Auf Warnsignale achten

Ab morgen rollt bei der Fußball-WM in Russland der Ball, am 7.Juli wird die Tour de France gestartet, und nur wenige Tage später beginnen die Sommerferien. Es stehen also wieder Wochen und Monate an, die in der Vergangenheit des Öfteren vom Patronat dazu genutzt wurden, um die Beschäftigten mit Abbauplänen und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen zu überrumpeln.

Besonders ältere Stahlarbeiter werden sich in dieser Hinsicht sicher noch bestens an die Zeiten erinnern, als sie in den Jahren der Stahlkrise das mulmige Gefühl, das sie während ihres Urlaubs immer wieder plagte, einfach nicht los wurden. Die Frage, die sie damals wohl mit am meisten beschäftigte, war, wie viele Arbeitsplätze den Rotstiftspezialisten während ihrer Abwesenheit wohl wieder zum Opfer fallen würden, ob sie ihre Arbeit nach dem Urlaub weiter ausüben dürften, oder ihnen eine Versetzung auf einen anderen Posten, einen anderen Betrieb oder gar in die Antikrisendivision bevorstehen könnte? Fragen, die in den langen Jahre der Stahlkrise während der Sommermonate stets zu den Sorgen und Ängsten aller Schmelzarbeiter gehörten.

Eine Praxis, die jedoch nicht allein in der Stahlindustrie üblich war. So gab es auch in anderen Wirtschaftssektoren immer wieder Firmen, die von der Abwesenheit des Personals profitierten, um Stellen abzubauen, Produktionsanlagen ins Ausland zu transferieren, Insolvenz anzumelden, Betriebe dicht zu machen.

Erinnert sei in dieser Hinsicht beispielsweise an Bauarbeiter, die nach ihrem Kollektivurlaub verschlossene Firmentüren vorfanden, an Gießer und Schmiede, deren Werkzeug über Nacht »verschwunden« war, an Handwerker, deren Arbeitsmaschinen während ihrer Abwesenheit abtransportiert worden waren, an Berufsfahrer, denen nach dem Sommerurlaub beim Betreten des Geländes mitgeteilt wurde, die Firma sei insolvent und die LKW seien allesamt gepfändet worden.

Auch wurden den Schaffenden während der Urlaubsperiode häufig Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen aufgezwungen. Posten abgebaut, Arbeitszeiten und Schichtpläne geändert, Pausen reduziert, Lohnkürzungen beschlossen, Prämien beschnitten oder gestrichen. Maßnahmen, gegen die man sich im Nachhinein immer nur schwer entgegenstemmen konnte. Wohl eine der Hauptursachen, wieso Verschlechterungen so oft in den Sommermonaten umgesetzt werden . Besteht die Gefahr, dass den Schaffenden in den nächsten Wochen und Monate nun ähnliche Verschlechterungen bevorstehen könnten? Ausschließen kann man dies nicht, zumal ein Ende der kapitalistischen Wirtschaftskrise nach wie vor nicht in Sicht ist, und den Gewerkschaften die Namen so mancher Firmen bekannt sind, die sich in Schwierigkeiten wähnen. Was dies bedeutet, dürfte eigentlich einem jeden bekannt sein, da bei auftretenden Problemen die Quittung ein jedesmal den Schaffenden serviert wird.

Deshalb sollte man seine Aufmerksamkeit ab morgen keinesfalls nur der Fußball-WM, der Tour de France oder dem anstehenden Urlaub widmen. Um rechtzeitig reagieren zu können, müssen Arbeiter und Personalvertreter auch in den kommenden Wochen jederzeit auf jede Unregelmäßigkeit und jedes Warnsignal im Betrieb achten. Alle »Sensoren« müssen eingeschaltet bleiben, um nach dem Sommerurlaub nicht aussichtslos – weil zu spät und unvorbereitet – gegen böse Überraschungen ankämpfen zu müssen.

gilbert simonelli

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek