Das ewige Märchen vom länger Arbeiten müssen

Als in der letzten Woche Vertreter des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Luxemburg weilten, konnte man sich eigentlich schon denken, was auf jeden Fall zu den »Reform«-Forderungen gehören würde. Die Vorahnung wurde dann auch nicht enttäuscht: Neben Forderungen nach Absenkung von Löhnen und Sozialleistungen soll in den Augen des IWF auch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit her.

Der immer wieder herbeigezerrte demographische Wandel wackelt bedrohlich wie eine Keule über unseren Köpfen, die, wenn Lebensarbeitszeit nicht erhöht werde, gnadenlos auf uns hernieder fahre, während die Frage nach der Entwicklung der Produktivität und der Verteilung des erarbeiteten Wohlstandes traditionell sehr kurz kommt.

Wir werden immer älter, also müssen wir auch länger arbeiten. Klingt logisch? Muß es aber nicht. Auch die 40-Stundenwoche wird selten attackiert. Sie ist eben da und Arbeitszeitverkürzung wird im Kopf immer mit Lohneinbuße zusammengebracht. Deswegen leisten entsprechende Kampagnen der Gewerkschaften an dieser Stelle wichtige Aufklärung.

Noch vor dem ersten Weltkrieg schufteten die Menschen täglich über zwölf Stunden und erkämpften sich mit ihren Gewerkschaften eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Heute peitscht uns der Konsum an, immer mehr zu arbeiten für einen bescheidenen Wohlstand und allerhand Konsumgüter. Auf der anderen Seite wächst das Heer der Arbeitslosen als Folge des sinkenden Arbeitskräftebedarfs, viele Jugendliche kommen von der Schule direkt in die Arbeitslosigkeit, und immer mehr Menschen können sich auch einen noch so bescheidenen Wohlstand nicht mehr leisten. Da erscheint es geradezu grotesk, nun zu versuchen, Ältere immer länger im Arbeitsleben zu halten.

Der wachsende Druck auf Lohnabhängige, länger und flexibler verfügbar sein zu müssen und die immer komplexere Verbindung zwischen Arbeitsleben und Familie fördert Abnutzungs-Krankheiten, die wiederum Kosten für alle verursachen, dabei würde eine drastische Verkürzung der Lebens- und Wochenarbeitszeit den Menschen ein gesünderes Leben, vor allem mehr Zeit zum Leben bieten und andererseits massiv Arbeitsplätze schaffen. Hinzu kommt, daß in nur wenigen Jahren ein etwaiger negativer Effekt auf die Profite der Industrie vollkommen verpufft wäre. Abgesehen davon, daß das Gejammer um hohe Lohnkosten dieser Tage erneut vom OGBL als Unsinn entlarvt wurde.

Ein unabhängiges britisches Institut hatte sich bereits vor einigen Jahren dieses Themas angenommen und erklärt, daß eine 21-Stunden-Arbeitswoche vollkommen ausreichend sei. Diese scheinbar radikale Idee begründe mit einer Umverteilung der vorhandenen Arbeit auf die vorhandenen Arbeitskräfte. Umweltzerstörung, soziale Ungerechtigkeit und Überarbeitung sollen auf diese Weise abnehmen.

In der bestehenden Gesellschaftsform allerdings besteht kaum eine Chance auf Veränderung der vorherrschenden Verhältnisse. Einige Wirtschaftsköpfe träumen schon von einer Rente mit über 75 Jahren und noch höherer Wochenarbeitszeit. Die Masse der Arbeitslosen und chancenlosen Schulabgänger steht daneben und wird als Spaltpilz eingesetzt, um die Schuftenden ruhig zu halten.

Es ist also die Frage nach sinnvoller Arbeit, die mit dem Familienleben in Einklang gebracht werden kann und der Gemeinschaft dient oder Arbeitshetze bis zum Lebensende, deren Früchte sich das Patronat in die Taschen steckt.

Christoph Kühnemund

 

Aus: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek