“Der Franquismus hat im Staat nach wie vor die Hegemonie”

Emil Strauß war im September in der baskischen Region unterwegs. Für ihn war ein wichtiger Bestandteil seiner Reise, das Verhältnis widerständiger Gedenkarbeit zur aktuellen politischen Situation im spanischen Staat beziehungsweise dem Rechtsruck in Europa und weltweit zu analysieren und einzuordnen. Der baskische-deutsche Kulturverein „Baskale“ in Bilbo (baskischer Name für Bilbao) setzt sich mit feministischen und antifaschistischen Fragen auseinander und stärkt die Arbeit zur „Memoria Historica“ (historische Erinnerung), also die Aufarbeitung des spanischen Faschismus (Franquismus). Im Nachgang der Reise führte unser Autor deshalb ein ausführliches Interview mit Klaus, der sich beim Verein Baskale engagiert.

Emil Strauß: Wie lange gibt es euch schon und was motiviert euch zu eurer Arbeit im baskisch-deutschen Kulturverein „Baskale“?

Klaus: Den Verein haben wir vor acht Jahren aus ganz formalen Gründen ins Leben gerufen. Als Instrument, um das besser organisieren zu können, was wir auch vorher schon gemacht haben. Der Vereinsstatus bietet Möglichkeiten, die wir als informelle Gruppe nicht hatten. Unsere Arbeit hat verschiedene Schwerpunkte und findet nicht nur im Vereins-Rahmen statt. Wir verstehen uns als Teil der sozialen Bewegungen, die uns in Bilbao und Bizkaia (Provinz rund um Bilbao, Anm. Red.) umgeben. Deren Entwicklung ist uns wichtiger als unser Verein. Die beiden Hauptbereiche unserer Arbeit sind Feminismus und Antifaschismus. Feminismus muss nach unserer Auffassung bei allen Aktivitäten ein entscheidendes Kriterium sein und wir versuchen das voranzutreiben. Daneben betreiben wir Geschichtsforschung unter Frauenaspekten.

Unser zweites Thema ist die historische Aufarbeitung des Franquismus – dieses Thema wird hier „Memoria Historica“ genannt, historische Erinnerung. Das hört sich nicht so politisch an, ist es aber. Wir arbeiten mit historischen Organisationen wie der anarchosyndikalistischen CNT (Confederación Nacional del Trabajo, Gewerkschaft, Anm. Red.) zusammen, die im Spanienkrieg eine wesentliche Rolle gespielt hat. Und mit verschiedenen baskischen Akteuren verschiedener politischer Couleur.

Für eine baskisch-deutsche Gruppe wie Baskale hat diese Arbeit im Wesentlichen zwei Aspekte: Erstens die Aufarbeitung der Geschichte aus baskischer Sicht. Zweitens die Aufarbeitung aus deutscher Sicht. Bekanntermaßen war die nazideutsche „Legion Condor“ nach dem Militärputsch vor 82 Jahren kriegsentscheidend. Zur der Klärung dieser Geschichte beizutragen ist unser bescheidener Beitrag zur baskischen Memoria-Bewegung.

Weitere Arbeitsschwerpunkte des Kulturvereins Baskale sind Gentrifizierung und alternativer Tourismus. In Bilbao ist diese Arbeit wichtiger denn je, denn wir erleben momentan einen brachialen Massentourismus, der gravierende Konsequenzen hat. Dem arbeiten wir entgegen, mit Kritik auf der einen Seite und mit alternativen Angeboten auf der anderen. Dabei gibt es gute Verbindungen zu unseren anderen Arbeitsthemen. Denn alternative Rundgangs-Angebote lassen sich perfekt verknüpfen mit der antifaschistischen Aufarbeitung, mit der Geschichte von Krieg, Diktatur und der folgenden sogenannten Demokratie.

Um unsere Information einem deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen haben wir eine umfangreiche Webseite konzipiert. Sie liefert Gegeninformation zu den gängigen Klischees und Plattitüden, die in der bürgerlichen Presse über das Baskenland verbreitet werden. Baskultur.info reicht von Geschichte über Architektur, Sport, Wissenschaft und Musik. Wir haben dort insgesamt 30 Kategorien, unter denen gründlich informiert wird.

Könnt ihr „baskisch sein” und „baskische Kultur” aus der Praxis beschreiben?

Klaus: Die baskische Linke hat eine schöne Definition von „baskisch sein“: wer hier lebt, arbeitet und baskisch spricht –egal wo geboren – gilt als Baskin oder Baske. Das kommt auch im Begriff zum Ausdruck, der hier für „Bask*in“ benutzt wird: Euskaldun. Euskara ist die baskische Sprache, euskaldun ist, wer diese Sprache spricht. Alle sind gleichzeitig Bask*innen, nicht per Geburt, sondern aufgrund ihrer sozialen Situation im Baskenland. Dennoch werden auch jene nicht ausgeschlossen, die nie Baskisch lernen konnten, weil es zum Beispiel im Franquismus verboten war.

Baskisch ist offizielle Sprache, sie ist der Mittelpunkt der baskischen Kultur. Dennoch werden Baskisch Sprechende mitunter marginalisiert. In Behörden zum Beispiel können nicht alle Angestellten auf Baskisch antworten, die Zweisprachigkeit ist nicht gewährleistet. Gleichzeitig ist die Sprache nach wie vor stark politisiert. Das heißt, wenn du mit Baskisch ankommst, bist du schon verdächtig. Es kann passieren, dass du mit der ETA (Euskadi Ta Askatasuna, baskisch für Baskenland und Freiheit, frühere marxistisch-leninistische Untergrundorganisation, Anm. Red.) in Verbindung gebracht wirst. Oder, dass du nicht bedient wirst, wenn du auf Baskisch einen Milchkaffee bestellst. Unglaublich aber wahr.

Die Haltung zu ETA war bislang in allen sozialen Bewegungen im Baskenland ein Trennungs-Kriterium. Für die Rechte sowieso, aber auch für linke Gruppen. Egal ob Ökolog*innen oder Antimilitarist*innen: es gab in vielen Bereichen nicht-abertzale und abertzale Organisationen, also welche, die ETA kritisiert haben oder eben nicht. Wer für die Rechte von politischen Gefangenen eingetreten ist war ETA-nah. Das ist heute vorbei. Die Trennungslinie ist für die große Mehrheit nicht mehr vorhanden. Nur noch in den Köpfen der spanischen Ultrarechten. Das führt dazu, dass es neue Koalitionen gibt im Bereich der sozialen Bewegungen, viele Tabus sind verschwunden. Sogar die Sozialdemokrat*innen fordern die Heim-Verlegung der politischen Gefangenen. Nur bei einigen Kellnern ist die Botschaft offenbar noch nicht angekommen.

Theoretisch ist Baskisch ein Instrument zur Verständigung wie Englisch, Rätoromanisch, Deutsch oder jede andere Sprache. Tatsächlich ist es ein politischer Akt, auf der Straße Baskisch zu sprechen. Das ist traurig und ein Ergebnis der spanischen Antihaltung, die bis heute andauert. Im französischen Baskenland ist die Sprache nicht einmal offiziell. „Baskische Praxis“ drückt sich deshalb in ganz banalen Dingen aus. Wir versuchen, in der Öffentlichkeit, unter Freundinnen und Freunden, so viel es geht Baskisch zu sprechen. Das hat seine Grenze dann, wenn jemand die Sprache nicht versteht. Wir versuchen, Veranstaltungen möglichst auf Baskisch zu machen, wenn das nicht geht, eine Übersetzung zu organisieren, womöglich synchron. Alles was wir publizieren sollte zweisprachig sein – das ist immer die doppelte Arbeit. Ständig gibt es Kampagnen zur Förderung der baskischen Sprache. Daran teilzunehmen ist ebenfalls „baskische Praxis“.

Die baskische Linke gilt in Deutschland oftmals als „nationalistisch“. Wie würdest du die Spezifika eines baskischen Nationalismus erklären –und welche internationalistische Perspektive gibt es darin?

Klaus: Nationalismus ist ein hässliches Wort. Auch hier wird das ungern benutzt. Manchmal fallen uns aber keine anderen Begriffe zur Beschreibung ein. Eine Minderheit kennt zumindest noch den Eigenbegriff „abertzal“, der am ehesten mit „patriotisch“ zu übersetzen ist. Dazu sind zwei Dinge zu sagen. Erstens gibt es unterschiedliche Formen von Nationalismus: einer, der sich über andere erhebt und sie erniedrigt, das wäre der spanische, türkische oder deutsche Nationalismus; und eine andere Form, die sich von Unterdrückung und Verbot zu befreien versucht. Das ist die baskische Variante. Vielen deutschen Linken fällt es schwer, das zu verstehen oder zu akzeptieren. Im Baskenland ist es die normalste Sache der Welt, dass „Abertzalismus“ immer eine internationalistische Komponente hat. Das eine funktioniert nicht ohne das andere. Manche nennen diesen „Abertzalismus“ auch den Kampf um die eigene Sprache, Kultur und Identität – alles Versuche, die baskische Besonderheit zu erklären.

Die Verbindung von der Aufarbeitung der Geschichte – also von „Memoria Historica“ – und Internationalismus liegt auf der Hand. Die damalige baskische Regierung hat sich im Krieg vor 80 Jahren auf die Seite der Republik gestellt, gegen den Faschismus, und hat dafür teuer bezahlt. Das hat auch die baskische Rechte nicht vergessen. Interessanterweise gibt es hier eine anarchistische Tendenz, die ebenfalls Sympathie für die baskische Identität aufbringt. Die baskische Linke hat den Kampf gegen den Franquismus-Faschismus verbunden mit einer antikolonialen Perspektive, mit einem internationalistischen Charakter. Wir als Mitstreiter*innen des Kulturvereins fühlen uns wohl in dieser Rolle, als Internationalist*innen und Verteidiger*innen der baskischen Sprache und Kultur. Selbstverständlich hat die baskische Gesellschaft das Recht zur Entscheidung über ihre Zukunft.

In eurem Reader „Antifaschistische Erinnerung Bilbao – Baskenland”,der zum 80. Jahrestag der Gernika Bombardierung erschien, verweist ihr darauf, dass die bis 2018 amtierende Rechts-Regierung im spanischen Staat sich zu keiner Zeit gescheut hat „die Massenmörder in Krypten, Kirchen und anderen Gedenkstätten zu ehren und hochleben zu lassen.” Wie wichtig ist diese Praxis für die zentrale staatliche Hegemonie?

Klaus: Das ist nach wie vor der Fall. Überlegt doch mal, warum es in Spanien keine NPD oder AFD gibt – bei so viel rechtem Gedankengut. Die Antwort ist einfach: die „Volkspartei“ Partido Popular (PP) von Aznar und Rajoy ist ausreichend faschistoid, um große Teile der Ultra-Rechten an sich zu binden. Dazu kommt nun auch noch die neue Partei „Ciudadanos“, die in der internationalen Presse als liberal definiert wird – nichts wäre weiter von der Realität entfernt. Viele dort stehen bis heute offen zum Franquismus. Sie sind gegen die Exhumierung des Massenmörders aus dem Mausoleum. Sie wollen keine Aufarbeitung der Verbrechen des Spanienkrieges. Sie wollen nicht die 140.000 Leichen aus den über den ganzen Staat verstreuten Massengräbern heben. Sie wollen nicht die Besonderheit der historischen Nationen Galicien, Katalonien, Baskenland anerkennen.

Die Transición (spanisch: Übergang, Anm. Red.) von der Diktatur zur Demokratie in den 1970er Jahren war eine einzige Farce. Der Diktator ist im Bett gestorben, der Übergang war gut vorbereitet. Der neue König hatte seinen Eid auf die franquistischen Werte geschworen und wurde nie demokratisch legitimiert. Militär, Polizei, Justiz und politische Klasse blieben auf ihren Posten – bis heute. Die Sozialdemokrat*innen von der PSOE schworen dem Marxismus ab – sicher auf Anraten der Friedrich-Ebert-Stiftung. Und die Kommunisten von der PCE sagten „ja“ zu allem, nur um wieder legalisiert zu werden. Gleichzeitig mit der Amnestie für die politischen Gefangenen des Regimes wurde 1977 eine Amnestie für alle franquistischen Verbrechen beschlossen. Das verstößt gegen die Internationale Menschenrechts-Konvention, denn Verbrechen gegen die Menschlichkeit können weder verjähren noch amnestiert werden. Die UNO kritisiert das. In den lateinamerikanischen Ländern konnten solche Amnestie-Gesetze nicht gehalten werden, zum Beispiel in Chile, Uruguay oder Argentinien. Im spanischen Staat aber schon. So kann es nicht verwundern, dass eine Mehrheit in Katalonien eine unabhängige Republik haben will und viele im Baskenland auch.

Ein weiteres Beispiel: Als die Nazis Gernika zerbombten, sagten die Franquisten, die Basken und „die Roten“ selbst hätten die Stadt angezündet. Während der gesamten Diktatur war dies die offizielle Version. Und danach? In 40 Jahren hat keine einzige der sogenannten „demokratischen“ Regierungen je diese Lüge berichtigt, geschweige denn, sich für die Kriegsverbrechen entschuldigt. Die „Gernika-Lüge“ ist somit nach wie vor ein aktuelles Thema. Das ist nur ein wichtiges Detail für die Menschen im Baskenland. Solche Details gibt es viele. Manche behaupten ernsthaft, in Gernika seien damals gerade mal 15 Menschen ums Leben gekommen. Auf diese Art wird Gernika immer noch bombardiert.

Der Franquismus hat im Staat nach wie vor die Hegemonie – um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen. Zentralismus, Unteilbarkeit des Staates, „Guardia Civil“ und Katholizismus sind weiterhin die Fundamente. Dazu kommt die Korruption als politisches Selbstverständnis. Viele Linke würden liebend gerne das deutsche Föderalismus-Modell übernehmen – aber das hat keine Chance. Kann sich in Deutschland jemand eine „Adolf-Hitler-Stiftung“ vorstellen, die jährlich mit Millionen aus der Staatskasse finanziert wird, die staatliche Dokumente aus der Nazizeit in ihren Archiven hat, die für niemand zugänglich sind? Genau das ist eine spanische Realität: die Franco-Stiftung. Da soll bitte niemand von „Demokratie“ reden. Daran ändert auch der Schwenk der Sanchez-Regierung nichts, falls Franco tatsächlich aus dem Mausoleum geholt wird.

Wie sieht die öffentliche Auseinandersetzung mit der Geschichte sowohl von staatlicher aber auch zivilgesellschaftlicher Seite im Stadtbild von Bilbo (Bilbao) aus?

Klaus: Der große Unterschied zwischen dem Baskenland beziehungsweise Spanien und Deutschland ist, dass die antifaschistische Aufarbeitungs-Bewegung hier von unten kommt. Im spanischen Staat waren es Basisbewegungen, die mit der Aufarbeitung der Diktatur und ihren Konsequenzen begannen, mit der Forschung in Archiven, mit Publikationen und Gedenkveranstaltungen für Opfer des Franquismus, oder mit der Exhumierung von Massengräbern. In Deutschland kam das von oben, über die „Nürnberger Prozesse“, die Kontrolle der Alliierten, mit all ihren Defiziten. Hier hat es 30 Jahre gedauert, bis staatliche Stellen begannen, die Forderungen dieser Volksbewegung auch nur halbwegs ernst zu nehmen. Das Memoria-Gesetz der Regierung Zapatero ist aus dem Jahr 2007, 32 Jahre nach Francos Tod. Für alle Linken und Republikaner*innen ist es völlig unzureichend! Und für die spanische Rechte völlig überflüssig. Erst 43 Jahre nach dem Tod des Massenmörders kam ein Regierungschef auf die Idee, dass Franco aus dem Mausoleum und faschistischen Pilgerort geholt werden sollte.

Im Baskenland, insbesondere in Bilbao war es ähnlich. Die faschistischen Straßennamen wurden bereits in den 1980er Jahren abgeschafft. Aber nicht viel mehr. Die baskischen Christdemokraten hatten zwar einen antifranquistischen Diskurs, aber keine Praxis. Franquistische Symbole, obwohl vom Gesetz mittlerweile verboten, wurden nicht entfernt. Als Memoria-Bewegung haben wir die Stadtregierung von Bilbao verklagt und sie so zur Entfernung der Symbole gezwungen. Die baskische Regierung – ebenfalls baskische Christdemokrat*innen – hat sich mittlerweile eine andere Praxis angeeignet. Sie versuchen, sich an die Spitze der Memoria-Bewegung zu stellen, machen Gedenkveranstaltungen, eine Landkarte mit Massengräbern und kontinuierlich Exhumierungen. Damit sind sie der spanischen Praxis meilenweit voraus.

Im gesamten Staat gibt es noch mehr als 300 Straßen, die den Namen Franco tragen. Im Baskenland keine. Das ist ein qualitativer Unterschied. In Bilbao sind die franquistischen Spuren weitgehend beseitigt. Was fehlt, sind Erklärungen. Es gibt so gut wie keine öffentliche Erinnerung an den Franquismus an den Orten der Gräuel. Gegenüber vom Guggenheim-Museum steht ein prächtiger Bau: die private Jesuiten-Universität. Die wenigsten in Bilbao wissen, dass das ein franquistisches Konzentrationslager war. Dort wurden Leute liquidiert. Vor Jahren brachte eine Memoria-Gruppe eine Gedenktafel an. Sie wurde sofort wieder abgerissen. Erinnerung ist nicht erwünscht. Die neuen Generationen wachsen ohne diese Erinnerung auf. Nur das Guggenheim zählt. Wir als Kulturverein haben vor vier Jahren einen Antrag gestellt, an einem Gebäude der Altstadt eine Tafel anzubringen zur Erinnerung an eine folgenschwere Bombardierung durch die Legion Condor. Die Hausbewohner*innen waren einverstanden, der Nachbarschaftsverein unterstützte uns, ein Bauzeichner malte eine professionelle Skizze – vergebens. In einem persönlichen Empfang beim stellvertretenden Bürgermeister wurde uns gesagt, man wolle kein Einzelgedenken an verschiedenen Stellen, sondern nur generell. Wir haben nie eine Absage erhalten. Das ist deren Politik. Doch letztendlich sind wir nicht von denen abhängig. Bei unseren historischen Rundgängen durch Bilbao berichten wir von diesen Geschichten. Auf Baskisch, Spanisch, Englisch und Deutsch. Und die Leute sind dankbar.

Welche Möglichkeiten der kollektiven Thematisierung und Aufarbeitung der Verbrechen seht ihr für die gesellschaftliche Ebene in Deutschland aus baskischer/spanischer Perspektive?

Klaus: Wie vorher angedeutet: die Situation ist schwer vergleichbar. Antifaschismus von oben oder von unten. Wir wollen auch keine schlauen Ratschläge geben. Antifaschismus in Deutschland muss die Sache der deutschen Linken sein. In Wunstorf zum Beispiel, im Militärstützpunkt, aus dem seinerzeit die „Legion Condor“ kam. Dort wurde im vergangenen Jahr von der Bundeswehr ein Gernika-Gedenkstein aufgestellt. Das ist Geschichtsklitterung. Wir haben das scharf kritisiert, in Deutschland aber sehr wenig Unterstützung erhalten.

Vielleicht noch eine Bemerkung zum Verhältnis der Baskinnen und Basken zu den Deutschen. Neulich wurde ich gefragt, ob es da nicht bis heute Vorbehalte gäbe. Immerhin war es die „Legion Condor“, die in Gernika und vielen anderen Städten einen Massenmord verübt hat. Keine Vorbehalte, musste ich zur Antwort geben. Nie habe ich ein negatives Wort über „die Deutschen“ gehört. Über die Nazis sehr wohl, aber nicht über „die Deutschen“. Die Leute im Baskenland haben eines klar: die Nazis waren die Helfer*innen, mit viel Eigeninteresse, zum Test ihrer Waffen für den nächsten Krieg. Aber die Verantwortlichen für den Militäraufstand waren die spanischen Franquist*innen.

In dem bereits erwähnten Reader schreibt ihr von der Erinnerung an 80 Jahre alte Gräuel und Verbrechen, die nie aufgearbeitet wurden und kommt zu dem Schluss „Doch lässt der Weg zu einer wirklich demokratischen Gesellschaft für republikanische und antifaschistische Kräfte keine andere Wahl. Bis zum Erreichen dieses Ziels stehen die Prinzipien der historischen Wahrheit, der Wiedergutmachung und der Garantie der Nichtwiederholung im Vordergrund”. Kannst du das etwas ausführen?

Klaus: Das ist unsere Aufgabe und daran arbeiten wir: Wahrheit, Wiedergutmachung, Nichtwiederholung. Dazu kommt die Forderung, dass die Amnestie für die Diktaturverbrechen zurückgenommen werden muss. Diese Forderung teilen wir immerhin mit Amnesty International und der UNO. Die übrig gebliebenen Faschist*innen müssen vor Gericht gestellt werden, und sei es über die argentinische Justiz. Hintergrund dieser argentinischen Klage ist die Universalität der Menschenrechte: sie können überall eingeklagt werden. Ein Franquismus-Opfer mit doppelter Staatsangehörigkeit brachte sie in Gang. Er klagte in Argentinien gegen franquistische Verbrechen. Eine Richterin in Buenos Aires nahm sich der Klage an und verfolgt sie. Mittlerweile haben sich hunderte von Einzelpersonen und Behörden im Baskenland dieser Klage angeschlossen, die Richterin hat zuerst die Vernehmung der noch lebenden Täter und dann deren Auslieferung beantragt – die spanische Regierung hat ein Problem.

Den Kläger*innen geht es weniger Dabei geht es nicht um konkrete Strafen, es geht vielmehr um juristische Anerkennung der Verbrechen. Solange der spanische Staat zu diesen Anstrengungen nicht in der Lage ist, werden wir ihn weiter post-franquistisch und faschistoid nennen, oder „das Regime von 1978“, dem Jahr der Pseudo-Verfassung.

Daneben geht es um die staatliche Anerkennung der jahrzehntelangen Folterpraxis. Im Baskenland wurden seit den 1960er Jahren ca. 10.000 Menschen gefoltert. Es gab Todesschwadrone, „schmutzigen Krieg“, gefälschte Verfahren, Kinderraub. All das muss aufgeklärt werden; staatliche Stellen müssen sich dazu äußern. Bevor das nicht geschieht, sprechen wir nicht von Demokratie.

Es war enorm schwierig, vor zwanzig, dreißig Jahren die Memoria-Bewegung in Gang zu bringen. Viele Menschen hatten Angst, dass die Schlächter zurückkommen, aus ihren Kasernen oder Richterbüros. Viele hielten ihren Mund, die Angst saß unvorstellbar tief, teilweise bis heute. Das konnte keine noch so tolle Verfassung ändern. Die Politiker waren dieselben, die „Guardia Civil“ waren dieselben, die Richter waren dieselben. Und 1982 gab es auch noch einen neofranquistischen Putschversuch in Madrid. Solange 140.000 Leichen in spanischer Erde liegen, ist dies ein Grund mehr, diesen Staat zum Erliegen zu bringen. „By any means necessary“, um mit Malcolm X zu sprechen.

Welche Rolle spielt diese Erkenntnis in der aktuellen Praxis der revolutionären Linken nach dem Ende des bewaffneten Kampfs im Baskenland?

Klaus: Diese Erkenntnis verbreitet sich immer mehr. Vor allem in der Linken, in abgestufter Form, wird die Notwendigkeit der Aufarbeitung von verschiedenen Organisationen geteilt. In der Sozialdemokratie gibt es sicherlich auch ein paar Ehrliche, die den Franquismus aufarbeiten wollen. In den Resten der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) ebenfalls. Auch bei Podemos. Doch am Recht auf Selbstbestimmung – so urdemokratisch das sein mag – scheiden sich die Geister. Die meisten Einsichtigen sind sicher in Katalonien und im Baskenland zu finden – interessanterweise sowohl im linken wie im rechten Lager.

Von einer „revolutionären Linken“ zu sprechen wäre aber übertrieben. Wir sehen Ansätze, aber keine Bewegung, die die Bezeichnung derzeit verdient. Wenn Revolution Umwälzung bedeutet, trifft dies derzeit am ehesten für Katalonien zu. Wenn auch nur bedingt unter linken Vorzeichen. Die Linke im Baskenland befindet sich in einer anderen Etappe. Der mehrheitliche Teil setzt auf Realpolitik in den Parlamenten und ist dabei, die Bodenhaftung zu verlieren, nach dem Beispiel der deutschen Grünen vor 30 Jahren. Gegen diese Tendenz formiert sich eine außerparlamentarische Opposition, die Konturen sind aber noch nicht besonders klar. Die Etappe des bewaffneten Kampfes ist noch zu nah, um die Debatte um linke Neuorientierung nüchtern und vernünftig zu führen. Was uns bleibt ist, in den Basisbewegungen zu arbeiten und dort Gegenmacht aufzubauen, mit oder ohne institutionelle Unterstützung. Was zählt ist die Straße, die feministische Bewegung, die Nachbarschaftsarbeit, die Flüchtlingsarbeit, die direkte Solidarität, die Mobilisierung der Menschen für all das.

Im Baskenland haben wir nicht die schlechtesten Voraussetzungen für eine Neudefinition von linker Politik. Immerhin stehen wir nicht mit dem Rücken zur Wand wie in vielen europäischen Ländern, wo die Ultra-Rechte ganze Regierungen übernimmt. Linke Ideen stehen hier nach wie vor hoch im Kurs. Konzepte für den großen Wurf hat derzeit niemand, wir machen uns da nichts vor. Es ist ein sehr schlechtes Zeichen, wenn in Europa oder Amerika ganze Arbeiter*innenviertel in die Lager der Ultra-Rechten wechseln. Das ist nicht nur einer faschistoiden Propaganda geschuldet, sondern auch unseren eigenen Mängeln. Wo hat die Linke noch eine ideologische Hegemonie? Vielleicht im Baskenland. Wir müssen Überzeugungsarbeit leisten, nicht nur mit Worten, sondern mit konkreter Arbeit. Basisarbeit. In der Nachbarschaft, bei Hausbesetzungen, mit Selbstorganisation, Geflüchtetenarbeit und internationaler Solidarität. Revolutionäre Diskurse sollten wir uns für andere Momente sparen.

Quelle:

re:volt magazine

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