Die Verteidigungsrede von Max Zirngast

Wir dokumentieren hiermit die Verteidigungsrede von Max Zirngast vom 11. April 2019 vor der 26. Strafkammer für schwere Straftaten in Ankara.

Sehr geehrtes Gericht,

ich möchte zu Beginn betonen, dass ich im gesamten bisherigen Verlauf unserer Festnahme und Verurteilung alle Aussagen auf Türkisch gemacht habe. Heute wollte ich mich in meiner Muttersprache Deutsch verteidigen. Ich bin hier angeklagt und war drei Monate im Gefängnis, daher sehe ich es als mein Recht an, mich hier auch auf Deutsch verteidigen zu können. Ich könnte das auch, aber die Kosten für die Übersetzung müsste ich selbst aufbringen. Da ich das aus Prinzip ablehne, verteidige ich mich nun auf Türkisch.

Ich werde mich zu den Anschuldigungen äußern. Ich bin aber gezwungen, ein paar Worte zu sagen zu dem Eindruck, der durch die Anklage und bestimmte Behauptungen entstehen soll. Am Tag nach meiner Verhaftung im letzten September veröffentlichte die türkische Zeitung Sabah einen Text mit dem Titel „Agententätigkeit im Journalismus-Tarnmantel“. Entgegen jeder journalistischen Ethik sollte mit bodenlosen Behauptungen, die von keiner Institution der Republik Türkei jemals aufgestellt worden waren, eine Schmutzkübelkampagne gegen mich initiiert werden. Darüber hinaus habe ich bestimmte Behauptungen und Andeutungen in der rechtswidrigen Befragung im Polizeigewahrsam als den Versuch verstanden, eine Agententätigkeit meinerseits nahezulegen.

Ich bin kein Agent und in der Anklageschrift findet sich auch keine solche Behauptung. Ich beziehe mich trotzdem auf diesen Vorwurf, weil ständig hinterfragt wird, was ich hier als österreichischer Staatsbürger zu suchen habe. Warum auch immer wird angenommen, dass jeder Ausländer in der Türkei, der sich für die Türkei interessiert, vor allem wenn er Türkisch kann, ein „Agent“ ist. In Österreich gibt es zehntausende, ja hunderttausende Türkeistämmige. Einige von ihnen sind türkische Staatsbürger*innen, andere österreichische. Als ich noch in Österreich gelebt habe, habe ich mich für die Rede-, Meinungs- und Organisationsfreiheit aller dieser Menschen – unabhängig ihrer Staatsbürgerschaft – eingesetzt. Menschen müssen nicht derselben politischen Meinung mit mir sein, damit ich ihre Grundrechte verteidige. Ich verteidige universelle Werte und das tue ich überall.

Ich bin nicht gegen die Türkei, nichts läge mir ferner. Ich mag die Türkei. Als hier Bomben in die Luft flogen und ein Militärputsch stattfand, fingen insbesondere junge Studierende und ausländische Journalist*innen an, das Land zu verlassen. Ich bin hier geblieben. Ich habe auch die Sprache sehr gut gelernt, ohne je einen Kurs zu besuchen. Wie Sie sehen können, kann ich mittlerweile so gut Türkisch, dass ich meine Verteidigung auf Türkisch halten kann. Ich fing an, mir hier ein Leben aufzubauen. Die Polizeirazzia und der anschließende Prozess haben dies behindert. Ich lebe nun in einer Zwischenwelt. Obwohl noch keine einzige Straftat bewiesen und ich noch von keinem Gericht verurteilt wurde, werde ich wie ein Schuldiger behandelt: Mein Aufenthaltstitel wird nicht verlängert, ich darf nicht mehr ins Ausland reisen. Zusätzlich wurde mein Anwalt, den ich während meines Gewahrsams und der Untersuchungshaft in meinem Namen beauftragt hatte, aus dem Verfahren entfernt und damit mein Recht auf Verteidigung beschränkt.

Ich habe als Journalist gearbeitet. Seit Jahren habe ich zur Türkei aber auch zu anderen Themen in drei Sprachen – Englisch, Deutsch und Türkisch – geschrieben. Zur Türkei schreibe ich seit 2013 – ich fing damit also noch vor meinem Aufenthalt in der Türkei an. Ich wollte hier meine Kenntnisse zur Türkei vertiefen. In Reaktion auf die Polizeioperation und das Verfahren werden viele meiner Artikel gebündelt in einem Essayband erscheinen, dort können sie dann alle lesen. Ich werde auch weiterhin schreiben. Ich habe immer mit einer bestimmten Haltung und einer bestimmten Sicht auf die Dinge geschrieben, niemals jedoch wissentlich Falsches. Ich habe versucht, alles mit Beweisen zu unterfüttern. Was ich geschrieben habe, besteht aus strukturellen Analysen und politischen Interpretationen, nicht aus persönlichen Beleidigungen. Sowas interessierte mich nicht und interessiert mich weiterhin nicht. Für die legale und registrierte Zeitung Toplumsal Özgürlük habe ich kürzere Artikel zu weltpolitischen Angelegenheiten geschrieben. Außerdem habe ich der Redaktion mit meinem Wissen und meinen Fähigkeiten geholfen. Ich stehe dahinter und werde das auch weiterhin tun.

Ich bin ein Sozialist; ich habe das niemals geleugnet oder etwas Gegenteiliges behauptet. Ich habe meine politische Meinung stets kundgetan, meine Arbeit als Journalist und meine politischen Aktivitäten habe ich stets öffentlich vollzogen. Alles, was ich getan habe, ist legitim und legal, unter allem steht meine Unterschrift. Meine Artikel sind frei zugänglich, ich stehe hinter ihnen. Etwas Anderes verteidige ich nicht. Ich habe nichts Illegales getan und auch nicht Illegales verteidigt. Falls in den hunderten von Seiten an Text, die ich geschrieben habe, auch nur ein Satz die Verteidigung illegaler Aktivitäten beinhaltet oder zu diesen aufruft, dann soll mir das konkret vorgelegt werden. Dann werde ich dazu Stellung beziehen. Aber so etwas wird sich nicht finden lassen. Ich weiß nicht, wie ich mich verteidigen soll, da es in der Anklage nichts gibt, was einen Straftatbestand darstellen könnte.

Außer meinen schriftstellerischen, journalistischen und redaktionellen Tätigkeiten halte ich auch Vorträge und werde das auch weiterhin tun. Außerdem habe ich, so ich Zeit und Energie hatte, kostenlose soziale Aktivitäten wie Fremdsprachenkurse und Philosophie-Workshops (mit-)organisiert. Diese Dinge finden sich in der Anklageschrift wieder. Ich frage mich: Was davon stellt denn einen Straftatbestand dar? Da hat man sich solche Mühen um uns gemacht, uns zwei Monate lang polizeilich verfolgt, fünf Monate lang unsere Telefone abgehört, unsere Handys, Computer und Wohnungen penibel durchsucht und alles, was gefunden wurde, ist das. Nichts davon, was seinen Weg in die Anklageschrift gefunden hat, hat irgendetwas mit der Mitgliedschaft in der Terrororganisation zu tun. Vielmehr steht unser ganzes Leben in dieser Anklageschrift drin. Selbstverständlich gehen wir in Cafés und unterhalten uns mit Menschen, reisen in unterschiedliche Städte, treffen Menschen an unterschiedlichen Orten und lesen Bücher.

Es heißt, ich hätte einen Philosophie-Workshop im Serüven Kulturverein organisiert. Ja, das habe ich. Ich bin ein Absolvent der Philosophischen Fakultät. Wir haben ein paar Sitzungen zur antiken griechischen Philosophie abgehalten. Platon, Aristoteles, Sokrates – sollen das etwa Terroristen sein? Es heißt, ich hätte Englischunterricht mit Kindern gemacht. Ja, das habe ich. Und zwar kostenlos, ich habe dafür kein Geld genommen. In meiner Freizeit habe ich Nachhilfeunterricht für Kinder aus ärmeren Familien abgehalten. Eine universitäre ökologische Organisation namens Doğanın Çocukları [Kinder der Natur; Anm. d. Übers.] hat mich um Vorträge angefragt, die ich dann auch gehalten habe. Außerdem hätte ich Artikel dieser Organisation zu ökologischen Themen geteilt, die diese auf ihrer Facebook-Seite veröffentlicht hat. Ja, all das habe ich getan. Ich habe auch zu ökologischen Themen gearbeitet und auch einige wissenschaftliche Texte zu diesem Themengebiet übersetzt. Ich wollte, so gering er auch ist, meinen Beitrag gegen die ökologische Krise und den Klimawandel leisten. Ob in der Türkei oder sonst wo. Was ich für richtig befinde, das mache ich auch, egal wo ich mich befinde.

Meine Tätigkeiten beschränken sich aber nicht auf diese Dinge. Ich habe an Veranstaltungen von Studierendenclubs meiner Universität, der ODTÜ [Technische Universität des Mittleren Ostens; Anm. d. Übers.] teilgenommen und letzten Sommer habe ich auf einem Camp, das von veganen Aktivist*innen organisiert wurde, einen Vortrag gehalten. Ich habe wissenschaftliche Vorträge in der Türkei, aber auch in anderen Ländern, gehalten und mich an vielen weiteren Aktivitäten beteiligt. Aber all das wird in der Anklageschrift nicht erwähnt, denn das passt nicht zum Eindruck, der hergestellt werden soll. Die Anklageschrift präsentiert deshalb eine sehr verzerrte Version meiner Identität und meiner Tätigkeiten.

Herr Richter, die Vorwürfe haben weder Hand noch Fuß. Ich bin nicht Mitglied der infrage stehenden vermeintlichen Organisation, meine Kenntnisse über sie sind sehr dürftig und entstammen zu einem Großteil der Anklageschrift. Wie ich mehrmals erwähnt habe, wird darin versucht, einen bestimmten Eindruck zu vermitteln. Jede Person, die diese Anklageschrift durchblättert, kann sofort sehen, dass darin kein einziger konkreter Delikt aufgelistet ist. Zum Beispiel wird versucht, den Eindruck zu vermitteln, als ob ich nur die Mitangeklagten und ein, zwei andere Personen in der Türkei kennen würde. In den dreieinhalb Jahren meines bisherigen Türkeiaufenthaltes habe ich hunderte von Menschen kennengelernt und bin weiterhin im Kontakt mit ihnen. Ich bin durch die Provinzen gereist und habe viele Menschen getroffen. Natürlich habe ich das getan. Als Journalist und Akademiker aber ebenso wegen meines sozialen und politischen Engagements habe ich das selbstverständlich gemacht, das liegt in der Natur der Sache. Ich habe ganz besonders zur Geschichte der Linken in der Türkei gearbeitet, an der Universität wie in meinen Texten. Ich selbst bin, wie schon gesagt. Sozialist. Deshalb ist es wenig überraschend, dass ich meine Zeit oft mit linken, sozialistischen Menschen verbringe.

An der ODTÜ habe ich einen Vortrag zu Hikmet Kıvılcımlı im Seminar „Politische Ideologien in der Türkei“ gehalten. Nun fungieren die Bücher von Kıvılvımlı in meinem Besitz als Indizien in der Anklageschrift. Wofür sollen diese Bücher denn Indizien sein? Das interessiert mich wirklich. Bücher kann man nicht wirklich verbieten und wenn Bücher verboten wären, dann würde ich mich dagegen stellen. Aber die zur Rede stehenden Bücher sind ja noch nicht einmal verboten. Die kann man ganz normal in Buchläden kaufen, an der Universität werden sie im Rahmen von Seminaren gelesen. Außerdem besitze ich hunderte weitere Bücher, Literatur wie wissenschaftliche Publikationen, manche von Autor*innen eher rechter Anschauung, manche von solchen eher linker Anschauung. Ich wiederhole nochmal: Eine Handvoll dieser Bücher auszuwählen und sie in eine Anklageschrift zu packen ist nichts anderes als der Versuch, einen bestimmten Eindruck herzustellen. Die Vorwürfe basieren alle auf diesem beabsichtigten Eindruck.

Dann wird behauptet ich hätte Geld an bestimmte Personen geschickt. Ja, das habe ich getan. Ich habe kleinere Mengen an Geld an bestimmte Freund*innen geschickt, als Unterstützung oder aus anderen Gründen. Ich frage mich ernsthaft, welche Terrororganisation ich mit diesen kleinen Beträgen finanziert haben soll. Aber so wirklich wird das auch gar nicht behauptet. Dann aber ist es schlicht unverständlich, warum diese Details meines Privatlebens so penibel aufgeführt werden in der Anklageschrift. Auch hier geht es um den Versuch, einen bestimmten Eindruck zu vermitteln; der Eindruck als ob irgendetwas Geheimes, Anrüchiges stattfindet. Aber es gibt nichts Geheimes. Wie sie selbst sehen können lege ich ja alles offen, was ich getan habe. Ich will aber nicht in Zusammenhang gebracht werden mit Sachen, die ich nicht begangen habe oder nicht richtig finde, und werde diesbezüglich auch keine Verteidigung vornehmen.

Ich fasse zum Ende zusammen: Es gibt keinen Beweis, noch nicht mal eine konkrete Anschuldigung bezüglich einer Straftat meinerseits. Und das, trotz aller polizeilichen Observation und telefonischen Abhörung. Es gibt keinen Beweis dafür, dass ich etwas Illegales getan habe. Eigentlich reicht schon das allein für einen Freispruch. Es gibt auch keinen Beweis für die Existenz der in Frage stehenden Organisation. Falls es eine solche Organisation geben sollte: Was genau soll meine Stellung darin sein? Mit wem habe ich mich diesbezüglich getroffen? Wer leitet diese Organisation? Wie habe ich Kontakt aufgenommen mit dieser Organisation? Die Anklageschrift besteht nur aus Feststellungen hinsichtlich dieser zu klärenden Fragen – aber ohne irgendetwas Konkretes im Sinne dieser Feststellungen ins Feld zu führen. Es sollte nicht so einfach sein, Menschen mit so schweren Anschuldigungen vor Gericht und ins Gefängnis zu bringen. Es ist offensichtlich, dass meine grundlegenden Rechte und Freiheiten verletzt wurden. Alles, was ich getan habe, ist gedeckt von den grundlegenden zivilen und Menschenrechten wie zum Beispiel von der Meinungs-, Presse-, Wissenschafts- und Reisefreiheit. Deshalb fordere ich das Gericht dazu auf, dieses Unrecht aufzuheben und mich freizusprechen. Wegen der Ausreisesperre kann ich mein eigenes Land, meine Familie nicht mehr besuchen. Deshalb fordere ich im Besonderen, dass zumindest die Ausreisesperre für die Dauer des Verfahrens aufgehoben und mir eine provisorische Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.

Aus dem Türkischen übersetzt von Alp Kayserilioğlu.

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