Aus weniger wird mehr

Angesichts der Tatsache, daß die Arbeitslosigkeit in Luxemburg selbst nach regierungsamtlicher Lesart noch weit höher ist als vor der letzten Verschärfung der kapitalistischen Dauerkrise – laut letzten Angaben der Adem liegt die »saisonbereinigte« Arbeitslosenquote bei fünf Prozent, während sie von 1985 bis 2008 im Durchschnitt nur bei drei Prozent gelegen hatte – ist es höchste Zeit, daß die Gewerkschaften die Forderung nach einer kollektiven Arbeitszeitverkürzung wieder in den Mittelpunkt ihrer Kollektivvertragspolitik, ja ins Zentrum ihres gesamten Handelns, stellen.
Denn die Verkürzung der wöchentlichen und der Lebensarbeitszeit ist der zentrale strategische Hebel der Gewerkschaften gegen Massenarbeitslosigkeit. Nur durch eine Umverteilung der Arbeit kann der dem Kapitalismus innewohnende Mechanismus, daß jegliche Produktivitätssteigerung über kurz oder lang zur Vernichtung von Arbeitsplätzen führt, wirksam gekontert werden.

Massenarbeitslosigkeit ist letztlich nichts anderes als nicht durchgesetzte Arbeitszeitverkürzung und nicht verhinderte Arbeitszeitverlängerung. Zu letzterem ruft die EU-Kommission die Mitgliedstaaten immer wieder auf, wenn sie auf eine weitere Anhebung des Rentenalters drängt.

Doch wer die Schaffenden für die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung mobilisieren will, muß ihnen zuerst klarmachen, daß ihre Einkommen dadurch nicht in Gefahr geraten und daß es dem Patronat dieses Mal nicht erlaubt wird, den ihm abgerungenen Verlust wie in der Vergangenheit durch Arbeitsintensivierung zu kompensieren.

Denn eine Verkürzung der Wochen- und Lebensarbeitszeit, die mit finanziellen Einbußen einhergeht, wird von einem Großteil der Schaffenden mit Sicherheit abgelehnt, weil vor allem jene, die mit dem Mindestlohn oder ein wenig mehr abgespeist werden, ganz einfach auf nichts mehr verzichten können.

Außerdem sollte es in Auseinandersetzungen um einen neuen Kollektivvertrag vor allem um eine Umverteilung zwischen Kapital und Arbeit gehen und nicht um eine Umverteilung innerhalb der eigenen Klasse.

Zweitens muß mit der vom Patronat in erpresserischer Absicht verbreiteten Illusion, nur durch den Verzicht der Schaffenden könnten ihre Arbeitsplätze langfristig abgesichert werden, aufgeräumt werden.

Dazu muß den Schaffenden klargemacht werden, daß sie im Kapitalismus zwar auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen sind, nicht aber auf den Erhalt eines bestimmten Arbeitsplatzes. Denn dieser ist durch ständige Rationalisierung, Dequalifizierung und vor allem durch die Anarchie der kapitalistischen Wirtschaftsweise immer wieder bedroht.
Diese, zum Kapitalismus wie das Amen zum Gebet gehörende Unsicherheit zu erkennen, ist Voraussetzung dafür, den kollektiven Kampf für gesellschaftliche Veränderung als Ausweg zu begreifen. So wird die Angst um den Arbeitsplatz zum Ausgangspunkt eigener Aktivität, ohne die jegliche Veränderung unmöglich ist.

Und noch einen Aspekt sollten alle, die für eine Verkürzung der Arbeitszeiten streiten wollen, in ihrer Argumentation herausstellen: die Humanisierung. Arbeitszeitverkürzung ist nicht nur ein Mittel zur Beschäftigungsumverteilung, sondern auch zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen.

Oliver Wagner

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek