Offene Erpressung – Frankreichs Neokolonialismus im Libanon

Es waren erschütternde Bilder, die Anfang August um die Welt gingen: Eine Explosion im Hafen von Beirut zerstörte ganze Stadtviertel, 190 Menschen starben, mehr als 6500 wurden verletzt. Darauf entfachten sich Proteste, die die Katastrophe zwar zum Auslöser, aber nicht zur eigentlichen Ursache hatten. Denn die Explosion ist nur der letzte traurige Tiefpunkt in der Geschichte des kleinen Landes, das von Kolonialisierung, von Krieg und Bürgerkrieg, von kapitalistischer Misswirtschaft und Korruption geprägt ist.

Die Lage vor der Explosion

Schon vor der Katastrophe war die Lage im Libanon fragil. In den 1940er Jahren von der französischen Kolonialmacht unabhängig geworden, litt das Land unter religiösen Konflikten im Inneren, die zwei Bürgerkriege mitverursachten. Zudem befindet sich der Libanon seit der Staatsgründung Israels im Kriegszustand mit dem Siedlerstaat, der lange große Teile des Libanon besetzte und heute immer wieder militärische Angriffe auf dessen Staatsgebiet unternimmt. Dazu ist der Libanon vom seit 2012 tobenden Syrienkrieg betroffen. Das Land mit gerade mal sechs Millionen EinwohnerInnen hat über eine Million syrischer Geflüchteter aufgenommen. Dank dieser Probleme und grassierender Korruption ist das Vertrauen des Volkes in die politische Elite des Landes gering. All das führt dazu, dass sich manche nach einem Heilsbringer sehnen, der die Probleme des Küstenstaates beheben möge. Diese Rolle versucht nun der französische Präsident Macron im Sinne der neokolonialen Strategie Frankreichs einzunehmen.

Frankreichs erneuerte Kolonialambitionen

Macron war der erste ausländische Staatschef, der das Land nach der Explosion besuchte, und inszenierte seinen Besuch wie einen Film. In hochgekrempelten Hemdsärmeln ließ er sich nahe der Explosionsstätte bewundern, traf sich mit Vertretern der Regierung und der Opposition. Kurz darauf verkündete er seinen Lösungsvorschlag: Er forderte massive wirtschaftliche und politische Reformen und eine neue Regierung, stellte der amtierenden Regierung ein Ultimatum bis Oktober, um die Maßnahmen umzusetzen. An diese Bedingungen knüpfte er seine „Hilfs“zusagen, betrieb also offen Erpressung.
Macron versucht auf diese Weise, verlorenen Einfluss in der Region zurückzugewinnen – nicht zuletzt, weil vor der Küste Libanons Gasreserven lagern, an deren Förderung der französische Konzern „Total“ bereits beteiligt ist, diese aber noch ausbauen will. Zusätzlich ließe sich mit der Rückeroberung dieses Marktes die eigene Wirtschaftskrise abschwächen. Ein Heilsbringer ist Macron also höchstens für das französische Kapital. Sollte sein Plan, den Libanon wieder verstärkt unter den geopolitischen und ökonomischen Einfluss Frankreichs zu bringen, gelingen, hat die Bevölkerung davon jedenfalls nichts Gutes zu erwarten – das zeigt der Umgang Frankreichs mit anderen Staaten seines ehemaligen Kolonialgebiets.

Flo, Düsseldorf

Dieser Artikel erschien in der aktuellen  Position, dem Magazin der SDAJ.

Quelle:

SDAJ – Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend