde, liegen weniger als 6.000 Jahre zurück. Vor rund 5.000 Jahren bauten die Ägypter ihre erste Pyramide, Stonehenge wurde vor 4.800 Jahren errichtet.

Vor allem aber ist die Halbwertszeit der Sprache im Vergleich zu der des radioaktiven Abfalls sehr kurz: Zwischen den Jahren 1030 und 1050 unserer Zeitrechnung wurde das für Laien heute kaum noch zu entziffernde Evangeliar von Echternach geschaffen. Das Werk der ottonischen Buchmalerei ist also noch keine 1.000 Jahre alt. Die ältesten schriftlichen Zeugnisse der Menschheit, keine 5.000 Jahre alt, sind allein Experten verständlich. Binnen 8.000 Jahren, schätzen Fachleute, tauscht sich der Wortschatz einer Sprache komplett aus.

Auch der persische König Dareios der Große ließ vor ungefähr 2.500 Jahren Inschriften in Stein hauen, um sein Grabmal vor räuberischen Eindringlingen zu schützen. Er verfluchte sie sicherheitshalber in drei verschiedenen Dialekten, damit jeder die Warnung verstehe. Wind und Wetter löschten jedoch viele der Inschriften bald aus. Und auch die verbliebenen Warnungen hatten keinen Effekt mehr – wohl auch, weil die Eindringlinge sie schlicht nicht lesen konnten.

Oliver Wagner

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek