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Iran nach dem Zwölf-Tage-Krieg

Übernommen von Unsere Zeit:

Am 12. Juni wurde aus jahrzehntelanger Bedrohung ernst: Israel begann mit militärischer Unterstützung der USA einen offenen Krieg gegen den Iran. Zehn Tage später stiegen die USA mit Angriffen eigener Bomber direkt in diesen ein ‒ heimtückisch, noch während Verhandlungen mit der Islamischen Republik liefen. Von den EU-Staaten kam volle Rückendeckung für den verbrecherischen Überfall. Durch die Aktivierung des sogenannten Snapback-Mechanismus des Wiener Atomabkommens mit dem Iran verschärften sie auch noch den Wirtschaftskrieg gegen das Land.

Auch wenn die militärischen Aggressionen und Wirtschaftsblockaden massive Schäden verursachen, erweist sich das Land recht widerstandsfähig und kann auf wachsende Unterstützung aus dem Globalen Süden bauen.

Außerhalb des Westens wird der 12-tägige Krieg, der aufgrund seines enormen Eskalationspotentials die Welt den Atem anhalten ließ, als eindeutig völkerrechtswidrige Aggression gewertet, als Angriffskrieg, für den es keine Rechtfertigung gibt. Der Iran hat keinen der beiden Angreifer militärisch attackiert und stand auch nicht kurz vor der Fertigstellung einer Atombombe. Selbst die 16 US-Geheimdienste kamen in ihrer gemeinsamen Bedrohungsanalyse erneut zu dem Schluss, dass nichts auf ein iranisches Atomwaffenprogramm hindeute.

Auch das würde noch keine militärischen Angriffe rechtfertigen, schon gar nicht von Staaten, die selbst über Atomwaffen verfügen. Das in die Sicherheitsstrategien der USA und der EU übernommene Präemptivkonzept einer „vorbeugenden Verteidigung“ durch militärische Schläge auf Gegner, von denen kein Angriff ausgeht oder akut droht, ist vom Völkerrecht nicht gedeckt. Nicht Israel ist es, das iranische Atomwaffen fürchten muss, sondern es ist der Iran, der durch die israelischen wie US-amerikanischen Atomwaffen in seiner Existenz bedroht ist.

Der Völkerrechtsnihilismus, den Bundeskanzler Merz mit seinem Dank dafür, dass Israel die „Drecksarbeit“ für den Westen mache, noch unterstrich, verdeutlichte dem Rest der Welt einmal mehr, wie die vom Westen propagierte „regelbasierte Weltordnung“ zu verstehen ist.

Vor den Angriffen hatte die russische Führung noch versucht, den Konflikt um das Atomprogramm zu entschärfen, indem sie anbot, Irans Vorräte an angereichertem Uran nach Russland zu holen und in Brennelemente umwandeln zu lassen. Parallel dazu hatte sie mit Teheran ein Abkommen über den Bau von acht Atomreaktoren abgeschlossen. Die Angriffe während der Verhandlungen zwischen Washington und Teheran zerstörten jegliche Hoffnung, Trump könne eine friedliche Lösung anstreben. Sie machten deutlich, dass es auch seiner Regierung nicht um das iranische Atomprogramm geht. Seit jeher war die Mär von der baldigen iranischen Atombombe nur ein Vorwand, und das eigentliche Ziel die Ausschaltung des Iran als unabhängige Regionalmacht, vorzugsweise durch Regime Change.

Wirtschaftskrieg verschärft

Dieses Ziel verfolgen die USA seit mehr als vier Jahrzehnten mit einem immer intensiveren Wirtschaftskrieg. Ab 2006 kamen multilaterale UN-Sanktionen und Restriktionen der EU hinzu. Nach Abschluss des Wiener Abkommens (JCPOA) zwischen dem Iran, den USA, China, Russland, Frankreich, Britannien, Deutschland und der EU wurden 2016 die auf das Atomprogramm bezogenen Restriktionen aufgehoben. Trump verfügte jedoch schon während seiner ersten Amtszeit einseitig den Ausstieg der USA aus dem Abkommen und setzte das Wirtschaftsembargo wieder in Kraft. Dieses soll die wirtschaftliche Lage des Landes drastisch verschlechtern und die Iraner derart in die Verzweiflung treiben, dass sie sich gegen das Regime erheben. Sein Nachfolger behielt diesen Kurs bei.

Indem Washington durch Verhängung „sekundärer Sanktionen“ auch Unternehmen und Finanzinstitute anderer Länder zur Einhaltung zwingt, sind die Handels- und Finanzblockaden fast so umfassend wie die gegen Kuba. Nach seinem erneuten Amtsantritt im Frühjahr 2025 verschärfte Trump das Embargo weiter. Neue extraterritoriale Blockademaßnahmen richten sich vor allem gegen Häfen, Raffinerien und Reedereien, die das US-Ölembargo umgehen.

Teheran sah sich von nun an ebenfalls nicht mehr an die technischen Beschränkungen durch das Abkommen, wie die engen Obergrenzen für die Urananreicherung, gebunden und setzte auch einige Kontrollmöglichkeiten, die über die vom Atomwaffensperrvertrag geforderten hinausgehen, aus.

Snapback

Im September lösten die drei europäischen Garanten des Atomabkommens, Frankreich, Britannien und Deutschland (E3), den sogenannten „Snapback“ aus, durch den die 2016 aufgehoben UN-Sanktionen wieder in Kraft gesetzt wurden. Damit soll angeblich der Iran zur vollständigen Einhaltung seiner Verpflichtungen aus dem JCPOA, insbesondere zur Zulassung von Inspektionen, gezwungen werden. Die war von Teheran allerdings bereits eingeleitet und vom Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO Ende August auch bestätigt worden. Die zusätzlichen Forderungen der E3 und der EU, Teheran solle der IAEO ungehinderten Zugang zu allen gewünschten Anlagen gestatten und umgehend offenlegen, wo sich seine Vorräte an angereichertem Uran befänden, wies die iranische Führung strikt zurück – das würde geradezu einer Einladung an Israel gleichkommen, die Orte zu bombardieren.

Die Verhandlungen liegen nun völlig auf Eis. Die E3 – und damit auch die EU – haben sich selbst als Verhandlungspartner aus dem Spiel genommen. Teheran stellt angesichts der Verschärfungen seine Zusammenarbeit mit der IAEO prinzipiell in Frage, der er parteiisches Verhalten vorwirft. Das vom Westen dominierte Führungsgremium der Behörde hatte am 11. Juni in einer Resolution den „friedlichen Charakter des iranischen Atomprogramms“ angezweifelt und dem Iran eine „Gefährdung des Weltfriedens“ vorgeworfen. Eine Steilvorlage für Israel, das am folgenden Tag den Krieg begann. Eine entschiedene Verurteilung der israelischen und US-amerikanischen Angriffen hingegen ist in einer späteren Resolution nicht zu finden.

Begrenzte Wirkung

Die UN-Sanktionsmaßnahmen sind im Umfang wesentlich beschränkter als die Blockaden der USA. Da sie aber für alle Länder verbindlich sind, könnten sie diese noch verschärfen. Vermutlich werden sich die meisten nicht-westlichen Staaten nicht an sie halten. China, Russland und viele andere BRICS- und blockfreie Staaten bestreiten grundsätzlich die Rechtmäßigkeit des Snapbacks. Da die USA aus dem Wiener Abkommen austraten, hätten die E3 kein Recht, den darauf fußenden Mechanismus auszulösen. Zudem hätten auch sie ihre Verpflichtungen aus dem JCPOA nicht vollständig erfüllt. Ein massiver Rückgang von Exporten durch die reaktivierten Sanktionen ist daher nicht zu erwarten, sie könnten aber iranische Unternehmen zu weiteren Preisnachlässen zwingen und ihren Zugang zu Finanzmitteln und Investitionen weiter einschränken.

Angriff auf Wirtschaft und Lebensstandard

Die ohnehin angespannte wirtschaftliche Lage im Iran hatte sich jedoch schon durch die seit Frühjahr verschärften US-Blockaden im Öl- und Finanzbereich und durch den wirtschaftlichen Schock, den die direkte militärische Aggression Israels und der USA auslöste, erheblich verschlechtert. Fabrikschließungen und Arbeitslosigkeit nahmen zu, und die iranische Währung Rial verlor massiv an Wert, wodurch sich Importe und viele Grundgüter stark verteuerten. Dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge stieg die Inflationsrate auf über 35 Prozent, so hoch wie nach Reaktivierung der Blockaden 2018. Hinzu kommen massive Probleme mit der Wasserversorgung im ganzen Land durch eine seit Jahren andauernde Dürre, der schwersten seit 50 Jahren. Sie führt zu Engpässen bei Nahrungsmitteln. Die Wirtschaftsblockaden erschweren jedoch die Instandsetzung maroder Leitungen und die Umstellung auf moderne Bewässerungssysteme.

Der IWF sieht mittlerweile eine leichte Entspannung. Nachdem er im Frühjahr für 2025 einen Rückgang des Wirtschaftswachstums auf 0 vorhergesagt hatte, schätzte er es im Oktober auf 0,6 Prozent.

Iranische Resilienz

Generell zeigt sich die iranische Wirtschaft recht widerstandsfähig, insbesondere auch ihr Rückgrat, die Ölindustrie. Trotz vier Jahrzehnten US-Embargo konnte der Iran einen Großteil seiner Exportinfrastruktur erhalten und neue Wege finden, um Märkte zu erschließen. Waren seine Rohölexporte 2018, nach Trumps Wiederinkraftsetzung des Embargos, drastisch auf unter 0,5 Millionen Barrel pro Tag (bpd) eingebrochen, konnte er sie ab 2021 wieder Jahr für Jahr steigern. Da die iranischen Unternehmen und ihre Handelspartner sich bemühen, ihre Geschäfte verdeckt abzuwickeln, sind genaue Angaben schwierig. Die Schätzungen für die durchschnittliche Menge im Jahr 2024 lagen zwischen 1,5 und 1,7 Millionen bpd – fast so viel wie vor 2018, aber noch weit unter den rund 2,5 Millionen bpd von vor 2008.

Um diese Mengen zu erreichen, musste der Iran erhebliche Rabatte gewähren. Die Umgehung der Blockade durch Umladen der Ladungen von Tanker zu Tanker, der nötige Rückgriff auf Tanker von „Schattenflotten“ und die Nutzung von Zahlungswegen außerhalb des Dollarsystems drückten die Einnahmen weiter. Dennoch konnte der Iran seine Einnahmen 2024 auf 43 Milliarden US-Dollar steigern.

Im Frühjahr dieses Jahres brachen nach Trumps Verschärfung der Blockaden Rohölproduktion und -export drastisch ein, und erneut im Juni, da die israelischen Luftangriffe auch auf die iranische Öl- und Gasinfrastruktur zielten. Sie konnten sich aber ab August wieder erholen. Die iranischen Ölexporte erreichten laut TankerTrackers.com im Oktober mit über 2,1 Millionen Barrel pro Tag sogar den höchsten Stand seit sieben Jahren. So musste im November auch die FAZ mit großem Bedauern feststellen, dass die iranischen Öl-Exporte trotz des „maximalen Drucks“, den Trump mit der Verschärfung des Embargos zwei Wochen nach Amtsantritt verkündete, nicht gesunken sind.

Die beständige Steigerung der Exporte weist auf eine ausgereifte Logistik des Iran zur Umgehung der Blockaden hin. Ein Großteil des Exports läuft dabei über gut etablierte „Ship-to-Ship-Transferrouten“ (STS) in Südostasien, bei denen das Rohöl auf hoher See unbeobachtet umgepumpt wird. Hauptabnehmer iranischen Öls ist mit großem Abstand China, gefolgt von den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Daneben stiegen auch die Exporte anderer Güter wie Stahl und Aluminium. Der Iran profitiert dabei von regionalen Handelsabkommen und strategischen Partnerschaften, insbesondere mit Russland, China sowie anderen Mitgliedern von BRICS und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Auch in diesen Bereichen wächst vor allem der Handel mit China rasant. Im Geschäftsjahr bis März 2025 exportierte China Waren im Wert von 14,8 Milliarden US-Dollar in den Iran und importierte aus ihm für 19,3 Milliarden US-Dollar. Grundlage der wirtschaftlichen Partnerschaft zwischen den beiden Ländern ist das 2021 unterzeichnete 25-jährige Kooperationsabkommen über 400 Milliarden US-Dollar.

Die Finanzblockade der USA wird umgangen, indem der Iran seine Geschäfte zum guten Teil unter Verwendung des chinesischen Yuan und anderer lokaler Währungen oder über einen komplexen Tauschhandel (Bartersystem) abwickelt.

Der Iran hat sich mittlerweile zu einem Dreh- und Angelpunkt der eurasischen Integration entwickelt und ist sowohl zentraler Teil der von Ost nach West ausgerichteten chinesischen Belt and Road Initiative (BRI), als auch des Nord-Süd-Transportkorridors (INSTC). Dieser Korridor ist ein 7.200 Kilometer langes Netz aus Schiffs-, Schienen- und Straßenverbindungen, das Indien, den Iran, die zentralasiatischen Staaten und Russland miteinander verbindet. Die Transportrouten werden in beide Richtungen stetig ausgebaut. So erreichte am 8. November der erste planmäßige Güterzug aus der russischen Stadt Archangelsk am Arktischen Meer den iranischen Trockenhafen Aprin am Stadtrand von Teheran. Ein Teil der Fracht ging von da weiter in den Irak.

Bereits im Mai war ein im BRI-Rahmen ausgebauter 8.400 Kilometer langer Eisenbahnkorridor zwischen Xi’an in Zentralchina und Aprin eingeweiht worden. Die Bahnstrecke, an die nun nahtlos der INSTC anschließt, verläuft durch Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan, mit der Möglichkeit, auch Bahnhöfe in Kirgisistan und Tadschikistan anzusteuern. Sie hat das Potenzial, die Lieferzeiten von 30 bis 40 Tagen auf dem Seeweg auf etwa 15 Tage drastisch zu verkürzen. Vor allem bietet sie die Möglichkeit, Erdöl und andere Güter ohne Eingriffsmöglichkeiten der USA zu transportieren.

Durch die wiederhergestellten Eisenbahnlinien des Iran mit Pakistan und der Türkei entstand eine weitere, 5.981 Kilometer lange Verbindung, die die Transportzeit von Gütern zwischen Istanbul und Islamabad von 35 auf 13 Tage verkürzt. Erweiterungen in die chinesische Region Xinjiang sind bereits im Gange.

Militärische Situation

Die für den Iran dringlichste Aufgabe ist, sich gegen zukünftige Angriffe Israels und der USA besser zu rüsten und diese davor abzuschrecken. Die Verteidigung seines Territoriums war im Juni überraschend schwach. Die Luftangriffe der beiden Aggressoren waren weit über die Bombardierung bekannter Nuklearstandorte hinaus gegangen und haben enorme Schäden an Militärbasen, Regierungseinrichtungen, ziviler Infrastruktur und Wohngebäuden verursacht. Neben der Ermordung hochrangiger Militärs und Anschlägen führte Israel auch zahlreiche verbrecherische Attentate auf wichtige Regierungsbeamte und Wissenschaftler aus, die auch ihre Familien, Begleiter oder Nachbarn trafen. Insgesamt kamen in den 12 Tagen mindestens 1.064 Menschen ums Leben. Tausende wurden verwundet.

Überlegenheit der Aggressoren

Israel hat seinen Überfall offensichtlich lange und aufwändig vorbereitet und mit Hilfe US-amerikanischer und anderer westlicher Geheimdienste die Ziele sorgfältig ausgekundschaftet. Der Mossad hatte Agenten vor Ort platziert, die sowohl Attentate durchführten als auch Drohnenangriffe auf militärische Ziele. Es wird vermutet, dass ein erheblicher Teil der iranischen Luftabwehr auf diese Weise ausgeschaltet wurde.

Wie erfolgreich die absolut völkerrechtswidrigen Bombardierungen der Anlagen des bisher rein zivilen Nuklearprogramms waren, ist umstritten. Da die meisten wichtigen Industrieanlagen des Landes tief unter der Erde geschützt liegen und unklar ist, wie viele Anlagen und Material die Iraner vor den Angriffen an nicht bekannte Orte verlagern konnten, sind Berichte zum guten Teil Spekulation.

Die US-Luftwaffe setzte die Bunkerbrecherbombe GBU-57 ein, die extra für Angriffe auf den Iran entwickelt wurde. Mit einem Gewicht von rund 14 Tonnen und einer Sprengladung von 2,4 Tonnen sollen sie in der Lage sein, bis zu 60 Meter tief in die Erde einzudringen. Um die Anreicherungsfabrik in Fordo, die gut 100 Meter tief im Bergmassiv verbunkert ist, zu zerstören, wurden 12 dieser Bomben hintereinander abgeworfen. Fachleute bezweifeln dennoch, dass dies gelang.

Das US-Zentralkommando hatte wohl, wie NBC berichtet, Pläne für viel umfassendere Angriffe auf den Iran entwickelt, die statt einer Nacht mehrere Wochen gedauert hätten. Trump habe sie aber abgelehnt, da er die Risiken für zu hoch hielt und sie auch zu sehr im Widerspruch zu seinen Versprechen stehen würden, die USA aus Kriegen herauszuhalten.

Die Schäden an den Nuklearanlagen sind, wie auch iranische Stellen einräumen, beträchtlich. Von weitgehender oder gar vollständiger Zerstörung, wie Trump triumphierend verkündete, kann aber keine Rede sein. Dies ist auch die Einschätzung der US-Geheimdienste, sehr zum Ärger ihres Präsidenten. Sie gehen davon aus, dass die Kernkomponenten des iranischen Atomprogramms intakt geblieben sind und dieses wahrscheinlich nur um einige Monate zurückgeworfen wurde.

Die mit modernstem US-Equipment ausgerüstete und durch westliche Aufklärung unterstützte israelische Luftwaffe war der iranischen Verteidigung weit überlegen. Mit Hilfe der im Land angreifenden Kräfte gelang es ihr, die iranische Luftabwehr in einem großen Gebiet für einen begrenzten Zeitraum zu neutralisieren. Der reichte aus, um wiederholt Angriffe auf ausgewählte Ziele durchzuführen. Sie konnte aber keineswegs, wie behauptet, das gesamte, durchaus hoch entwickelte Luftabwehrnetz des Iran im ganzen Land dauerhaft ausschalten. Genauso wenig konnte sie die Vergeltungsschläge auf militärisch bedeutende Ziele in Israel, die die Islamische Republik mit Wellen von Raketen durchführte, verhindern. 32 Israelis wurden dabei getötet. Iranische Raketen trafen auch mindestens einen Militärstützpunkt der USA, die Al Udeid Air Base in Katar.

Von den drei wesentlichen Zielen, die das Netanyahu-Regime mit seinem Überfall verfolgte, erreichte es letztlich nur eines: Die USA zu einem direkten militärischen Angriff zu bewegen. Es gelang ihm jedoch weder, das iranische Regime zu stürzen oder zu enthaupten, noch den Iran auf das Niveau von Syrien oder Libanon zu bringen – Länder, in denen Israel ungestraft nach Belieben militärisch intervenieren kann.

Stärkung militärischer Verteidigung mit Hilfe Russlands und Chinas

Die Volksrepublik China und die Russische Föderation haben jeweils strategische Partnerschaftsabkommen mit dem Iran unterzeichnet – jedoch ohne gegenseitige Verteidigungsklausel. Im Iran wurde dennoch Enttäuschung darüber laut, dass von ihnen im 12-tägigen Krieg so wenig praktische Unterstützung kam, und auch, dass Iran bisher von Russland nur das Luftabwehrsystem S-300 erhielt und nicht das hochwertigere S-400.

Iran hat durchaus selbst eine fortgeschrittene Rüstungsindustrie und an sich auch flächendeckend recht moderne Luftabwehrsysteme, die nicht alle zerstört werden konnten. Viele Experten rätseln daher, warum sie kaum zum Einsatz kamen. Manche spekulieren, sie seien noch geschont worden. Berichten aus Teheran zufolge wird nun mit Hochdruck an einer quantitativen und qualitativen Verbesserung der Verteidigung gearbeitet – mit wesentlich stärkerer Unterstützung von Russland und China.

So lieferte Russland im September mit MiG-29-Jets die ersten neuen Kampfflugzeuge seit 30 Jahren. Durchgesickerte Informationen deuten darauf hin, dass der Iran jetzt auch zügig 48 hochmoderne Kampfflugzeuge vom Typ Sukhoi Su-35 erhalten wird. Sie waren bereits 2023 bestellt, aber bisher nicht geliefert worden, und würden der iranischen Luftwaffe einen Generationssprung verschaffen. Die als sehr leistungsfähig in der Verteidigung geltenden Kampfjets können sie zwar nicht auf Augenhöhe mit Israel bringen, werden aber ein Faktor sein, den Israel fürchten müsste, anders als die veraltete bisherige Kampfflotte.

Eine Serie von Flügen großer russischer Militärtransporter lässt Analysten zudem vermuten, dass hiermit neben hunderten Tonnen militärischer Ausrüstung zum Wiederaufbau zerstörter Verteidigungssysteme auch schon S-400-Batterien geliefert wurden. Russlands leistungsstärkstes Luftabwehrsystem könnte in Verbindung mit den einheimischen Bavar-373-Systemen einen effektiven mehrschichtigen Schutzschild für wichtige Gebiete und strategische Standorte bieten.

China legte nach dem Krieg seine bisherige Zurückhaltung ab und baut nun seine militärische Unterstützung kräftig aus. Einem Bericht der Dryad Global Maritime Security zufolge, einem Unternehmen, das maritime Risikoanalysen für die Schifffahrts-, Energie- und Rohstoffbranche anbietet, haben China und Iran einen geheimen Öl-für-Waffen-Handel begonnen. Demnach tauscht Teheran einen großen Teil seiner Rohölexporte gegen moderne chinesische Militärtechnik ein, darunter Raketensteuerungstechnologien, Drohnen- und Präzisionslenkkomponenten sowie Raketentreibstoff. Dryad Global identifizierte eine „ausgereifte, besser operationalisierte Tauschwirtschaft, die ausdrücklich darauf ausgelegt ist, westliche Sanktionen durch ein weitverzweigtes Netzwerk von Scheinfirmen, Tankern ohne AIS-Ortung und Finanzierungskanälen zu umgehen.“ In diesem Rahmen hat der Iran mittlerweile auch das chinesische Langstrecken-Luftabwehrsystem HQ-9 erhalten. Es ist eine Weiterentwicklung des russischen S-300-Systems, das mit den im Land vorhandenen S-300-Batterien zusammenarbeiten kann und somit eine weitere signifikante Verbesserung der iranischen Luftabwehr bringen wird.

Kriegsgefahr weiter hoch

Der Ausbau und die Modernisierung seiner Luftabwehr und Luftwaffe kann zukünftige Angriffe für Aggressoren wesentlich schwieriger und verlustreicher machen. Analysten sprechen sogar davon, dass sie die Machtbalance in der Region verschieben würde. Gleichzeitig warnen sie davor, dass Israel vermutlich versuchen wird, dies mit verdeckten Cyberoperationen, Sabotage und Luftangriffen zu verhindern, bevor die leistungsfähigere Verteidigung voll einsatzfähig ist.

Die Einschätzungen über die weitere Entwicklung gehen weit auseinander. In Washington sieht man, wie der investigative Journalist Seymour Hersh berichtet, die iranische Führung sei in einer existenziellen Krise und hoffe auf baldige Aufstände. „Nicht genug Wasser. Nichts zu essen. Kein Geld (…) und die wichtigsten Militärführer sind tot“, so ein US-Geheimdienstexperte für den Nahen Osten. Der Staat stehe „kurz vor dem totalen Zusammenbruch“.

Das ist sicherlich reines Wunschdenken. Davon geht auch die israelische Führung nicht aus. Die rechne vielmehr damit, so Hersh, dass schon im Spätsommer nächsten Jahres „die ersten Elemente“ eines verbesserten iranischen Luftabwehrsystems einsatzbereit sein werden. Sie plane daher, „im Frühjahr einen neuen, massiven Angriff auf den Iran zu starten“, bevor das iranische System in Betrieb gehe.

Die Gefahr neuer Angriffe und damit auch eines Flächenbrandes sind nicht gebannt.

Unser Autor ist aktiv im Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg.

Quelle: Unsere Zeit

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