junge Welt, 15. Mai 2025:
Achtzig Jahre nach dem Kriegsende in Europa und nach der Befreiung vom Faschismus ist die politische Lage kompliziert. Russland als der wichtigste Nachfolgestaat der Sowjetunion wird von offiziellen Veranstaltungen ausgeschlossen. Deutsche Politiker reden von Kriegstüchtigkeit und setzen eine Aufrüstung in Gang, die einen neuen Angriff Richtung Osten befürchten lässt. Den Liberalen dient ihre Version des Antifaschismus als Rechtfertigungsideologie, dass ein geläutertes Deutschland nun die Verpflichtung habe, Störenfriede einer »regelbasierten Ordnung« in die Schranken zu weisen. Die radikale Rechte will von Befreiung gleich gar nichts wissen und fordert eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad. Das antifaschistische Erbe der DDR wird seit dreißig Jahren immer wieder mit Füßen getreten.
Unter diesen Bedingungen organisierte die junge Welt am 8. Mai eine Veranstaltung unter dem Titel »Das Banner des Sieges weitertragen«. Dieses Motto zu erfüllen verlangt eine historische Vergegenwärtigung, eine aktuelle Lagebestimmung und eine Strategiediskussion.
Viel spricht für die Einschätzung, die Manfred Sohn (Marx-Engels-Stiftung) in der Podiumsdiskussion zum Thema, was Antifaschismus heute heißt, äußerte: dass Europa nur noch ein Randgebiet des großen eurasischen Kontinents ist und Zukunftsfragen woanders entschieden werden. Doch ist zugleich richtig, dass dieses Randgebiet in den Jahrhunderten seiner globalen Dominanz erhebliche materielle Ressourcen angehäuft hat und diese in Waffen umzusetzen plant, deren Einsatz globale Auswirkungen hätte. Entsprechend sieht Sohn die Hauptaufgabe von Linken in Deutschland heute darin, die Arbeiterklasse vom Kriegskurs abzubringen.
Dies erfordert Bündnispolitik – doch Bündnis mit wem? Einigkeit bestand darin, dass die AfD kein Partner sein kann. Sie hat, wie Andrea Hornung (SDAJ) ausführte, die doppelte Funktion, heute berechtigte Unzufriedenheit nach rechts abzulenken und für die Zukunft, im Notfall fürs Kapital eine faschistische Alternative zu bieten. Manfred Sohn verwies darauf, dass schon die NSDAP vor der Machtübergabe 1933 sich ihres pseudolinken Flügels entledigte. Bei der AfD dürfte es nicht anders kommen.
Wie aber geht man heute mit Faschisten um? Hans Bauer (GRH) machte die Verhältnisse in der DDR deutlich. Dort gab es nicht nur, wie es die Ideologie heute zu wissen behauptet, »verordneten«, sondern wirklichen Antifaschismus. Bauer nannte Zahlen: In der DDR wurden 13.000 Naziverbrecher verurteilt, in der BRD mit ihrer fast vierfach größeren Bevölkerung 7.000. Aber dieses Erbe ist weitgehend zerschlagen. Heute gibt es zahlenmäßig beeindruckende Demonstrationen gegen die AfD, doch mit Politikern jener Parteien, deren Migrationspolitik von den Forderungen der AfD auch mit der Lupe kaum mehr zu unterscheiden ist. Dennoch, so bestand Einigkeit, müssen Linke dorthin gehen. Taylan Çiftçi (DIDF) plädierte dafür, dort ehrlich interessierte Teilnehmer anzusprechen und ebenso, mit jenen zu diskutieren, die sich gerade in eine sozialdemokratisierte Linkspartei verirren. Zentral aber ist die Selbstorganisation der Werktätigen. Dabei können gemeinsame Tarifkämpfe mit migrantischen Beschäftigten eine wichtige Erfahrung sein.
Keinesfalls hilft es, so Çiftçi, à la BSW migrationspolitische Positionen von den Rechten zu übernehmen. Gegen jedes Anpassertum sprach sich auch Hornung aus. Und es stimmt ja: Die AfD wird stark, weil die Politik der herrschenden Parteien für die große Mehrheit der Bevölkerung ruinös ist. Hornung sieht die Aufgabe der Linken nicht darin, das bestehende Schlechte gegen das noch Schlechtere zu sichern, sondern eine klare Systemopposition zu formulieren und zur Praxis zu machen. Dabei wird es helfen, so Çiftçi, die absehbaren Folgen der Kriegswirtschaft zu verdeutlichen.
Zum vollständigen Bericht zur jW-Veranstaltung zum 80. Jahrestag der Befreiung vom deutschen Faschismus von Kai Köhler:
https://www.jungewelt.de/artikel/499711.8-mai-das-gestern-im-heute.html
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Auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=4cF8qYXJyVM