Wer bedroht Luxemburg?

Es gibt Nachrichten, die finden nicht den Weg in die Medien. Radio, Fernsehen, die anderen Zeitungen schweigen über eine ungeheuerliche Tatsache, auf die das Nachrichtenportal »German Foreign Policy« aufmerksam gemacht hat: Luxemburgs Geheimdienst arbeitet an einer »Bedrohungsanalyse«. Die Armeeminister aller EU-Staaten, also auch Luxemburgs, haben beschlossen, auf der Grundlage von Zuarbeiten sämtlicher Geheimdienste der Mitgliedstaaten eine »Bedrohungsanalyse« für die EU auszuarbeiten, die dann Grundlage sein soll für einen »Strategischen Kompaß« der Europäischen Union. Der wiederum hat in erster Linie den weiteren Ausbau der bereits beschlossenen militärischen Projekte der EU zum Inhalt, aber auch die Entscheidung über eine weitere Militarisierung der EU, die von ihren Entscheidern gern »Friedensprojekt« genannt wird.

Wie aus Papieren des deutschen Kriegsministeriums hervorgeht, soll die erste Phase dieses Projekts, nämlich die Vorlage einer »Bedrohungsanalyse« noch in diesem Halbjahr, unter der deutschen Ratspräsidentschaft der EU fertiggestellt werden. Zuständig für die Vorlage des als »Dokument der Nachrichtendienste« konzipierten Papiers wird eine Institution sein, deren Name normalerweise nicht in den Berichten über die segensreiche Tätigkeit der Friedensnobelpreisträgerin EU vorkommt, nämlich des EU-Geheimdienstes »European Union Intelligence and Situation Centre« – einer Art »CIA der EU«.

Die deutsche Ratspräsidentschaft betrachtet das angestrebte Dokument als Herzstück eines zentralen Grundlagenpapiers der künftigen EU-Außen- und Militärpolitik. Da es ein Werk von Geheimdiensten ist, dürfte nicht zu erwarten sein, daß es auch nur im Ansatz einer demokratischen Kontrolle durch das gewählte EU-Parlament unterliegen wird. Wie alle Entscheidungen, die wirklich wichtig sind für die Tätigkeit der EU im Interesse der Maximalprofite für Banken und Großkonzerne, wird darüber nur in gewissen Hinterzimmern unter absoluter Geheimhaltung gesprochen werden.

Die Zielrichtung aller künftigen Überlegungen ist allerdings schon heute klar. Es geht um die Verwirklichung des alten Wunschtraums, die Europäische Union zum bedeutendsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, natürlich unter der Führung Deutschlands, und vielleicht auch ein wenig unter französischer Beteiligung. Die Briten sind zwar nun raus aus der EU, aber im Berliner Kriegsministerium gibt es konkrete Überlegungen, das Potential britischer Rüstungsschmieden und der Streitkräfte Ihrer Majestät zumindest in einige der Projekte mit einzubeziehen. Das Ganze soll nämlich auch an der NATO vorbei organisiert werden. Zwar will man sich weiter unter den »Schutz« der Verbündeten von Übersee stellen, sich auch auf deren Nuklearwaffen stützen, aber man will auch gleichzeitig – so weit wie möglich unabhängig von der NATO – in aller Welt militärisch »für Ordnung sorgen« können.

Eine wichtige Konsequenz aus diesen Konzepten ist, daß alle Mitgliedstaaten, also auch Luxemburg, in Zukunft noch stärker auf Erhöhungen der Militärausgaben – sowohl für die NATO als auch für die EU – getrimmt werden. Bisher ist das hierzulande auf wenig Widerstand gestoßen, vor allem die Kommunisten und ihre Zeitung haben in der Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht. Da Luxemburgs Geheimdienst nun an einer »Bedrohungsanalyse« bastelt, stellt sich die Frage: Wer bedroht eigentlich Luxemburg? Womöglich die EU und die NATO?

Uli Brockmeyer

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek