Erklärung des Ständigen Vertreters Russlands in der OSZE, Alexander Lukaschewitsch, bei der Sitzung des Ständigen Rats der OSZE zum Fall Sergej Skripal am 15. März 2018 in Wien

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

Wir haben eine Reihe verantwortungsloser Vorwürfe und Mutmaßungen im bereits traditionell gewordenen “highly likely“-Stil in Großbritannien gehört. Die Handlungen der britischen Seite sind offen provokativ. Bereits am 6. März trat der Außenminister Großbritanniens, Boris Johnson, im Parlament so auf, als ob die Untersuchung abgeschlossen ist, und Russland am Geschehenen in Salisbury schuld ist.

Die Eile beeindruckt.

Die Angaben über den Vorfall tauchten in den Medien am 4. März auf. Es gab keinen einzigen Versuch, das Geschehene zusammen mit uns zu klären, obwohl die russische Seite gleich die Bereitschaft dazu äußerte. Wir haben via offizielle Kanäle keine Informationen zu Umständen des Verfahrens trotz mehrerer Anfragen und der Tatsache, dass Julia Skripal eine Staatsbürgerin Russlands ist, bekommen. Unsere Botschaft in Großbritannien schickte an das Außenministerium Großbritanniens mehrere diplomatische Noten, in denen die fehlende Beteiligung Russlands an diesem Vorfall betont wird, sowie beantragte Muster des genutzten Stoffs und eine gemeinsame Untersuchung. Uns wurde das alles verweigert. Stattdessen bekamen wir lediglich Ultimaten im Sinne der neokolonialen Manieren. Inzwischen gibt es weiterhin keine Beweise der angeblichen „russischen Spur“. Die Präsumtion der Unschuld wurde überhaupt von London vergessen.

Auffallend ist, dass Labour-Chef Jeremy Corbyn bei der Besprechung dieser Frage im britischen Parlament gebeten hat, zumindest den Parlamentariern die Ergebnisse der Untersuchung mitzuteilen – ihm wurde das ebenfalls verweigert.

Wir erwarteten vom Vereinigten Königreich eine offizielle Anfrage und die Anwendung der Verfahren der Chemiewaffenkonvention. Bekannt ist, dass Punkt 2 des Artikels 9 dieser Konvention einen Anfrage von Erklärungen und Bereitstellung einer Antwort an einen beantragenden Staat schnellstmöglich vorsieht, doch auf jeden Fall spätestens zehn Tage nach der Anfrage. Ohne diese Anfrage bekommen zu haben, machten wir das initiativreich am 13. März bei der 87. Session des Exekutivrats der Organisation für das Verbot chemischer Waffen in Den Haag. Dennoch gibt es bis heute keine entsprechende Anfrage gemäß der Konvention, auf die wir von Anfang bereit waren zu antworten. Die Briten nutzten auch nicht die Instrumente des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen.

Ein paar Worte zu den Giftstoffen, die angeblich in dieser Geschichte präsent sind. Nachdem C-Waffen in der Russischen Föderation vernichtet worden waren (das wurde von der OPCW 2017 bestätigt), wurde ihre Entwicklung in Großbritannien sowie in den USA, Tschechien und Schweden fortgesetzt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion erwiesen sich die Labore zur Produktion der Giftstoffe der erwähnten Kategorie in mehreren anderen Staaten, darunter die Baltikum-Länder. Neben Salisbury befindet sich ein Regierungslabor für Massenvernichtungswaffen in Porton Down. Wenn sich London so sicher ist, dass es sich um „Nowitschok“-Gas handelt, gibt es dort seine Formel und die Muster, vielleicht auch Produktion. Der Entwickler von diesem Gas, Wil Mirsajanow, wohnt seit langem in den USA, wohin er zusammen mit technischen Dokumenten über den chemischen Stoff ausgeführt wurde. In Russland gab es derweil keine Wissenschafts- und Forschungsarbeiten unter der Codebezeichnung „Nowitschok“.

Die Hauptfrage wurde inzwischen überhaupt ausgeklammert – wer und wozu braucht diesen Skandal? In der Rechtswissenschaft gibt es das Prinzip „Cui Prodest“. Für wen ist dieser Vorfall kurz vor den Präsidentschaftswahlen und der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland vorteilhaft? Und das Wichtigste, welches Motiv hätte Russland für Beseitigung von Sergej Skripal haben können, der keine Bedrohung für unser Land darstellte? Dafür aber kenne ich genau mehrere Staaten, für die dieser Vorfall und die Vorwürfe gegen Russland äußerst vorteilhaft und rechtzeitig sind.

Wie immer ist der Kontext wichtig. Was geschieht jetzt im innenpolitischen Leben Großbritanniens? Das ist vor allem eine nicht beneidenswerte Lage des Kabinetts der Regierungschefin Theresa May zu erkennen, das wie die ganze konservative Partei wegen Brexit gespalten ist. Es bestehen keine Zweifel, dass die Entwicklung des Themas Vergiftung Skripals und seiner Tochter ein Versuch ist, die gesellschaftliche Meinung von den mit Brexit verbundenen Problemen abzulenken.

Viel unangenehmer ist ein anderer Skandal, von denen die Behörden die Aufmerksamkeit der Einwohner Großbritanniens ablenken wollen, indem die Vergiftung der Skripals genutzt wird. Es handelt sich um ein in der Stadt Telford aufgedeckten Kinderschänder-Ring, der ganze 40 Jahre lang tätig war. Zu seinen Opfern wurden mehr als 1000 Kinder bei Nachsichtigkeit der Polizei und der örtlichen Behörden. Bei der nächsten Sitzung des Ständigen Rats werden wir ausführlich über diese empörende Verletzung der Kinderrechte im Vereinigten Königreich berichten.

Gestern schlug Russland im UN-Sicherheitsrat die Verabschiedung einer Erklärung seines Vorsitzenden mit dem Aufruf zur Kooperation aller Seiten zur Aufdeckung der Wahrheit vor. Diese Initiative wurde von der britischen Seite blockiert. Wir müssen zum Schluss kommen, dass die Behörden Großbritanniens an der Feststellung der Wahrheit nicht interessiert sind, und sie sich nach ganz anderen Motiven richten. Wie man bei ihnen auf den Inseln sagt, „it is not cricket“.

Wir sehen jetzt in diesem Saal, dass jede Versuche, ein Gespräch in eine professionelle Richtung zu richten, von britischen Kollegen und vielen mit London solidarisierten Staaten in den Bereich der politischen Rhetorik, Russlandhass in der Hoffnung verschoben werden, dass sich die westliche Welt wie gewöhnlich in eine Reihe wegen der berüchtigten Solidarität stellt. Die Wahrheit brauchen sie nicht, sie ist sogar gefährlich für sie.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Wir bitten, unsere Erklärung dem Tagesprotokoll dieser Sitzung des Ständigen Rats beizufügen.

Quelle:

Außenministerium der Russischen Föderation