Grün anstreichen wird nicht genügen

In seiner Rede zur Lage der Nation stellte Premierminister Bettel fest, wir hätten »die Grenze vom dem, was erträglich wäre, längst überschritten«. Allerdings stellte der Premierminister diese Aussage ausschließlich in den Zusammenhang mit den katastrophalen Folgen des Klimawandels und dem dramatischen Verlust der Biodiversität. Zumindest das, könnte man sagen, wo andere nicht nur auf einem, sondern noch immer auf zwei Augen blind sind.

Die Antwort darauf, was denn geschehen müsse, um ein Katastrophenszenario zu verhindern, blieb der Premierminister allerdings weitgehend schuldig. Da genügt es eben nicht, den IPCC-Klimabericht der UNO zu lesen und dann eine Reihe Forderungen aneinanderzureihen, von denen man weiß, dass sie in der Öffentlichkeit wohlwollend aufgenommen werden. Nichts gegen mehr Windparks, Photovoltaikanlagen, Alternativen zu Plastiktüten, einem kostenlosen öffentlichen Transport und andere notwendigen Einzelmaßnahmen, aber damit werden »unsere« Pariser Klimaziele nicht erreicht, geschweige denn die »Klimakrise« überwunden.
Diese »Beschränktheit« ist mehr als wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass der Premierminister nur solche Veränderungen in Erwägung ziehen will, die einen Paradigmenwechsel von vorne herein ausschließen und garantieren, dass alles beim Alten bleibt.

Denn eigentlich ist die »Klimakrise« ja Ausdruck einer Gesellschaftskrise, eine Krise der kapitalistischen Produktionsweise, die auf der Ausbeutung des Menschen und der Natur beruht und garantiert, dass der einzelne Kapitalist sich die Resultate der gesellschaftlichen Arbeit in Form von Profit aneignen kann, während die Allgemeinheit die meist negativen Folgen davon zu tragen hat, darunter auch Veränderungen im Klima und Artensterben. Marx hat das in einer Fußnote in seinem Hauptwerk »Das Kapital« so formuliert: »Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent, und man kann es überall anwenden, 20 Prozent, es wird lebhaft, 50 Prozent positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß«.

Dies erleben wir gegenwärtig immer deutlicher, nicht nur im Zusammenhang mit der »Klimakrise« – und in einigen Gegenden des Planeten weitaus brutaler als in Luxemburg.

Aber auch hierzulande sind die Zeichen nicht zu verkennen: Die wachsende Armut, die Arbeitslosigkeit und die Wohnungsnot brennen immer mehr Menschen unter den Nägeln und machen die bestehenden Verhältnisse immer ungerechter und die Zukunftsangst größer. Diese Krisen waren dem Premierminister in seiner Rede zur Lage der Nation aber ebenso wenig eine Überlegung wert wie die zunehmende Zersiedlung des Landes, der rasante Bodenverbrauch und der schnelle Anstieg der Arbeitskräfte aus der Großregion, die vom bestehenden kapitalistischen Wirtschaftsmodell gefordert werden.

Erfordert ist daher ein Systemwechsel, weil das bestehende System nicht in der Lage ist, die wachsenden Probleme zu lösen und erst recht nicht, das Überleben der Menschheit zu sichern – auch dann nicht, wenn es etwas grün angestrichen wird, die Ausbeutungsmechanismen, die zum Erbgut des Kapitalismus gehören, aber weiter bestehen sollen.

Zu erreichen sein wird das nur, wenn soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit zusammengehen, und wenn mutig über den Tellerrand des bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells hinaus gedacht und gehandelt wird.

Ali Ruckert

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek