Brief von Timochenko an Oscar „El Paisa“

„Der Versuch, die Vergangenheit wiederzubeleben, ist möglicherweise nicht die beste Entscheidung“ – oder wie ein Brief die interne Zersplitterung der FARC darlegt und den Versuch die Wogen zu glätten

Kurz vor der dritten Plenartagung „Vereint kämpfend für den Frieden bis zu unserem zweiten Kongress“ der FARC als Partei, das höchste Gremium und in dem die Delegierten der Partei aus allen Verbänden und Ortsgruppen zusammenkommen, sendet der Vorsitzende einen sehr persönlichen Brief an Oscar alias „El Paisa“, von dem sein Aufenthaltsort in der Region El Pato unbekannt ist und der enorme Zweifel am Friedensprozess hegt.

In dem Brief schlägt der Vorsitzende der ehemaligen aufständischen Bewegung und heutigen Partei vor, zu dem Ort zu reisen, an dem er sich befindet und um ihn nach Bogotá zu begleiten, um dort vor der Sonderrechtsgerichtsbarkeit zu erscheinen. Dort muss sich „El Paisa“ einfinden, da durch sein Verschwinden ein Prüfauftrag gegeben wurde, ob er noch unter die Sondergerichtsbarkeit für den Frieden und damit alle Vorzüge der Wiedereingliederung fällt. Im schlimmsten Fall droht dem ehemaligen Kommandanten der mobilen Kolonne „Teófilo Forero“ ein Haftbefehl.

Damit legt die Partei FARC in Form ihres Vorsitzenden eine ihrer letzten Möglichkeiten dar, um die interne Zersplitterung und Unzufriedenheit von ehemaligen Kämpfer*innen zu beenden. Denn derzeit gibt es einige ehemalige Kommandanten, die aus der Öffentlichkeit verschwunden sind und es Mutmaßungen gibt, dass sie sich mit dissidentischen Gruppen verbünden könnten. Bei den Dissidenten gibt es gerade große Anstrengungen, ehemalige Strukturen der Guerilla neu zu beleben und zu vereinen.

Ehemalige Kämpfer wie Iván Márquez, Oscar „El Paisa“, Aldinéver Morantes, Édison Romaña, Albeiro Córdoba, Iván Ali, Enrique Marulanda, Iván Merchán und Rusbel Marulanda haben mehrmals Kritik an der derzeitigen Situation, der fehlenden Umsetzung des Vereinbarten gepaart mit eigenen Sicherheitsrisiken, geäußert. So gab es undurchsichtige Militäroperationen, wo die genannten ehemaligen Kommandierenden mit ihrer Verhaftung rechneten. Sie hegen großes Misstrauen gegen die Regierung, die schon mehrmals versuchte, trotz internationalen Drucks, den Friedensprozess zu torpedieren.

Durch ihre Kritik und durch ihr „Verschwinden“ stehen sie konträr zu den Plänen der kollektiven Wiedereingliederung der FARC und schwächen die FARC wesentlich, weil sie in der Basis ein gutes Ansehen haben. Viele ehemalige Kämpfer*innen fühlen mit ihnen und erleben ähnliche Frustration und Hoffnungslosigkeit. In gewisser Hinsicht geben sie damit Munition an diejenigen, die nicht an die Vereinbarung geglaubt haben und die moralisch in selbe Widersprüche zum laufenden Friedensprozess verwickelt sind.

Wenige Tage vor der Plenarsitzung der FARC in der Hauptstadt Bogotá versucht der Vorsitzende Timochenko nun die Wogen innerhalb der Bewegung zu glätten und macht zugleich deutlich, dass nicht alles im Friedensprozess und in der Umsetzung der Vereinbarungen rund gelaufen ist. „Ich bin mir der Schwierigkeiten und Ängste bewusst, die bei dir die Verhinderung der Teilnahme an nationalen Parteiereignissen ausgelöst haben. Die Dinge erscheinen wirklich nicht so, wie wir es in den Gesprächen von Havanna gedacht hatten, geschweige denn, wie sie in der endgültigen Vereinbarung aufgenommen wurden“, schreibt er.

Dabei reflektiert Timochenko die letzten Dekaden des Kampfes und Krieges und dass die Strategie der politisch-militärischen Machtübernahme wie in den Guerilla-Konferenzen vereinbart, nicht funktioniert hat. „Die Havanna-Abkommen müssen als das Endergebnis all dieser Kampfjahre gesehen werden. Sie schließen unseren Traum von der Machtübernahme der kolumbianischen Bevölkerung nicht ab. Sie markieren einfach einen anderen Weg zum Krieg. Hier sind wir, in eine politische Partei verwandelt, die uns nicht weniger zu Revolutionären macht. Im Gegenteil, es stellt unsere Intelligenz vor neue Herausforderungen, die Notwendigkeit, die Mehrheit für den Frieden zu gewinnen.“

Am Ende schreibt Timochenko an Oscar, dass sich die Zeiten geändert haben und mit ihnen die Rolle, die Organisationen und Führungskräfte spielen müssen. Zurückgehen und zu versuchen die Vergangenheit neu zu beleben, die der Großteil des Kollektivs hinter sich gelassen hat, kann nicht das beste sein. Es bleibt abzuwarten, wie die Antwort von Oscar aussehen wird und ob er vor der Sondergerichtsbarkeit auftauchen wird. Seine Frist dafür läuft in wenigen Tagen ab.

Quelle:

Kolumbieninfo – Widerstand in Kolumbien