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Generationengerechte Kriegstüchtigkeit?

Übernommen von Unsere Zeit:

„Ein Pflichtjahr bedeutet für mich, dass ein Notfall existiert. Das heißt: Deutschland wird in eine kriegerische Auseinandersetzung verwickelt, eine riesige Naturkatastrophe oder technische Katastrophe findet statt.“ Mit diesen Worten stellte der Soziologe Klaus Hurrelmann in einem Interview mit dem NDR klar, worum es bei seiner Forderung, dass Seniorinnen und Senioren am Ende ihres Arbeitslebens einen Pflichtdienst leisten sollen, tatsächlich geht.

Deutschland soll kriegstüchtig werden. Dabei greift sich das „Vaterland“ zuerst seine Jugend: Die Wiedereinführung der Wehrpflicht wird heiß diskutiert. Viele junge Menschen wollen sich dem widersetzen – das weiß auch Jugendforscher Hurrelmann. Doch statt gegen die drohende neue Wehrpflicht aufzutreten, erklärt er, dass falls die Wehrpflicht wieder eingeführt werden sollte, alle ran müssten, ganz besonders die Älteren.

Es wundert nicht mehr, dass Hurrelmann ausgerechnet von Seiten der Grünen Zustimmung erhält. So fordert Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag, einen „Freiheitsdienst“ für alle zwischen 18 und 67 Jahren in den Bereichen Wehrdienst, Bevölkerungsschutz oder Gesellschaftsdienst. Auch bei diesem „grünen“ Vorschlag soll der Pflichtdienst sechs Monate dauern.

Einen Zwangsdienst als „Freiheitsdienst“ zu verbrämen erinnert mich an Bertolt Brechts berühmtes Nachkriegsgedicht „Der anachronistische Zug oder Freiheit und Democracy“.

Bei der älteren Generation stieß die Forderung nach einem Pflichtdienst verständlicherweise auf Empörung. Die Alten hätten schließlich schon ihr ganzes Leben lang gearbeitet. Es wäre gut, einen Schritt weiter zu gehen und zu sagen: Ihr wollt einen Zwangsdienst, weil ihr euch auf Krieg vorbereitet. Da spielen wir nicht mit. Nicht die Jungen. Nicht die Alten.

Wer genau hinhört, erkennt eine psychologische Kriegsvorbereitung in allen gesellschaftlichen Bereichen. Und da soll das Ehrenamt nicht ausgenommen werden. So lesen wir in der Ausgabe Nr. 141 der „Themenblätter für den Unterricht“ der Bundeszentrale für Politische Bildung unter „Pflichtdienst für alle?“, dass der Gesellschaftsdienst „den Zusammenhalt in der deutschen Gesellschaft stärken, sie resilient und verteidigungsfähig machen“ soll. Die Frage, ob wir denn tatsächlich militärisch bedroht werden, ob wir nicht vielmehr Friedensfähigkeit bräuchten, wird gar nicht erst gestellt.

Für den tatsächlichen Kriegs- oder Katastrophenfall haben wir in der BRD seit 1968 die Notstandsgesetze. Gegen deren Verabschiedung hat damals ein breites Bündnis der Friedensbewegung gekämpft, darunter viele der späteren Grünen.

Werden die Notstandsgesetze aktiviert, so bedeutet das die Aufhebung vieler Grundrechte, unter anderem des Rechtes auf Berufsfreiheit. Beispiele für Dienstpflichten wären zum Beispiel der Einsatz bei der Krankenpflege, beim Katastrophenschutz oder bei der Versorgung der Bevölkerung.

Für Frieden und eine friedliche Gesellschaft einzutreten heißt auch, dass das Ehrenamt freiwillig bleibt. Viele ältere Menschen engagieren sich gerne und hingebungsvoll. Jeder Zwang zum sozialen Dienst ist eine Pervertierung des Ehrenamtes. Das gilt auch für finanziellen Zwang.

Auf die Frage, was er denn Menschen rate, „bei denen die Rente nicht reicht“, antwortete Hurrelmann im erwähnten NDR-Interview, man müsse „über finanzielle Anreize nachdenken“. Auf eine nochmalige Nachfrage, ob Freiwilligkeit nicht reiche, sagte er: „Ungemütlich wird es in Notsituationen, wo Freiwilligkeit nicht mehr ausreicht.“ Für mich ein weiterer Grund, um auf die Straße zu gehen: Für eine friedliche Welt und ohne Zwangs- und Arbeitsdienst.

Quelle: Unsere Zeit

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