Alte Muster

Übernommen von Unsere Zeit:

Gemeinhin gilt der Kulturföderalismus als „hohes Gut“ des bundesdeutschen Staatsaufbaus. Die Bundesländer behaupten gerne, damit würde die „regionale Identität“ gestärkt. Diese Selbstständigkeit findet dort ihre Grenze, wo es um die ideologische Ausrichtung der Gesellschaft geht, also in der Geschichts- und Gedenkstättenpolitik.

Als beim Anschluss der DDR die „Nationalen Mahn- und Gedenkstätten“ in die finanzielle Verantwortung der neuen Bundesländer übertragen wurden, forderten die Länder, dass der Bund seinen finanziellen Anteil an den Kosten dieser Einrichtungen übernehmen müsse. Als es darum ging, den Antifaschismus der DDR abzuwickeln, war die ideologische Umgestaltung der KZ-Gedenkstätten ohne Geld nicht möglich. Mittlerweile sind Stiftungen eingerichtet, die, mit Bundes- und Landesmitteln finanziert, nominell „unabhängig“ agieren sollen. Faktisch legt jedoch der Bund mit einer „Gedenkstättenkonzeption“ fest, welche Einrichtung er mit welchem Ziel mitzufinanzieren bereit ist.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) plante im Jahr 2024, dieses Konzept zu modernisieren.

Ihr erster Entwurf sah vor, dass sich der Bund ebenfalls in die Anti-Kolonialismus-Debatte einmischen und Kolonialverbrechen gleichermaßen als Menschheitsverbrechen aufarbeiten wolle. Nach öffentlicher Kritik wurde das Papier zurückgezogen. Bevor ein überarbeitetes Konzept verabschiedet werden konnte, war die Ampel-Koalition Geschichte. Im Sommer dieses Jahres kündigte Kulturstaatsminister Weimer an, dass er ein neues Konzept vorlegen werde, das den Holocaust in seiner Singularität gewichten wolle. Im September durften ausgewählte Medien Eckpunkte des Papiers veröffentlichen – nun verabschiedete das Bundeskabinett das Konzept, welches möglichst bald im Bundestag bestätigt werden soll.

Ideologische Basis dieser „Konzeption des Bundes für die Gedenkstätten zur Aufarbeitung der NS-Terrorherrschaft und der SED-Diktatur“ bleibt die Totalitarismusdoktrin, die schon in den letzten Jahrzehnten die Finanzierung der Gedenkorte geprägt hat. Wobei natürlich als „State of the art“ betont wird: „Bei der Aufarbeitung (…) ist den fundamentalen Unterschieden zwischen der NS-Terrorherrschaft und dem Unrecht in der SED-Diktatur unverändert Rechnung zu tragen.“ Dieser Satz kostet nichts, macht aber weniger angreifbar. Zehn Seiten widmen sich allen Einrichtungen zur NS-Verfolgung, die mit Bundesmitteln gefördert werden, acht Seiten den Orten und Institutionen zum „SED-Regime“, wobei die „Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e. V.“ (UOKG) ausdrücklich im Konzept aufgelistet ist, jedoch keine Verbände der NS-Überlebenden – das ist bekanntlich nicht Staatsräson.

Der Text benennt als „aktuelle Herausforderungen“ Erhaltung der historischen Orte, Vermittlung in der Migrationsgesellschaft, Digitalisierung und „Angriffe auf den freiheitlich demokratischen Konsens“, wobei hier auch auf den 7. Oktober rekurriert wird, obwohl eingestanden wird, „die Täterinnen und Täter kommen überwiegend aus dem rechtsextremen und neurechten Milieu“. Als Antwort werden Haus- und Besucherordnungen und Maßnahmen wie Zugangsbeschränkungen empfohlen. Was das praktisch bedeutet, konnte man in diesem Jahr in der Gedenkstätte Buchenwald erleben.

Zur besonderen finanziellen Steuerung wurde für drei Themen – Erhaltung des historischen Ortes, Digitalisierung und neue Formen der Vermittlung – eine Projektförderung eingeführt. Hier will der Bund zeitlich befristet Geld beisteuern – kontinuierliche Aufgaben wie Jugendbegegnungsstätten sind explizit ausgeschlossen. Begleitet werden soll diese Projektförderung durch ein „Expertinnen-und-Experten-Gremium“, dessen Zusammensetzung für hinreichende Konkurrenz zwischen den Einrichtungen sorgt – „Teile und herrsche“ mit öffentlichen Mitteln.

Mit wohlklingenden Worten wird Geschichtspolitik betrieben. Bei förderfähigen Projekten wird explizit davon gesprochen, „das Schicksal der jüdischen Verfolgten und anderer Opfergruppen“ herauszuarbeiten. Der antifaschistische Widerstand, die Frauen und Männer, die sich dem NS-Regime unter Einsatz ihrer Freiheit, Gesundheit oder ihres Lebens widersetzt haben, verschwinden in einer Auflistung der Beliebigkeit. Wörtlich spricht das Konzept von „Verfolgtengruppen wie Jüdinnen und Juden, Romnja und Roma, Sintizze und Sinti, politisch Verfolgte, Zeuginnen und Zeugen Jehovas (Bibelforscher) und andere aus religiösen Gründen Verfolgte, Opfer politischer Strafjustiz, zur Zwangsarbeit nach Deutschland Verschleppte, Kriegsgefangene, als homosexuell, ‚asozial‘ und ‚Berufsverbrecher‘ Verfolgte sowie Personen aus Opposition, Widerstand und Opfer von Vergeltungsaktionen in den besetzten Ländern, die in Lagern inhaftiert und in großer Zahl ermordet wurden“. Selbst dort, wo von „politisch Verfolgten“ gesprochen wird, liest man vor allem von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, der Gedenkstätte „Stille Helden“ und dem Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt.

Quelle: Unsere Zeit

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