Unter den Flügeln des US-Raubvogels

Kommentar von Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs, zur angekündigten vertieften Kooperation des österreichischen Bundesheeres mit der US-Nationalgarde und zu deren Bedeutung für die österreichische Neutralität

Eher beiläufig und am Rande erwähnte US-Außenminister Mike Pompeo bei einer Pressekonferenz im Schloss Belvedere anlässlich seines Wien-Besuches am vergangenen Freitag, dass Österreich künftig am „State Partnership Program“ (SPP) des US-Verteidigungsministeriums teilnehmen würde. Die österreichische Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) bestätigte diese Aussage später. Diese Ankündigung kam doch ein wenig überraschend und wirft die eine oder andere Frage auf.

Staatspartnerschaft und „Partnerschaft für den Frieden“

Ausgeführt wird das strategische militärische Kooperationsprogramm SPP unter Leitung der US-Nationalgarde. Sein Zweck ist die Anbindung „befreundeter“ Staaten und Territorien an den US-Imperialismus und ‑Militarismus. 80 Länder nehmen weltweit daran teil, in Europa sind es bislang 22 – durchwegs Staaten mit einer sozialistischen Vergangenheit und konterrevolutionären Gegenwart, die meisten davon sind ehemalige Mitglieder des Warschauer Vertrages. Am Rande: Organisatorisch sind den einzelnen SPP-Vertragsstaaten die Nationalgarden bestimmter US-Bundesstaaten zugeordnet: Tschechien hat Nebraska bekommen, der Kosovo Iowa, die Ukraine immerhin Kalifornien und Georgien – nun ja, eh Georgia (wenn man sich was wünschen darf: bitte Hawaii für Österreich!). – Die Orientierung auf die ehemals sozialistischen Länder ist freilich selbsterklärend, denn die Staaten Ost- und Südosteuropas sollen als neue Alliierte der USA als Frontstaaten gegen Russland und als geostrategische Stützpunkte der US-Army und ‑Navy dienen. Zumeist war und ist die SPP-Teilnahme natürlich die Vorstufe zur Mitgliedschaft in der NATO. Aber wie kommt nun Österreich dazu? Österreich ist seit 1995 Teilnehmer der NATO-„Partnerschaft für den Frieden“ (PfP), einem Anhängsel des Nordatlantikpaktes. Die absurde Betitelung soll natürlich das Gegenteil verbergen: Es geht um militärische Zusammenarbeit – und letzten Endes um Kriegsbündnispolitik. Auf Betreiben der Erdogan-Türkei ist das österreichische Bundesheer bei den PfP-Übungen ein wenig blockiert, weswegen nun offenbar das SPP als Ersatz dienen soll. Dass aber ohnedies weder das eine noch das andere der „immerwährenden Neutralität“ Österreichs dienlich ist, liegt auf der Hand.

Imperialistische Kooperation statt Neutralität

Dementsprechend sind mache politische Nebenakteure in der Sozialdemokratie und bei den Grünen einigermaßen empört über die bevorstehende SPP-Teilnahme. Allerdings hat dies mehr mit Realitätsverlust und Heuchelei zu tun als mit aufrichtiger Sorge um Neutralität und Pazifismus. Man darf nicht vergessen, dass es SPÖ-geführte Bundesregierungen waren, die Österreichs NATO-Anbindung mittels PfP unterschrieben und die Militarisierung der EU mitbeschlossen haben. Das ist auch nur natürlich: Die SPÖ ist Ausdruck eines Teils des österreichischen Kapitals, das eben auch seine imperialistischen Interessen verfolgt: Zwar ist man auf ökonomischer und finanzieller Ebene in der Lage, seit Beginn der 1990er Jahre überall in Ost- und Südosteuropa (und darüber hinaus) mit seinen Banken und Konzernen einzumarschieren, doch militärisch sind die Möglichkeiten des Bundesheeres beschränkt. Nur mit Hilfe der EU, der NATO, der BRD und auch der USA schafften es österreichische Soldaten bis zum Hindukusch, am Balkan konnte man sich gar als eine Hauptbesatzungsmacht etablieren, freilich auch nur mit Rückendeckung von EU und NATO. An dieser engen Kooperation gibt es ohnedies nichts zu rütteln.

Chimäre der historischen Neutralität

Natürlich ist die Neutralität längst nicht mehr das geduldige Gesetzespapier wert, auf das es einst gedruckt wurde. Zwar wurde das Neutralitätsgesetzt vom 26. Oktober 1955 über Jahrzehnte als nationaler Fetisch inszeniert, doch in Wirklichkeit bekannten sich ÖVP, SPÖ und FPÖ niemals dazu. Es waren die österreichischen Kommunisten, die als erste den Vorschlag einer Neutralität nach Schweizer Vorbild machten, um die Besatzungszeit 1945 – 1955 zu beenden und sowohl gegenüber USA/NATO als auch UdSSR/Warschauer Vertrag formelle Distanz zu wahren. Freilich brachte ihnen dies damals vorerst nur den Vorwurf des Hochverrats ein, ehe ÖVP und SPÖ dann doch den Nutzen erkannten, denn eine tatsächliche Neutralität zwischen Kapitalismus/Imperialismus und Sozialismus kann es ja ohnedies nicht geben. Von daher gelang es Österreich, 1955 – 1990 zwar immer klarer Bestandteil des „Westens“ und aller NATO-Pläne zu sein, aber gleichzeitig gute Geschäfte mit dem Osten zu machen. Das wäre ohne Neutralitätsstatus tatsächlich nicht machbar gewesen. Doch ist es völlig naiv zu glauben, hier wäre es um letztinstanzliche Substanz gegangen, weswegen sich das Bundesheer ja immer auf die Panzerschlacht im Marchfeld gegen den Feind aus dem Osten vorbereiten musste.

Weitere Aushöhlung seit 1990

Nach 1989/90 war der österreichische Heiligenschein dann freilich ein wenig obsolet und unpraktisch geworden. Um vollständig an der EU teilzunehmen (Beitritt 1995), die längst auch ihre militärischen Strukturen aufweist (zuletzt PESCO), musste man die Neutralität immer weiter aushöhlen und „neu interpretieren“ – im Prinzip bestünde hier schon eine gewisse Unvereinbarkeit. ÖVP-Kanzler Schüssel verstieg sich zu Beginn des neuen Jahrtausends gar zur selbstentlarvenden Aussage, die österreichische Neutralität verfüge real lediglich über die inszenierte Bedeutung der Lipizzaner-Pferde und der Mozartkugeln (die „echten“ werden übrigens von einem US-Konzern produziert). Die SPÖ hatte dem nichts entgegenzusetzen – und wollte es auch gar nicht: Zu tief steckt sie in der verqueren EU-imperialistischen „Integrations“-Ideologie, selbst in Teilen der Linken setzt man auf EU-konformen Kosmopolitismus. Und deshalb stehen wird dort, wo wir sind. Der Schaden ist längst angerichtet, die SPP ist kaum noch eine signifikante Steigerung im Allgemeinen, wohl aber in Bezug auf die USA: Dass man ausgerechnet mit der Trump-Administration noch enger militärisch kollaborieren möchte, stellt ÖVP und Grünen ein geradezu verheerendes Zeugnis aus.

Gegenwärtige Front- und Problemstellungen

Dabei könnte man gerade in den gegenwärtigen Zeiten eine echte Neutralität und Paktfreiheit gut gebrauchen: USA und NATO agieren als hemmungslose Kriegstreiber gegenüber Russland, China und dem Iran, die völkerrechtswidrigen Aggressionen, Interventionen und Blockaden nehmen seit Jahren Überhand, die NSA spioniert bei „befreundeten“ Staaten etc. – unter diesen Bedingungen sollte man sich nicht in aktuelle und kommende Konflikte oder gar große Kriege hineinziehen lassen. Man müsste vielmehr für das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, für friedliche Konfliktlösungen, Abrüstung, Einhaltung des Völkerrechts sowie gegen hegemoniale, unilaterale Machtpolitik eintreten. Aber so funktioniert der Imperialismus nun einmal nicht, und der limitierte österreichische Imperialismus steht klar an der Seite der BRD und der USA, somit der EU und NATO (auch wenn deren Beziehungen nicht friktionsfrei sind). Das österreichische Kapital und ihre politischen Handlanger – alle im Parlament vertretenen Parteien – wollen daran nichts ändern, denn Machtpolitik, Intervention, Okkupation und schlussendlich Krieg zum Zwecke der monopolkapitalistischen Profitmaximierung sind eben auch sein Geschäftsmodell, wenngleich nur als Trittbrettfahrer. Die Kooperation mit dem SPP der US-Nationalgarde ist nur eine weitere Mitfahrgelegenheit.

Kein Frieden im Kapitalismus

So sehr Imperialismus und Militarismus auch das Geschäft der Herrschenden in Österreich darstellen, so ist gleichzeitig klar: Die Arbeiterklasse und die arbeitenden Volksschichten haben damit nichts am Hut – sie sollen immer nur die Zeche zahlen und im Zweifelsfall als Kanonenfutter dienen. Sie haben objektiv kein Interesse an den wirtschaftlichen, politisch-„diplomatischen“ und militärischen Aggressionen und Kriegen des Imperialismus, und schon gar kein Interesse an einer Kollaboration mit den USA, dem größten Kriegsverbrecher und Räuber der Gegenwart und der massivsten globalen Bedrohung für den Frieden. Im Sinne der Arbeiterklasse wären hingegen Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, Antimilitarismus und Antiimperialismus, Internationalismus und Völkerfreundschaft, Frieden mit Russland und China sowie die Verschrottung der Atomwaffen. Aber all das wird es nicht spielen, wenn man die Herrschenden des Kapitalismus nicht dazu zwingt. Man muss die Herrschaft des Kapitals, die Diktatur der Banken, Konzerne und Militärs brechen, um wahre Friedenspolitik, demokratische Souveränität und gleichberechtigte internationale Beziehungen zu erreichen. Und dazu ist nur die revolutionär organisierte Arbeiterklasse der Erde in der Lage – als herrschende Klasse des Sozialismus erschafft sie nicht nur eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung, sondern auch eine ohne Imperialismus und Krieg. Friedenspolitik ist Klassenkampf – und auch in diesem gibt es keine Neutralität.

Quelle:

Zeitung der Arbeit