Der Feind steht im Osten

Es gibt kaum eine Woche, in der die Europäische Union sich nicht darum bemüht, den Nachweis zu bringen, daß sie nicht würdig ist, Trägerin des Friedensnobelpreises zu sein. Der Montag dieser Woche, an dem sich die Außenminister der EU in Luxemburg trafen, ist ein neuer Höhepunkt dieser zutiefst blamabeln Geschichte.

Die Ministerinnen und Minister für Auswärtige Angelegenheiten, die sich anmaßen, mit ihrer obskuren Vereinigung ein exklusives Recht zu haben, der Welt ihre Meinung aufzuzwingen, haben es wieder einmal geschafft, der Diplomatie einen weiteren Tritt ins Abseits zu versetzen, indem sie Sanktionen und Drohungen als Mittel der Politik einsetzen.

Die deutsche EU-Führungsmacht konnte sich endlich durchsetzen und neue Sanktionen gegen Rußland verhängen lassen. Damit es nicht ganz so deutsch aussieht, hatte sich Außenminister-Darsteller Heiko Maas zuvor den französischen Verbündeten an Bord geholt und dafür gesorgt, daß bereits vor der Zusammenkunft auch die Vertreter der baltischen Staaten und einiger anderer EU-Länder in das alte Lied »Die Russen sind schuld« mit einstimmten. Als Begründung dient der an den Haaren herbeigezogene Vorwurf, die russische Regierung habe auf den Lieblingsdissidenten des Westens einen hinterhältigen Anschlag mit einem extrem tödlichen Nervengift verübt.

Als »Beweis« liegt weiterhin nichts anderes vor als die Aussage eines geheim tätigen Labors der deutschen Bundeswehr, daß es »zweifelsfrei« das Nervengift »Nowitschok« war, an dem Herr Nawalny erkrankte. Da »Nowitschok« eine Entwicklung der Sowjetunion war, muß man nicht extra beweisen, daß diese Bosheit nur von Moskau ausgegangen sein kann. Daß so ziemlich alle westlichen Geheimdienste und Armeen schon seit Jahrzehnten im Besitz des Gifts und der Formel sind, tut dabei nichts zur Sache. Auch nicht, daß nur Nawalny, nicht jedoch seine Begleiter von dem angeblichen Giftanschlag betroffen waren, oder die Frage, warum das so äußerst tödliche Gift gar nicht tödlich war. Und schon gar nicht die Frage nach einem Motiv, die jeder Polizeischüler im ersten Lehrjahr zu stellen lernt.

Auch der belarussische Präsident Lukaschenko muß nun mit Sanktionen rechnen. Die wurden ihm angedroht für den Fall, daß… – ja wie denn nun? Die EU fordert von ihm, mit einem Gremium zu verhandeln, mit dem es nichts zu verhandeln gibt, denn es hat die Maximalforderung, nämlich die »Machtübergabe« bereits in seinem Namen festgelegt. Verhandeln ist normalerweise das Bemühen, Kompromisse zu finden. Bei einem Ultimatum gibt es aber keinen Kompromiß!

Daß in einer solchen Situation mehrere EU-Staaten ihre Botschafter aus Minsk abberufen und Botschaftspersonal abziehen, ist kein Zeichen für Gesprächsbereitschaft, sondern eher dafür, die Anerkennung einer möglichen »Exilregierung« vorzubereiten. Zur Begleitung werden dann noch Nachrichten produziert, die einen »Volksaufstand« suggerieren sollen, mit Bildern, die angeblich »von Bürgern in Minsk« ins Internet gestellt wurden, obwohl die Deutsche Presseagentur am selben Tag meldete, das Internet sei »abgeschaltet worden«.

Welcher Druck auf Zypern ausgeübt wurde, das angekündigte Veto zurückzunehmen, bleibt vorläufig unklar. Klar ist nur, daß die Türkei, die just am selben Montag ihre illegale Suche nach Erdgas im Mittelmeer fortsetzte, wieder einmal unbehelligt bleibt. Sultan Erdogan wird schließlich noch gebraucht, und der Feind steht, wie immer, im Osten.

Uli Brockmeyer

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek