Díaz-Canel kündigt neues Wirtschaftsmodell an

Ab Montag werden auf Kuba zunächst 72 Geschäfte Lebensmittel und Hygieneprodukte in Dollar verkaufen, gleichzeitig entfällt die 10-prozentige Steuer auf die Benutzung der US-Währung. Der Schritt ist Teil eines umfangreichen Maßnahmenpakets, welches Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel gestern auf einer Sondersitzung des Ministerrats vorstellte.

In dessen Rahmen wird der nicht-staatliche Sektor auf der Insel weiter ausgebaut und professionalisiert, um neue Wertschöpfungsketten für den Export zu schaffen. So erhalten Privatunternehmen erstmals eine eigene Rechtsform und dürfen über den Staat am Außenhandel mitwirken. Im abendlichen TV-Programm „runder Tisch“ (Mesa Redonda) gaben Regierungsvertreter weitere Details der Reformen bekannt, mit denen das Land den Folgen der Corona-Pandemie begegnen und gleichzeitig strukturelle Probleme der Wirtschaft lösen will.

Rede von Miguel Díaz-Canel:

  • Kuba befindet sich derzeit inmitten einer weltweiten Gesundheits- und Wirtschaftskrise, welche durch die Covid-19-Pandemie ausgelöst wurde“, begann Díaz-Canel seine Rede. Der vollständige Einbruch des Tourismus und die mehrfache Verschärfung der US-Blockade werde nicht spurlos an der Insel vorbeigehen und hat bereits zu Liquiditätsengpässen geführt, welche sich in Form von langen Schlangen und Mangel in den Geschäften bemerkbar machen.
  • Wir können auf wirtschaftlichem Gebiet nicht so wie bisher weitermachen, denn auf diese Weise werden wir nicht die Ergebnisse erreichen, die wir brauchen“, so Díaz-Canel. Aus diesem Grund hat das Politbüro vergangene Woche eine neue Wirtschaftsstrategie beschlossen, welche jetzt dem Ministerrat vorgelegt wurde, und „mit deren Umsetzung ab sofort begonnen wird“.
  • Die Maßnahmen basieren auf den Beschlüssen des letzten Parteitags, wie dem neuen Sozialismus-Modell, dem Entwicklungsplan 2030 und den Leitlinien der Wirtschafts- und Sozialpolitik (Lineamientos). Bei ihrer Erarbeitung wurden „Vorschläge aus der öffentlichen Debatte und von Akademikern, und sogar von den Gegnern der Revolution“ berücksichtigt.
  • Auch auf dem gesellschaftspolitischem Bereich habe man die Suche nach Bruchstellen der nationalen Einheit“ nicht aufgegeben, so Díaz-Canel, der als Beispiele künftiger Gesetzesvorhaben Themen wie die gleichgeschlechtliche Ehe, Rassismus, Gewalt gegen Frauen und den Tierschutz nannte. Die Revolution arbeite an der Beseitigung dieser Jahrhunderte alten Schulden.
  • „Je mehr Fronten sie eröffnen und je geringer die Fähigkeit unserer Institutionen ist, Probleme zu lösen, desto mehr erreichen die historischen Feinde der Revolution“, so Díaz-Canel. Deshalb müsse das Land zu einer neuen Kommunikationsstrategie übergehen. Die effektivste Weise zu kommunizieren sei allerdings Dinge umzusetzen, und sie richtig zu machen.“
  • Bereits seit vergangenem Jahr befinde sich Kuba in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation. Deshalb sei es notwendig, einen Teil des Einzelhandels zu Dollarisieren, wozu vor allem höherwertige Güter zählen. Die Grundversorgung in CUC/CUP soll jedoch beibehalten und durch die Öffnung der Strukturen für nationale Produzenten ausgedehnt werden. Auch wenn die Maßnahmen im Einzelhandel den Eindruck erwecken, dass nur wenige davon profitieren werden sie langfristig gesehen allen zu Gute kommen“, so Díaz-Canel, der bekräftigte dass niemand schutzlos zurückgelassen wird.“ Um die Grundversorgung zu verbessern, sollen im Juli und August zwei zusätzliche Pfund Reis pro Person zu nicht subventionierten Preisen verfügbar gemacht werden.
  • Derzeit würden letzte Analyse in Vorbereitung der Währungsreform abgeschlossen, die jetzt möglichst folgen soll, denn wenn wir sie umsetzen, werden fast alle Hemmnisse für die Entwicklung der Produktivkräfte wegfallen“, erklärte der Präsident.
  • Das wirtschaftliche Gefüge des Landes müsse mit Schärfe, Entschlossenheit und Innovation“ verändert werden, denn wirtschaftliche Entwicklung bedeutet nichts geringeres als das Wohlergehen des Volkes“, erklärte Díaz-Canel.
  • Die jetzigen Maßnahmen seien nicht improvisiert, sondern Grundlage einer integralen Strategie der wirtschaftlichen Entwicklung, welche 209 der „Leitlinien“ umfasst. Ihre Umsetzung sei mit Risiken verbunden, aber das größte Risiko wäre, nichts zu verändern, nicht zu transformieren und das Vertrauen und die Unterstützung des Volks zu verlieren“, so Díaz-Canel. Im Oktober soll das Parlament eine erste Zwischenbilanz über die Umsetzung der Reformen ziehen.

„Wir sind eins“ – Verzahnung aller wirtschaftlichen Akteure als Leitprinzip

  • Wirtschaftsminister Alejandro Gil stellte in der „Mesa Redonda“ die wesentlichen Aspekte des neuen Wirtschaftsmodells vor, welches auf einer umfangreichen Diagnose der Problemeberuhe und versuche, diese in integraler Weise zu lösen. Alle wirtschaftlichen Akteure sollen Zugang zum Außenhandel erhalten und unter ähnlichen Bedingungen operieren. Dadurch sollen neue Wertschöpfungsketten entstehen. Ob staatlich oder nicht: Wir sind eins, wir sind Kuba“, betonte Gil. Es umfasst sieben Hauptaspekte:
    1. Beibehaltung der zentralen Planung: unter neuem Charakter Statt wie bisher die Ressourcen administrativ zuzuteilen, sollen diese dezentral durch den Markt vermittelt werden.
    2. Verteidigung der nationalen Produktion und Beseitigung der Importmentalität
    3. Regulierung des Markts primär durch indirekte Methoden
    4. Verbindung der verschiedenen wirtschaftlichen Akteure im staatlichen wie im Privatsektor
    5. Berücksichtigung der dynamisierenden Rolle der Binnennachfrage: durch neue Arbeitsplätze soll mehr Kaufkraft geschaffen werden, welche zur Entwicklung der Wirtschaft beiträgt
    6. Mehr Autonomie für die staatlichen Unternehmen
    7. Umsetzung von Schlüsselkonzepten für die verschiedenen Eigentumsformen
    8. Neue Anreize für mehr Wettbewerb
    9. Berücksichtigung der Umwelt- und nachhaltigen Entwicklungspolicies
  • Transformationen in der Landwirtschaft: Priorität bei der Umsetzung des neuen Modells genießt der Agrarsektor. Kuba muss derzeit rund 70 Prozent aller im Land verbrauchten Lebensmittel importieren, in den kommenden Jahren soll sich dieses Verhältnis umkehren. Das Verhältnis zwischen staatlichen Agrarunternehmen und landwirtschaftlichen Produzenten soll sich verändern, Kredite, Bankdienstleistungen sowie ausländische Investitionen in dem Sektor an Bedeutung gewinnen. Das staatliche Abnahmemonopol, welches bisher 70% der Erzeugnisse umfasst, soll fallen: Wir brauchen eine Vermarktung ohne Monopolstrukturen, in der die Effizienz, die geringsten Kosten zwischen Produzent und Verkäufer, das wichtigste ist“, so Gil.
  • Autonomie der Staatsbetriebe: staatliche Unternehmen sollen künftig weitreichende Autonomie über betriebswirtschaftliche Entscheidungen (z.B. Löhne oder Vermarktung ihrer Produkte) erhalten. Außerdem werden die Unternehmen von ihren politisch auferlegten sozialen Zielvorgaben (z.B. Gratisleistungen für die Belegschaft) entbunden und dürfen sich in zusätzlichen Geschäftsfeldern betätigen. Die Ressourcenzuteilung soll nicht mehr zentralistisch-administrativ sondern über den Markt erfolgen.
  • Privatbetriebe erhalten eigene Rechtsform: künftig sollen „Mikro-, Klein- und mittlere Unternehmen“ eine eigene Rechtsform erhalten, mit denen sich diese sowohl als Privatbetriebe als auch im Staatssektor (z.B. als kommunale Betriebe) etablieren können. Die bisherigen Rahmenbedingungen legen private Wirtschaftstätigkeit als „Arbeit auf eigene Rechnung“ fest und zielen damit mehr auf kleine Selbstständige. Viele Privatbetriebe haben sich allerdings inzwischen längst vergrößert und professionalisiert, so dass der rechtliche Rahmen nicht mehr passend ist, wie Raúl Castro auf dem letzten Parteitag 2016 einräumte. Damals wurde beschlossen, Privatbetriebe mittlerer Größe zuzulassen. Die Ausgabe von Lizenzen für private Unternehmen soll künftig „verändert und flexibilisiert“ werden. Gleichzeitig wurde das Ende des Experiments der nicht-agrarischen Genossenschaften (CNoAs) beschlossen: diese sollen künftig als neue Akteure größeren Raum in der Wirtschaft erhalten. Mit der Verzahnung von Staats- und Privatsektor, Genossenschaften, Mikro- und mittleren Betrieben sollen sich neue Wertschöpfungsketten bilden. Diese können einerseits auf den Export orientieren, aber auch neue Produkte für den Binnenmarkt produzieren, welche im staatlichen Einzelhandel gegen CUC/CUP oder US-Dollar verkauft werden.
  • Zugang zu Großmarkt und Außenhandel für Privatsektor: sämtliche nicht-staatliche Eigentumsformen (also Privatbetriebe, Genossenschaften und Kleinbauern) werden ihre Produkte über Staatsfirmen auf dem Weltmarkt in US-Dollar exportieren und über den selben Weg Produkte importieren können. Exporte bzw. Importe sollen auf Vertragsbasis zwischen Privatsektor und den 37 dafür autorisierten Staatsunternehmen ausgehandelt werden können. Ein Teil der Erlöse wird den Privatbetrieben in US-Dollar gutgeschrieben, der Rest in CUC/CUP. Agrar-Kooperativen können ihre Produkte zudem an Firmen in der Sonderwirtschaftszone von Mariel (ZEDM) gegen Dollar verkaufen und dürfen 80 Prozent der Gewinne behalten. Auch das diplomatische Personal und internationale Organisationen auf Kuba erhalten über ein Dollarkonto Zugang zu der neuen Importstruktur.
  • Neue Lebensmittel-Supermärkte in US-Dollar: ab Montag werden landesweit zunächst 72 Läden (davon 15 in Havanna und mindestens 2 pro Provinz) Lebensmittel und Hygieneprodukte in US-Dollar verkaufen. Auch 15 Baumärkte sind darunter. Die Bezahlung erfolgt ausschließlich per Girokarte, die bisher gültige 10-prozentige Steuer auf Dollartransaktionen entfällt. An den Geldautomaten wird weiterhin nur CUC/CUP ausgegeben, so dass der Dollar nicht als Bargeld zirkulieren wird. Die bestehenden CUC-Läden werden ein reduziertes Sortiment aus 47 Basisprodukten (z.B. Speiseöl, Hühnchen, etc.) unterhalten. Ab August sollen weitere Dollarläden in Form von Möbel- und Einrichtungsgeschäften hinzukommen. Zuletzt sind im vergangenen Oktober 80 Geschäfte dazu übergegangen, Haushaltsgeräte und Autoteile in US-Dollar und anderen Devisenwährungen zu verkaufen.
    • Liste der neuen Dollarläden der Ketten „TRD Caribe“ und „Cimex“ (PDF).

Quelle:

Cuba heute