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Weniger Prozente als ein Bier

Übernommen von Unsere Zeit:

Der letzte Streik in den sächsischen und thüringischen Brauereien ist nicht nur eine Folge der in den letzten Jahren stark gestiegenen Inflation, sondern auch der strukturellen Zerschlagung der Brauereiindustrie des Ostens ab 1990. Zum einen wurde bewusst abgewickelt und zerstört, was sich nicht verwerten ließ oder Konkurrenz hätte darstellen können. So sank in Sachsen-Anhalt die Anzahl der Brauereien in den Jahren von 1990 bis 2001 von 24 auf 5, in Sachsen von 50 auf 31. Sofern nicht abgerissen oder umgenutzt, sind diese Betriebe heute als Industrieruinen zu bewundern.

Zum anderen wurde großflächig aufgekauft. Die in den letzten Wochen bestreikten Betriebe des sogenannten „Brauereikombinats Ost“ gehören entweder zur Gruppe Oetker, zu Bitburger oder Carlsberg. Die Brauwirtschaft ist gekennzeichnet durch eine erhebliche Konzentration in Großunternehmen in einem Markt mit sinkendem Absatz. Sie halten sich durch Arbeitsplatzabbau – jedes Jahr etwa ein Prozent weniger Beschäftigte – verbotene Preisabsprachen und den niedrigeren Lohn in Ostdeutschland.

Vor allem Letzteres war die Ursache dafür, dass die Beschäftigten in den Streik traten. Je nach Bundesland liegen die Lohnunterschiede zum Westen bei bis zu 1.100 Euro im Monat, im Schnitt etwa 800 Euro. Allein in den sechs Hauptbetrieben, in denen gestreikt wurde, arbeiten fast 900 Beschäftigte. Grob gerechnet kann man davon ausgehen, dass hier durch die Lohnunterschiede jährlich fast 10 Millionen Euro Extraprofit abgeschöpft werden.

Die NGG forderte unter anderem 7 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von zwölf Monaten, 100 Euro mehr für Azubis, Bonusregelungen für Mitglieder der NGG und ein Wahlmodell, das die Umwandlung der Lohnerhöhung in Freizeit ermöglichen soll.

Die Brauereibesitzer legten in der ersten Runde der Tarifverhandlungen überhaupt kein Angebot vor. Beim zweiten Gesprächstermin boten sie maximal 4,4 Prozent über einen Zeitraum von zwei Jahren an. Typischerweise legten sie unterschiedliche Prozentzahlen für die verschieden Betriebe vor. Zumindest das wurde von der Gewerkschaft kategorisch abgewiesen.

Die fünfte Verhandlungsrunde brachte dann schließlich das Ergebnis: Nach knapp 1.300 Streikstunden und einem Produktionsausfall, der sich auf etwa 50 Millionen Flaschen Bier beziffern lässt, wurden Lohnerhöhungen von 5,9 bis 7,7 Prozent erkämpft. Allerdings sind diese auf eine Laufzeit von zwei Jahren gerechnet. Zudem wurde eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 38,5 auf 38 Stunden erreicht.

Von den Tränen abgesehen, die die Unternehmen bei eigentlich jedem Streik vergießen, kann sich das Ergebnis nicht unbedingt sehen lassen. Vor allem die lange Laufzeit des Tarifvertrags ist ein Problem. Aufgrund der hohen Inflation der letzten Jahre hätten die Kolleginnen und Kollegen mehr Geld auf dem Konto gebraucht. Zumal der Gehaltsunterschied zu den westdeutschen Kolleginnen und Kollegen bleibt und sich nur geringfügig verringert.

Mit Blick auf die Branche ist festzustellen, dass in manchen Betrieben erstmals seit 35 Jahren überhaupt gestreikt wurde. Zudem stellen die 1.300 Stunden Streik einen Rekord dar. Angesichts der kämpferischen Stimmung unter den Beschäftigten liegt die Frage nahe, wie diese aufrecht erhalten und für die Schließung der Lohnlücke zu Westdeutschland genutzt werden kann. Die Gewerkschaftsführung spricht stattdessen mit Blick auf den Tarifabschluss von „zufriedenen Braubeschäftigten“ und der Hoffnung, dass „die Brauunternehmen das Signal dieser langen Streiks verstanden haben“. Gerade einmal 6 Prozent aller Brauereien in Sachsen und Thüringen sind tarifgebunden. Es gibt also noch einiges zu tun.

Quelle: Unsere Zeit

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