Österreich und Deutschland nehmen Flüchtlinge aus Budapest auf

Bahira ist eine beeindruckende Frau mit einem trotz ihrer Erschöpfung lebhaften Blick. Vor Wochen hat sie ihr Heimatland Syrien verlassen. »Einen Krieg zu erleben, vergisst man nicht. Dort, von wo wir kommen, ist es schrecklich, wir müssen weiter«, sagt sie uns, während sie im Flüchtlingslager am Bahnhof von Budapest, wo sie zusammen mit Tausenden weiteren Menschen die vergangenen Tage verbracht hat, schnell ihre Habseligkeiten zusammenpackt. Bahira packt ein, weil sie wegfährt. Auf der Straße stehen Dutzende Autobusse, die von den ungarischen Behörden bereitgestellt wurden, um sie an die österreichische Grenze zu bringen.

»Sie haben uns gesagt, dass sie uns nach Österreich bringen. Kommt ihr Journalisten mit uns? Kommt bitte mit, damit es keine Probleme gibt«, bitten uns einige der Flüchtlinge. Sie fürchten, dass das Ziel der Reise doch nicht die österreichische Grenze ist, sondern ein Lager. »Ihr fahrt an die österreichische Grenze, dort steigt ihr aus und geht zu Fuß nach drüben«, erklärt ihnen eine ungarische Freiwillige, während sie Getränke an die in die Busse einsteigenden Menschen verteilt. Zuvor hatten Österreich und Deutschland grünes Licht für die Einreise der Flüchtlinge gegeben.

»Ist das hier ein europäisches Land?«

»Ich habe den ganzen Weg aus Syrien hinter mich gebracht, damit ich in ein Lager gesteckt werde? Ist das hier ein europäisches Land? Ist das hier Europa?« fragt verzweifelt ein Mann, der aus der syrischen Stadt Daraa stammt. Doch trotz seiner Zweifel, der Müdigkeit und der hinter ihm liegenden harten Tage steigen er und seine Leidensgefährten in die Busse ein. Daneben steht ein riesiges Polizeiaufgebot, zahlreiche Straßen sind für den Verkehr gesperrt und von oben beobachtet alles ein kreisender Hubschrauber.

Aus den Fenstern einiger Busse zeigen junge Iraker und Afghanen mit den Fingern das Siegeszeichen. »Wir fahren weiter, nach Deutschland!« feiern sie freudestrahlend. »Wir haben es geschafft!« Ahmed aus Hasaka berichtet: »Die Flucht vor Daesh (Islamischer Staat) aus Syrien bis hierher hat mich 4000 Dollar gekostet.«

Bahira gehört mit ihrer Familie zu den ersten, die in die Busse einsteigen. Sie machen es sich auf den Sitzen bequem, und die noch kleinen Kinder schlafen fast sofort ein. Innerhalb von Minuten ist das Lager am Bahnhof fast leer, zurück bleiben Essensreste und Habseligkeiten, die nicht mehr in die Koffer gepasst haben. Auch die Misstrauischen steigen schließlich in die Fahrzeuge ein.

Nach 2 Uhr morgens setzen sich auch die letzten Busse in Bewegung. Viele winken aus den Fenstern. Nur zweieinhalb Stunden später betreten sie österreichischen Boden. Auf dem Weg bis hierher haben sie Freunde gefunden und Erlebnisse geteilt. »Eines Tages werde ich meinen Kindern erzählen, was wir erlebt haben. Das vergisst man nicht«, hat uns Bahira gesagt, bevor sie in den Bus gestiegen ist. Einen Krieg vergisst man nicht. Und den Weg nach Europa auf der Suche nach einer Zuflucht auch nicht. Es ist bereits für sich ein Kapitel der Geschichte. Ihrer Geschichte und unserer Geschichte.

Der »Marsch der Hoffnung«

Am Freitag hatten sich Hunderte Flüchtlinge aufgemacht, um zu Fuss nach Österreich zu gelangen. Sie brachten den Verkehr auf der ungarischen Autobahn zum erliegen und demonstrierten ihre Entschlossenheit, sich nicht von ihrem Weg abbringen zu lassen. Hunderte Ungarn schlossen sich ihnen an, unterstützten sie mit Essen, Trinkwasser, Kleidung.

»Das ist eine schöne, friedliche Geste, die für sich schon die Logik des Menschen zeigt, der einen sicheren Ort zum Leben sucht. Etwas so großes und menschliches wie dieser Marsch gibt die Politiker, die sich weigern, die Realität zur Kenntnis zu nehmen und angemessene Lösungen zu finden, der absoluten Lächerlichkeit preis«, sagte ein ungarischer Freiwilliger dem spanischen Onlineportal eldiario.es.

Ungarn ist der ideale Hexenkessel, um das größte humanitäre Drama in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg für Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu instrumentalisieren. Die Zutaten dafür sieht man in diesem Land auf den ersten Blick. Hier in Budapest stehen einerseits die schönen Gebäude am Ufer der Donau mit ihren romantischen Terassen, und auf der anderen Seite Gruppen von Neonazis, die keine Scheu hatten, in aller Öffentlichkeit ihre Ablehnung und ihren Hass auf die Flüchtlinge zu zeigen. Noch am Freitag hatten zahlreiche Ultrarechte die Flüchtlinge provoziert, indem sie Rauchbomben auf sie schleuderten und sie beschimpften.

Die Solidarität zahlreicher Ungarn steht in absolutem Kontrast zu der Untätigkeit, mit der die ungarische Regierung die Flüchtlinge leiden ließ. Regierungschef Viktor Orbán, dessen Partei wie die deutsche CDU/CSU der Europäischen Volkspartei angehört, stilisiert sich zum Retter der »europäischen Identität« gegen eine muslimische Gefahr.

Quelle: eldiario.es (CC-BY-SA) / Übersetzung: RedGlobe

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