Die russische Bedrohung

Die Älteren unter uns fühlen sich womöglich in die 80er Jahre zurückversetzt. Nachdem am Freitag der Außenminister der USA, Michael Pompeo, auf Anweisung von Präsident Trump den seit 1987 bestehenden INF-Vertrag einseitig aufgekündigt hatte und Rußland einen Tag später erklärte, sich deshalb nicht mehr an den Vertrag gebunden zu fühlen, beschleicht uns der Gedanke, nun könnten in absehbarer Zeit wieder neue Mittelstreckenraketen in den europäischen NATO-Ländern stationiert werden. Raketen, die eine unmittelbare Gefahr für uns alle darstellen würden, denn ihr Einsatz brächte in erster Linie die völlige Zerstörung Mitteleuropas mit sich.

In den 80ern bestand diese Gefahr allerdings ganz real. Im Zuge der Hochrüstungspolitik der USA und der NATO hatten die USA mit Nuklearsprengköpfen bestückte Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper in mehreren NATO-Ländern Westeuropas aufgestellt, und adäquate sowjetische Waffen waren in europäischen Mitgliedstaaten des Warschauer Vertrages stationiert. Massive Proteste in vielen Ländern, vor allem aber beharrliche Bemühungen auf dem diplomatischen Parkett führten letztlich zur Unterzeichnung des Vertrages über das Verbot von Mittelstreckenraketen (INF-Vertrag) durch die Sowjetunion und die USA im Jahre 1987.

Dieser sehr sinnvolle Vertrag galt bis zum vergangenen Samstag, sein Ende war jedoch spätestens abzusehen, als Donald Trump der Herr im Weißen Haus wurde. Herr Trump ist kein Freund von internationalen Verträgen, deshalb hat er bereits mehrere davon aufkündigen lassen, weil sie aus seiner beschränkten Weltsicht keinen Vorteil für sein Konzept »America first« bringen.

Es darf allerdings nicht übersehen werden, daß ein Abkommen über Abrüstung – und ein solches ist der INF-Vertrag – auch ohne Herrn Trump den Politikern und Militärs des Westens, die sich von der guten alten Zeit des Kalten Krieges niemals verabschiedet haben, ohnehin ein Dorn im Auge war. Deshalb wurde in den westlichen Medien auch selten über Abrüstung geschrieben und gesprochen, sondern eher über »Rüstungskontrolle«. Abrüstung klingt wohl doch ein wenig zu sehr nach Frieden, und das ist nicht unbedingt das Lieblingsthema dieser Leute – außer wenn es gilt, Nobelpreise in Empfang zu nehmen oder wohlklingende Neujahrsansprachen zu halten.
Deshalb wird von Jahr zu Jahr immer lauter von der russischen Bedrohung geschwafelt, sie wird herbeigeredet, und weil sie nicht wirklich sichtbar ist, muß sie geradezu heraufbeschworen werden. Es spielt dabei keine Rolle, daß nicht Rußland, sondern die USA und ihre NATO- und sonstigen Verbündeten etliche Kriege führen und schüren, daß nicht Rußland sein Territorium immer weiter in Richtung NATO-Staaten ausgeweitet hat, sondern ungekehrt, daß nicht Rußland sondern die USA an vielen Orten im Ausland Nuklearwaffen stationiert haben. Das alles ist schließlich nötig »zur Abschreckung Rußlands«. Warum? Naja, weil Rußland eben eine Bedrohung ist. Und China wird schließlich auch immer gefährlicher…

Es gäbe eigentlich ein recht einfaches Mittel, echte oder auch vermeintliche Gefahren einzudämmen: Verträge einhalten, nicht brechen oder aufkündigen. Wenn neue Situationen entstehen, wie durch die Entwicklung zum Beispiel chinesischer Mittelstreckenraketen, dann weiter verhandeln und neue Verträge abschließen. Und vorliegenden Verträgen beitreten, wie zum Beispiel dem über das Verbot aller Atomwaffen, der in der UNO zur Unterzeichnung bereit liegt.

Uli Brockmeyer

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek