Zuckerbrot und Peitsche

Die Regierung des Libanon unter Ministerpräsident Diab trat nur wenige Monate nach der Amtsübernahme zurück. Die Explosion im Hafen von Beirut hatte ihr Ende unausweichlich gemacht.

In beispielloser Hast einigten sich die Parlamentarier des Libanon vom Future Movement bis zu Hisbollah auf den Vorschlag für einen neuen Ministerpräsidenten: Mustafa Adib. Er wurde vom Präsidenten Aoun mit der Regierungsbildung beauftragt. Die Forderungen der Demonstranten, die monatelang ein Ende der korrupten Seilschaften gefordert hatten, blieben ungehört. Dagegen drängt die ehemalige Kolonialmacht Frankreich mit ihrem Präsidenten Macron mit Macht auf die politische Bühne des Libanon – mit Zuckerbrot und Peitsche.

Ganz zu Beginn seines zweiten Aufenthalts in Beirut nach der Explosion besuchte Macron die legendäre libanesische Sängerin Fairouz. Noch heute hören Millionen Menschen in Syrien und im Libanon Tag für Tag ihre Lieder. Macron verlieh ihr ohne erkennbaren Anlass den französischen Orden der Ehrenlegion. Das war wohl das Zuckerbrot.

Dann kam die Peitsche. In einem Interview mit „Politico“ drohte Macron Strafmaßnahmen gegen den Libanon an, würden nicht innerhalb kurzer Zeit Reformen umgesetzt. Und der Protestbewegung warf er vor, sie sei nicht in der Lage gewesen, die Eliten des Landes unter Kontrolle zu bringen.

Die Protestbewegung wollte Nawaf Salam, Richter am Internationalen Gerichtshof, als Ministerpräsidenten, der unabhängig von den herrschenden Netzwerken sei. Doch das kam – auch für Frankreich – nicht in Frage. So wurde von der großen Mehrheit der Parlamentsabgeordneten Mustafa Adib vorgeschlagen. Der bisher eher unbekannte Adib war Botschafter in Deutschland und arbeitete zuvor als Berater der Regierung. Als Gegner des bisherigen Systems trat er dabei nicht in Erscheinung.

Für die USA beschränkt sich die Frage der Reformen sowieso auf ein Thema: Hisbollah. US-Außenminister Pompeo sprach von den gefährlichen Aktionen der Hisbollah, die die Menschen im Libanon gefährden und jede wirtschaftliche Erholung des Landes aufs Spiel setzen.

Die Politik der früheren Kolonialmacht Frankreich ist differenzierter. Auf einer Pressekonferenz sprach Macron davon, dass Abgeordnete der Hisbollah im Parlament vertreten sind und Hisbollah Teil der politischen Szene ist. Offenbar sprach er sogar mit einem Abgeordneten der Hisbollah und forderte eine Änderung ihrer Politik. Sie müsse sich vom Iran abwenden.

Hisbollah ihrerseits lehnt die französische Politik keineswegs ab. Ihr Generalsekretär Nasrallah meinte, die Hisbollah sei bereit zu jedem Dialog über eine neue politische Ära und ein Ende des starren Systems der Postenvergabe nach konfessionellen Kriterien – solange die anderen libanesischen Parteien dazu ebenfalls bereit seien. Sie setzt damit ihre staatstragende Politik fort, die sie schon mit ihrer Unterstützung für die Regierung Diab gezeigt hatte.

Das westlich orientierte Future-Movement dagegen hat eine Kehrtwende vollzogen. Während es die Proteste gegen die Regierung Diab unterstützt hatte und ein Ende der korrupten Seilschaften forderte, unterstützt es jetzt einen designierten Ministerpräsidenten, der selbst Teil des Establishments ist. Der scheinbare Widerspruch löst sich leicht auf. Das Future Movement repräsentiert selbst das Establishment und eine Regierung unter der Ägide Frankreichs schwächt den Einfluss der Hisbollah zu seinen Gunsten.

Die Forderungen der Demonstranten nach einem Ende der korrupten Netzwerke, die Macht und Einfluss unter sich aufteilen, bleiben weiterhin ungehört.

Quelle:

UZ – Unsere Zeit