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Kürzungen im Sozialbereich: „Die Sozialpartnerschaft muss weg“

Kommunistische Gewerkschaftsinitiative - International

Übernommen von KOMintern:

Durch Kürzungen zerstört die Stadt Wien im Sozialbereich jahrelange Expertise und setzt Menschen in bereits unzumutbaren Arbeitsbedingungen weiter unter Druck. In vielen Bundesländern regt sich mittlerweile Widerstand dagegen, so heute auch in Wien. Betriebsrätin Selma Schacht fordert im mosaik-Interview eine neue gewerkschaftspolitische Linie.

Die Stadt Wien will alleine im laufenden Jahr 500 Millionen Euro einsparen und setzt dafür auch im Sozialbereich die Axt an. Ein Beispiel: Das Budget des Fonds Soziales Wien (FSW) wurde für das Jahr 2025 nur um 0,6 Prozent angehoben – also weit unter der Teuerungsrate. Damit fehlen dem Fonds, der in Wien weite Teile des Pflege- und Sozialbereichs finanziert, Millionen. Linke Betriebsrät*innen wie Selma Schacht machen gegen die Kürzungen mobil. mosaik hat mit Selma darüber gesprochen, wen die Kürzungen treffen und was man dagegen tun kann.

mosaik: Selma, gib uns einen Überblick. Wie wirken sich die Einsparungen der Stadt Wien aus?

Selma Schacht: Es ist nicht einfach, ein Gesamtbild zu zeichnen, weil nicht transparent gemacht wird, wo gerade überall gekürzt wird. Die Stadt Wien geht da mit Salami-Taktik vor. Auch damit es keinen Aufschrei gibt. Trotzdem bekommen Kolleg*innen in verschiedenen Betrieben langsam mit, was da auf uns zukommt. Es gibt auch schon erste Kündigungen. Beispielsweise bei der Suchthilfe Wien. Da trifft es gerade den sozialökonomische Betrieb Fix und Fertig, der an der Reintegration suchtkranker Menschen arbeitet. Fix und Fertig hat gerade 30 Jahre Bestehen gefeiert und wird jetzt wahrscheinlich geschlossen, weil die Stadt Wien sich weigert, weiter zu zahlen. Hier geht es auch um ein Vorzeigeprojekt, das in Fachkreisen über Österreich hinaus bekannt ist.

mosaik: Was heißt es, wenn so ein Betrieb dicht machen muss?

Selma: Das heißt, dass Kolleg*innen ihren Job verlieren. Es bedeutet aber auch, dass jahrelange Arbeit und Expertise kaputtgemacht wird. Das kann man nicht mal eben so wieder aufbauen. Auch in der Kinder- und Jugendarbeit gibt es Einrichtungen, in denen Kolleg*innen jetzt „freiwillig“ Stunden reduzieren, damit keine Stellen gestrichen werden. Dabei arbeiten viele Kolleg*innen im Sozialbereich sowieso schon Teilzeit. Wer hier noch weiter mit den Stunden runtergeht, landet schnell an der Armutsgrenze.

mosaik: Begründet werden die Einsparungen mit einem Budgetdefizit, muss nicht tatsächlich auch gespart werden?

Selma: Die Frage ist erstens, warum nur ausgabenseitig konsolidiert werden soll. Man müsste über Einnahmen reden. Es wäre ja theoretisch genug Geld da, es liegt halt bei den Reichen. Und bei den Ausgaben ist die Frage, wo man spart. Wenn für Milliarden aufgerüstet wird und die Stadt Wien mitten in der Klimakrise Schnellstraßen ausbaut, wie im Fall des Lobau-Tunnels, während bei Sozialem gespart wird, weiß man wo die Prioritäten liegen.

mosaik: Wir haben jetzt über Wien gesprochen, wie ist denn die Lage in den anderen österreichischen Bundesländern und Gemeinden?

Selma: Da sieht es oft ähnlich schlecht aus. Beispiel Steiermark: Da ist schon länger bekannt, dass gekürzt wird – im Jahr 2025 sind das rund elf Prozent des Budgets. Im Sommer haben schon Einrichtungen bekannt gegeben, dass sie ihren Betrieb einstellen müssen. Hier wurden Förderungen komplett auf Null gestellt. Da wird dann ausgerechnet bei Dingen wie Integration, Gewaltschutz und Gewaltprävention gespart. Und das in einem Bundesland, wo es vor kurzem erst einen Amoklauf an einer Schule gab. Ein anderes Beispiel ist Tirol: Die dortige Landesregierung wollte im Behindertenbereich kürzen. Das hatte massiven Widerstand, sowohl von Seiten der Beschäftigten, der Gewerkschaften als auch von der Geschäftsführungen zur Folge. Ein Teil der Kürzungen wurden dann auch wieder zurückgenommen. Auch in Salzburg gibt es Proteste, dort fand am vergangenen Mittwoch eine Demo gegen die Streichung des Pflegebonus statt.

mosaik: Stichwort Löhne – gerade verhandeln die österreichischen Gewerkschaften für 130.000 Beschäftigte im Sozial- und Pflegebereich den Kollektivvertrag Sozialwirtschaft Österreich. Was ist da der Stand?

Selma: Es droht ein massiver Reallohn-Verlust: Die erste Verhandlungsrunde ist gescheitert, weil die Arbeitgeberseite nicht einmal die Inflation abgelten will. Die Arbeitgeber lamentieren darüber, dass sie selber so arm sind und kein Geld bekommen von der öffentlichen Hand. Deswegen könnten sie auch keine Gehaltserhöhung anbieten, die die rollierende Inflationsrate, also den Durchschnitt der letzten zwölf Monate, in irgendeiner Weise ausgleichen würde. Auch der Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden ist eine Abfuhr erteilt worden – und das in einer Branche, die sowieso unter dem österreichischen Durchschnitt bezahlt und erwiesenermaßen Burnout-fördernd ist.

mosaik: Den KV-Verhandlungen in Sozialbereich und Pflege sind ja die Verhandlungen in der Metallwirtschaft und im öffentlichen Dienst vorausgegangen. In beiden Bereichen wurde dieses Jahr unter Inflation abgeschlossen, wie wirkt sich das auf die aktuellen Verhandlungen aus?

Selma: Gerade bei den Metaller*innen ist der Organisierungsgrad sehr hoch. Die Gewerkschaften sind in den Betrieben gut verankert und haben bessere Kampfbedingungen. Deshalb konnte dort in der Vergangenheit auch eher mit Streik gedroht werden. Das alles hat dazu geführt, dass die Metallindustrie, die traditionellerweise im Herbst diese Tarifrunden einläuten, immer den Takt vorgegeben hat. Die anderen haben sich sehr danach orientiert. Das war in der Vergangenheit oft ein Vorteil. Jetzt wendet sich das Blatt – der schlechte Abschluss in der Metallindustrie ist auch für die anderen Verhandlungsteams ein Schlag ins Gesicht. Im öffentlichen Dienst ist es so, dass die Gewerkschaftsspitze den Sparkurs der Regierung offenbar mitträgt – da kommt die sozialpartnerschaftliche Einbindung der Gewerkschaften zum Tragen. Teilweise sitzen Gewerkschaftsfunktionär*innen ja sogar im Parlament. Es ist Wahnsinn, dass zum Beispiel die Gewerkschaftsvorsitzende Barbara Teiber für die SPÖ im Nationalrat für Kürzungen die Hand hebt.

mosaik: Was müsste sich bei den Gewerkschaften ändern, damit sie wieder kämpfen können?

Selma: Es müsste eine eigenständige gewerkschaftspolitische Linie entwickelt werden, statt der bisherigen sozialpartnerschaftlichen und staatstragenden Ausrichtung. Die Idee von einem budgetären Gesamtwohl ist eine Lüge – in einer Klassengesellschaft gibt es Klassengegensätze und die Aufgabe der Gewerkschaft ist es, für die Seite der arbeitenden Klasse zu streiten. Kurz gesagt: Die Sozialpartnerschaft muss weg. Sozialpartnerschaft bedeutet ideologische, institutionelle und strategische Ausrichtung der Gewerkschaften auf eine Partnerschaft mit dem Kapital – wenn diese Partnerschaft nicht aufgekündigt wird, dann werden wir in den nächsten Jahren immer weitere Lohnverluste und eine zunehmende Verarmung erleben. Es gibt da auch schon Schritte in die richtige Richtung.

mosaik: Welche denn?

Selma: Vor Allem im Sozialbereich hat sich da aufgrund von Basisorganisierung und auf Druck von Unten schon einiges getan. Beispielsweise konnten ich und weiteren engagierte Betriebsrät*innen in der Betriebsrät*innenkonferenz des Sozial- und Gesundheitsbereichs der Gewerkschaft GPA in Wien kürzlich eine Resolution durchbringen, in der gegen die Rotstiftpolitik der Regierung in Stadt und Bund mobil gemacht wird.

mosaik: Was ist das Ziel dieser Resolution?

Selma: Wir wollen die gewerkschaftlichen Gremien dazu bringen, gegen die Kürzungen zu kämpfen. Die Gewerkschaften sind sehr stark von der SPÖ durchdrungen. Die sozialdemokratische Fraktion dominiert. Das macht es so schwer, die Gewerkschaften gegen den Regierungskurs der SPÖ in Stellung zu bringen – aber genau diese Auseinandersetzung muss eben geführt werden. Außerdem geht es in der Resolution darum, dass wir den Kampf für Gehaltserhöhungen mit dem Kampf gegen die Kürzungspolitik verbinden. So verhindern wir, dass wir gegeneinander ausgespielt werden. Dieses Spiel von wegen ‚entweder Kürzungen bei Sozialhilfe oder bei Löhnen‘ spielen wir nicht mit. Dazu organisieren wir in Wien auch zu einem großen Protesttag am 26. November. An diesem wird in vielen Einrichtungen ab Mittag die Arbeit defacto niedergelegt – und Tausende werden sich zu einer Demo und Kundgebung erst vor dem Parlament und dann am Platz der Menschenrechte versammeln.

Selma Schacht ist Betriebsratsvorsitzende bei „Bildung im Mittelpunkt GmbH“ und AK-Rätin von KOMintern.

Quelle: KOMintern

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