Geschlechterkrieg

Frauengruppen werfen der türkischen Regierung wegen ihrer Pläne, sich aus der internationalen Konvention zu geschlechtsspezifischer Gewalt zurückzuziehen, „politischen Mord“ vor. Der Femizid habe in der Türkei Zahlen erreicht, die einem Kriegsbericht ähnelten.

Aktivistinnen der „Initiative zur Befreiung der Frauen“ gehörten zu denjenigen, die am Dienstag vergangener Woche trotz starker Polizeipräsenz eine „lila Kette“ vor dem Sureyya-Opernhaus im Istanbuler Stadtteil Kadiköy bildeten.
Sie hielten Plakate mit den Bildern von Frauen hoch, die im vergangenen Jahr getötet wurden oder verschwunden sind, darunter die Usbekin Nadira Kadirova, die angeblich in der Wohnung des AKP-Abgeordneten Sirin Unal Selbstmord begangen hat, und die kurdische Studentin Gulistan Doku, die nach einem Streit mit ihrem Exfreund in Dersim am 5. Januar vermisst wurde.

In der Türkei wird die Zahl der Femizide nicht erfasst, aber inoffiziellen Statistiken zufolge wurden allein im Jahr 2019 474 Frauen von ihren Partnern getötet.

Die Todesfälle seien das Ergebnis der „frauenfeindlichen und männerfeindlichen Politik der AKP“, so die Frauenrechtlerin Esra Can. Laut ihr wurden seit der Machtübernahme der Partei tausende von Frauen getötet. Frauenrechtsgruppen warnen vor einer Unkultur der Straflosigkeit mit reduzierten Strafen für geschlechtsspezifische Gewalt und vielen ungeklärten Morden.

Trotz des Anstiegs der Femizide kündigte die türkische Regierung Anfang dieses Monats an, dass sie beabsichtige, sich aus der Istanbuler Konvention zurückzuziehen, ein Schritt, der, wie die Plattform „Wir werden die Femizide stoppen“ warnt, den Weg für mehr Gewalt gegen Frauen ebnen werde.

Der stellvertretende AKP-Vorsitzende Numan Kurtulmus prangerte die Unterzeichnung der Konvention im Jahr 2011, die das türkische Parlament im folgenden Jahr ratifiziert hatte, als „wirklich falsch“ an, da sie „LGBT und anderen Randelementen in die Hände gespielt“ habe. Die Istanbuler Konvention, die als ein Fortschritt für Frauen angesehen wird, verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, geschlechtsspezifische Kriminalität zu bekämpfen, Frauen Schutz und Dienstleistungen anzubieten und sicherzustellen, dass die Täter strafrechtlich verfolgt werden. Doch Konservative in der Türkei bestehen weiterhin darauf, dass die Gleichstellung der Geschlechter die Institution der Familie untergrabe.
Diese Ansicht spiegelt sich auch in der Regierung wider: Präsident Recep Tayyip Erdogan behauptete, es sei unmöglich, Frauen zu diskriminieren, obwohl die Türkei laut dem Gender Gap Index des Weltwirtschaftsforums eines der ungleichsten Länder der Welt ist.

Am Dienstag vergangener Woche wurden zahlreiche Frauen bei Polizeieinsätzen gegen Frauenorganisationen in der weitgehend kurdischen Stadt Diyarbakir festgenommen. Zu ihnen gehörten die Redakteurin von „Jin News“, Ayse Guney, und die Vorsitzende der Freien Frauenbewegung, Ayse Gokkan.

Übersetzung und Bearbeitung: Melina Deymann

Quelle:

UZ – Unsere Zeit