USA exportieren ihre Opioidkrise

Die vor zwei Jahren vom Washingtoner Gesundheitsministerium zum landesweiten Notstand im Gesundheitswesen erklärte Opioidkrise hält weiter an. Nach jüngsten Angaben des Ministeriums sterben in den Vereinigten Staaten täglich über 130 Menschen an einer Überdosis von Opioiden.

Ursächlich für die vielen Todesfälle sind neben illegalem Heroin vor allem opioidhaltige Schmerzmittel – bzw. die Verschleierung von deren enormem Suchtpotential. Von den US-amerikanischen Pharmakonzernen wurden sie statt dessen intensiv beworben, was dann wie gewünscht zu ihrer massenhaften Verschreibung führte. Bereits eine einzige zu hohe Dosis eines Opioids kann schwere Atembeschwerden bis hin zum Atemstillstand auslösen.

Bei der Belieferung des legalen Drogenkonsums der USA-Bürger ist Purdue Pharma ganz vorne dabei. Der Konzern, der 1996 das verschreibungspflichtige Schmerzmittel Oxycontin auf den Markt brachte und bis heute gewinnbringend vertreibt, gehört der milliardenschweren Unternehmerfamilie Sackler. Obwohl inzwischen mehrere Untersuchungen bestätigt haben, daß Oxycontin keinerlei Vorteil gegenüber anderen opioidhaltigen Medikamenten hat, sorgt Purdues aggressive Werbestrategie weiter für reißenden Absatz.

Allein im Jahr 2001 habe das Unternehmen rund 200 Millionen US-Dollar für die Vermarktung von Oxycontin ausgegeben, hieß es 2009 im »American Journal of Public Health«. Die Verschreibungspraxis der Ärzte sei mit ausgefeilten Marketinginstrumenten gezielt beeinflußt worden, wußte das Fachmagazin zu berichten. In den gesamten USA seien für einzelne Ärzte Verordnungsprofile mit detaillierten Angaben zu den jeweiligen Verschreibungsmustern erstellt worden, um die künftige Verordnungspraxis gezielt beeinflussen zu können.

Im Jahr 2007 wurden erstmals Purdue-Mitarbeiter wegen der Verbreitung von Falschinformationen in den USA angeklagt und zu Schadenersatzzahlungen verurteilt. Sie hatten unter anderem behauptet, Oxycontin mache weniger süchtig und führe seltener zu Mißbrauch als Schmerzmittel von der Konkurrenz.

Gelang es Purdue damals noch, das als »einzelne Verfehlungen« darzustellen, geht es zwölf Jahre später ans Eingemachte: Mehrere große Pharmakonzerne haben in Zivilprozessen Vergleichsvorschläge unterbreitet und bereits im März dieses Jahres stimmte Purdue der Zahlung von 270 Millionen US-Dollar zur Beilegung einer Zivilklage des Bundesstaates Oklahoma zu.

Nun haben allerdings 26 USA-Staaten eine von Purdue angebotene Entschädigung von zehn bis zwölf Milliarden US-Dollar ausgeschlagen, weil sie sich von einem Prozeß offenbar noch mehr erhoffen.

Doch selbst wenn der Heimatmarkt wegbrechen sollte, müssen die US-amerikanischen Pharmariesen auf absehbare Zeit keine Absatzprobleme fürchten: Ende August berichtete der britische »Guardian«, Unternehmen wie Johnson & Johnson, Abbott Laboratories und auch ein mit Purdue Pharma assoziiertes Netzwerk nutzten eine Lockerung des bislang ziemlich strengen Betäubungsmittelgesetzes in Indien, um groß in diesen Markt mit 1,3 Milliarden potentiellen Kunden einzusteigen.

So einfach hatten es die britischen Kolonialisten im 19. Jahrhundert nicht: Sie mußten erst Opiumkriege führen, bis ihnen der chinesische Markt offenstand. Die Briten bezogen das Rohopium übrigens aus Bengalen im Nordosten ihres damaligen indischen Kolonialreichs…

Oliver Wagner

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek