Geschichte schreiben

Üblicherweise sind Olympische Spiele in erster Linie dazu da, die tiefen Taschen jener zu füllen, die Hotelketten besitzen, Massenmedien ihr Eigen nennen, Sportbekleidung und -schuhe zusammennähen, Sportgeräte herstellen oder Großprojekte errichten lassen. Den Ausrichterstädten bleiben neben überdimensionierten und oft ausgedienten Arenen, sogenannten Weißen Elefanten, vor allem Schulden, die wiederum regelmäßig jahre-, wenn nicht jahrzehntelange, Kürzungen städtischer Sozialprogramme nach sich ziehen.

Doch manchmal wird das unablässige Schwenken von Nationalfahnen und Medaillenzählen durch fortschrittliche, zukunftsweisende Gesten der Solidarität unterbrochen.

Wie bei den Spielen 1968 in Mexiko-Stadt, als Tommie Smith und John Carlos, Olympiasieger und Bronzemedaillengewinner über 200 Meter, sich während der Siegerehrung verneigten und die Faust zum Gruß der Black-Power-Bewegung nach oben streckten.

Zwar wurden Tommie Smith und John Carlos noch am selben Tag aus dem Nationalen Olympischen Komitee der USA ausgeschlossen und aufgefordert, das Olympische Dorf zu verlassen, ihr symbolischer Akt aber brachte Millionen junge Afroamerikaner dazu, sich gegen den institutionalisierten Rassismus, Polizeigewalt und Überausbeutung in den USA zur Wehr zu setzen.

Weil sich die Beteiligung lateinamerikanischer, afrikanischer und Sportler aus der Karibik bei Olympischen Winterspielen in Grenzen hält, und weil sie meist in abgelegenen Nobelskigebieten stattfinden, wird im Winter äußerst selten fortschrittliche Olympiageschichte geschrieben.

Bei den Winterspielen im südkoreanischen Pyeongchang, die am morgigen Freitag feierlich eröffnet werden, wird das – soviel ist bereits abzusehen – anders sein: Zum ersten Mal wird das Gastgeberland ein Frauen-Eishockey-Team gemeinsam mit dem Norden antreten lassen. Darauf einigten sich Vertreter beider ostasiatischen Länder im Januar bei Gesprächen im Grenzort Panmunjom in der sogenannten entmilitarisierten Zone und am Sitz des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Lausanne, Schweiz. Dort sprach IOC-Präsident Thomas Bach zutreffend von einem »Meilenstein« in der Olympiageschichte.

In der Tat machten die Gespräche den Weg frei für den ersten gemeinsamen sportlichen Auftritt der beiden Staaten auf olympischer Bühne. 1948 bei den Winterspielen in St. Moritz und im Sommer in London hatte es zwar schon ein »Team Korea« gegeben, doch dazu gehörten damals nur Athleten aus dem Süden der Halbinsel.

Bei der Eröffnungsfeier am Freitag und bei der Schlußfeier am 25. Februar wollen beide Delegationen unter dem Namen Korea und gemeinsam hinter der »Vereinigungsflagge«, die die koreanische Halbinsel in Blau vor weißem Hintergrund zeigt, ins Olympiastadion von Pyeongchang einlaufen. »Das wird nicht nur für Korea ein emotionaler Moment, sondern für die ganze Welt«, erwartet nicht nur IOC-Boß Bach.

Insgesamt will der Norden zu Olympia und den Paralympics im Anschluß mehr als 500 Sportler, Trainer, Betreuer, Funktionäre und Journalisten entsenden. Zuletzt war Nordkorea 2010 in Vancouver mit Athleten bei Winterspielen vertreten. Insgesamt gewannen sie bei acht Teilnahmen nur zwei Medaillen. Die letzte holte die Shorttrackerin Hwang Ok-sil 1992 mit Bronze im französischen Albertville.

Doch auch ohne neue Medaille für eine koreanische Sportlerin oder einen koreanischen Sportler: Schon bei der Eröffnungsfeier wird Olympiageschichte geschrieben werden.

Oliver Wagner

 

Aus: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek