Gelegenheit macht Diebe

In vielen kleineren und größeren Krisen geübt, ist das herrschende Personal der kapitalistischen Staaten mit großem Eifer dabei, auch aus der durch das Corona-Virus verschärften aktuellen Krise noch Kapital zu schlagen. Wir verbuchen das als eine weitere Lektion zum Thema »Der gewöhnliche Kapitalismus«.

Schon Lenin hat vor über 100 Jahren darauf hingewiesen, daß die Herren der Fabriken und Banken – wir Marxisten nennen sie Besitzer der Produktionsmittel – ganz besonders in Krisenzeiten alles daran setzen, ihren Besitzstand nicht nur zu wahren, sondern möglichst auch zu vergrößern. Dazu ist ihnen jedes Mittel recht, solange es nicht auf ihre Kosten geht. Lenin hat gleichzeitig davor gewarnt, in Krisenzeiten Verständnis bei den Fabrikherren für die Lage und die Nöte der abreitenden Menschen zu erwarten. Denn vor allem in der Krise sind sie zu keinerlei Zugeständnissen bereit, etwa bei der Erhöhung von Löhnen oder der Verbesserung der Arbeitsverhältnisse.

Wer seit Jahren Zeitungen liest – nicht nur, aber besonders die »Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek« –, weiß auch, daß eine Krise stets mit dem Verlust von Arbeitsplätzen verbunden ist. In diesen Tagen kommen täglich Meldungen aus aller Welt über »notwendige Einsparungen« bei Unternehmen aller Art, und diese »Einsparungen« betreffen in erster Linie die Arbeitsplätze. Selbst im Fall eines Entgegenkommens seitens der Beschäftigten durch Lohnverzicht oder unentgeltliche Mehrarbeit – was auf Dasselbe hinausläuft – wird kräftig der Rotstift geschwungen. Wer in einer solchen Situation darauf hofft, eine Lohnerhöhung, eine Bonuszahlung oder einen besseren Tarifvertrag erhalten zu können, braucht schon eine starke und kämpferische Gewerkschaft.

Aber nicht nur auf diesem Gebiet sitzen die Herrschenden am längeren Hebel und verfügen über ein reiches Arsenal an Möglichkeiten. Auch beim Durchsetzen ihrer Interessen und der Ausweitung ihrer Interessensphären im Ausland sind sie sehr geübt. Eines der Beispiele dafür sind die endlosen Debatten über die finanziellen Mittel zur Überwindung der Krise in der Europäischen Union, dieser angeblichen »Solidargemeinschaft«. Je länger die Diskussionen andauern, umso deutlicher wird, worum es dabei wirklich geht. Die wirtschaftlich starken Länder, allen voran Deutschland, werden alles daransetzen, um für jeden zur »Krisenrettung« eingesetzten Euro deutlich mehr als einen Euro zurückzubekommen. Es ist kein Geheimnis, daß der deutsche Staat und deutsche Banken an der Verelendung eines großen Teils der griechischen Bevölkerung kräftig »verdient« haben und heute noch Zinsen und Zinseszinsen kassieren aus der sogenannten Griechenland-Hilfe. Man muß keine hohen Einsätze riskieren, um darauf zu wetten, daß es diesmal nicht anders sein wird.

Letztlich geht es um Machtpositionen. Den Regierenden der NATO-Länder kommt die penetrante Forderung eines Donald Trump nach massiver Erhöhung der Militärbudgets ganz gelegen. Denn wenn sie diesem Ansehen – zuweilen mit zur Schau getragenem Unwillen – nachkommen, stärken sie die Positionen der »führenden« kapitalistischen Staaten in der Welt. Nun muß sogar Corona dafür herhalten, die NATO mit mehr finanziellen Mitteln auszustatten.

Diese Krise ist viel mehr als eine Corona-Krise. Wir befinden uns mitten in einer neuen Phase eines Umverteilungskampfes. Um zu verhindern, daß wieder die Lohnabhängigen, die Jugend und die Rentner für alles bezahlen, braucht es allerdings mehr als starke Gewerkschaften.

Uli Brockmeyer

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek