Die Kraft der Solidarität

Kaum haben die Beschäftigten der Pflegeeinrichtung »An de Wisen« damit begonnen, sich mit einem Streik gegen den skandalösen Vertragsbruch ihrer Direktion zu wehren, werden sie auch schon kübelweise mit Dreck beworfen.

Dafür her gibt sich das Bistumsblatt »für Wahrheit und Recht«, das den Direktor der Pflegeeinrichtung, die dem börsennotierten französischen Konzern Sodexo gehört, ganz unkommentiert verbreiten lässt, »der OGBL will den Streit auf dem Rücken unserer Bewohner ausüben, obwohl sie zu den Schwächsten unserer Gesellschaft gehören und sich nicht mehr verteidigen können. Deshalb streiken die meisten nicht«. Geht es noch ekelhafter?

Zu dem Streik muss man wissen, dass die Direktionen von fünf Pflegeeinrichtungen sich weigerten, den Beschäftigten, die aus historischen Gründen noch unter den Kollektivvertrag im Krankenhausbereich fallen, die Laufbahnen und die Löhne aufzuwerten, wie das im vergangenen Oktober vertraglich geregelt wurde. Gleichzeitig kassieren die Pflegeheime aber seitens der Pflegeversicherung die Gelder für die Mehrausgaben, die ihnen durch die Anpassung der Laufbahnen und Löhne entstehen. Geht es noch hinterhältiger?

Dass nicht alle Beschäftigten streiken (düften), hat damit zu tun, dass ein Teil von ihnen unter dem SAS-Kollektivvertrag arbeitet, nicht von der Schlichtungsprozedur betroffen war und nicht an der Urabstimmung der vergangenen Tage teilnehmen durfte. Das zeigt auch, dass das Streikrecht, das nicht in der Verfassung verankert ist, kompliziert und eingeschränkt ist. Genau das war die Absicht der Regierung und der Abgeordnetenkammer und stieß seinerzeit auf die Zustimmung der »Sozialpartner«, behindert aber die Lohnabhängigen bei der Durchsetzung ihrer Interessen und trägt dazu bei, dass die Unternehmer oft am längeren Hebel sitzen.

Um ihre Forderungen durchzusetzen, oder auch nur zu erreichen, dass die in Kollektivverträgen ausgehandelten oder im Arbeitsrecht festgehaltenen Rechte auch in der Praxis gelten, haben die Lohnabhängigen nur eine Waffe – und das ist die Kraft der Solidarität. Wenn alle an einem Strang ziehen, sich nicht einschüchtern oder erpressen lassen und nicht den Mut verlieren, können sie sich durchsetzen. Um das zu erreichen, kann ein Streik ein wichtiges gewerkschaftliches Mittel sein, wenn Verhandlungen scheitern und das Patronat nicht zu den geringsten Zugeständnissen bereit ist. Der Gewerkschaft und dem Patronat gleichermaßen ein »Beharren auf festgefahrenen Positionen« vorzuwerfen, wie das diese Woche im »Tageblatt« geschah, ist nicht sehr hilfreich.

Die Entscheidung, in den verschiedenen Pflegeeinrichtungen zu streiken, war nicht nur richtig, sondern notwendig, denn wie anders sollen die Beschäftigten zu ihrem Recht kommen, das ihnen laut Gesetz zusteht? Und wieso schweigt die Regierung, wenn Unternehmen öffentliche Gelder, die sie bekommen, um die Aufbesserung der Laufbahnen und Löhne zu finanzieren, den Beschäftigten vorenthalten und zweckentfremden?

Ali Ruckert

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek