Ein Gespenst geht um…

Nein, es ist nicht das »Gespenst des Kommunismus«, von dem Karl Marx und Friedrich Engels im Jahre 1848 schrieben, daß sich alle Mächte des alten Europa gegen die aufkommenden neuen Ideen verbündet haben. Allerdings dürfte das Ergebnis der jüngsten Wahlen in Bolivien die Mächte des alten Amerika in einen gehörigen Schrecken versetzt haben. Nach ersten Zahlen erhielt der Kandidat der Bewegung zum Sozialismus (MAS), Luis Arce, deutlich mehr als 50 Prozent der Stimmen und kann damit rechnen, ohne eine erneute Stichwahl neuer Präsident des Andenstaates zu werden. Auch die Vorschrift, daß der Kandidat gewählt ist, der über 40 Prozent erreicht mit einem Abstand von zehn Prozentpunkten vor dem zweitplazierten, ist erfüllt, denn der Spitzenmann der Rechten, der frühere Präsident Carlos Mesa, kann bisher nur 31,5 Prozent vorweisen.

Es mag sein, daß sich die vorläufigen Zahlen noch ein wenig ändern, wenn alle Stimmen ausgezählt sind, doch das Endresultat dürfte kaum zu erschüttern sein – wenn alles mit rechten Dingen zugeht. Und genau das ist der entscheidende Punkt bei diesen Wahlen.

Bei den vorigen Wahlen vor genau einem Jahr, am 20. Oktober 2019, erzielte Evo Morales, ein früherer angesehener Anführer der Gewerkschaft und seit 2006 erster indigener Präsident Boliviens, ein Resultat von 47,1 Prozent, sein rechtskonservativer Herausforderer Carlos Mesa kam auf 36,5 Prozent. Bei Befolgung der Regeln hätte Evo Morales also diesen Wahlgang gewonnen, doch die Rechten wollten sich einfach nicht damit zufrieden geben, noch weiter in ihren Bestrebungen nach unbegrenztem Reichtum auf Kosten des Volkes eingeschränkt zu werden.

Kurzerhand wurden Unruhen organisiert, Manipulationsvorwürfe verbreitet, das Militär mobilisiert. Als dann die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die unter der Fuchtel der USA-Administration steht, ebenfalls von »Wahlbetrug« schwadronierte, wurde der wiedergewählte Präsident kurzerhand aus dem Amt und aus dem Land geputscht. Seitdem wurde buchstäblich alles unternommen, um einen erneuten Wahlsieg der MAS zu vereiteln.

Ohne Erfolg, wie sich am Sonntagabend zeigte. Das Ergebnis von 52,4 Prozent für »Lucho« Arce dürfte selbst die Anhänger der MAS überrascht haben. Die mageren Prozente des rechten Expräsidenten haben dagegen ganz sicher in den Vierteln der Reichen, in den Büros der Putschistenregierung, aber auch in Washington blankes Entsetzen ausgelöst. Seit Sonntagabend ist man nun sicher fieberhaft am Basteln einer Strategie, um entweder das Votum noch zu verändern oder aber durch einen Putsch im Putsch schlicht auszulöschen. Ob das gelingen kann, hängt nicht nur von den Waffen des Militärs ab. Es wird sich zeigen, ob das Volk bereit ist, sich noch einmal einen Wahlsieg nehmen zu lassen.

Es ist das Gespenst der Politik des Evo Morales, der in den Jahren seiner Regierungszeit die Macht der ausländischen Monopole eingeschränkt und im Zaume gehalten, die Zahl der von Armut Betroffenen um 25 Prozent, die von extremer Armut Betroffenen um 23 Prozent verringert und die Arbeitslosenquote von rund neun auf drei Prozent reduziert hat. Auch Arme erhielten Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung, die Zahl der Analphabeten wurde von 13,3 Prozent im Jahr 2006 bis 2018 auf 2,4 Prozent verringert. Diese und viele andere Errungenschaften konnten die Putschisten nicht vergessen machen. Dieses Gespenst geht um, nicht nur in Bolivien…

Uli Brockmeyer

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek