Russland und die NATO

Bundestagsfraktion der LINKEN beriet mit Vertreter/innen der Friedensbewegung am 14.9.18 in Gebäude des Bundestages in Berlin „Paul Löbe Haus“

Im Mittelpunkt der Beratung stand die Frage, wie die Ausweitung des Krieges in Syrien verhindert und endlich eine Friedenslösung gefunden werden kann. Die Behauptung der Bundesregierung, es könnte ein neuer Giftgasangriff kommen, der in jedem Fall der syrischen Regierung angelastet wird und einen Kriegseintritt Deutschlands zwingend erfordert (und dies noch, ohne das Parlament zu fragen, denn es müsse eilig gehandelt werden), wurde zurückgewiesen. Die Friedensbewegung müsse rasch handeln, wenn von der Leyen ihre abenteuerlichen Pläne umsetzt, die nun auch von Frau Merkel unterstützt werden. Auf die Behauptung, Deutschland müsse mitmachen z.B. „wegen Israel“, müssen wir uns einstellen. Es zeichnet sich ab, dass die ganze Region um Syrien verändert wird mit kriegerischen Mitteln.

Nachdem die Abgeordneten eine Dokumentation vorgelegt haben, die die Anträge der Linken Fraktion zur Friedenspolitik enthielt, wurde vereinbart, dass die Teilnehmer/innen des Runden Tisches laufend über die friedenspolitischen Initiativen der Fraktion informiert werden. Es existieren Kontaktstellen „Bewegungen“ der Fraktionen in Bund und Ländern.

Zusätzlich zu den Initiativen zu Einzelfragen soll künftig eine Bewegung „Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz“ aufgebaut werden.

Gefragt wurde, wie es angesichts von „Aufstehen!“ mit der Friedenspolitik der Linken weitergeht. Man höre gar nicht mehr, dass eine linke Mehrheit im Parlament angestrebt werde, um gegen den Krieg zu wirken.

Die Relation Migration/Militarismus wurde ausführlich behandelt. Es sollte auf die Agenda gesetzt werden, dass die demokratische Abwehr des Projekts des Aufbaus von ca. 6000 gewaltbereiten Soldaten, die im Innern eingesetzt werden, nötig werden könnte.

Behandelt wurden weiter die Themen: Erdoganbesuch, Rüstungsproduktion und –export (besonders Rheinmetall-Aktionen in Düsseldorf und Unterlüß) sowie das deutsche Verhältnis zu Russland. Bilanziert wurde die Zahl 100.000 Unterschriften für „Abrüsten statt aufrüsten“.

Über Deutschland vs. Russland referierten Lühr Henken und Andreas Zumach. Hervorgehoben wurde die Erklärung vom April 2018 von der früheren Bundestagsvizepräsidentin Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen) und dem ehemaligen Bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber (CSU) gemeinsam mit Horst Teltschik (CDU), Günter Verheugen (SPD) und Helmut Schäfer (FDP).

Lühr Henken beleuchtete die gesamte Zeit seit 1945, die seitens des Westens auf die Vernichtung der UdSSR und später Russlands gerichtet gewesen sei.

Ulrich Sander schlug vor, auch die Seite der Außenpolitik Russlands zu betrachten und zu kritisieren, die auf die Förderung der Rechtskräfte im Westen, auch in Deutschland gerichtet sei. Wäre es zum Wahlerfolg Le Pens in Frankreich mit Hilfe Moskaus gekommen – es hätte eine schlimme Destabilisierung zur Folge gehabt. Schließlich sei es Moskau gelungen, zu helfen, dass Trump an die Macht kam. Das ist alles ist keine Kleinigkeit.

Lühr Henken führte aus:

13. Runder Tisch der Friedensbewegung und Die Linke im Bundestag am 14.9.2018
Lühr Henken, Bundesauschuss Friedensratschlag, Sprecher

Russland und die NATO

Seit November 1945 wurde die Sowjetunion von den USA, seit 1949 von der NATO, mit einem Atomkrieg bedroht. Die US-Aufrüstung fußte auf Lügen. Obwohl die USA es besser wussten, wurde Moskau eine Angriffsabsicht unterstellt1. Die UdSSR wurde so in ein atomares Wettrüsten gezwungen, das sie verlor.

Das Versprechen vom „Ende des Kalten Krieges“ aus der Charta von Paris 1990 wurde nicht eingelöst.

Statt sich aufzulösen – wie der Warschauer Pakt – rückte die NATO Schritt für Schritt näher an die russische Westgrenze heran, mit der Absicht, nach und nach Ex-Sowjetrepubliken bis hin zur Ukraine aus der russischen Einflusssphäre zu lösen und in den Westen einzugliedern.2

Einseitige US-Maßnahmen bringen Säulen der internationalen Sicherheit ins Wanken.

Erstens: Die flagranten Brüche der UN-Charta durch USA und NATO mit ihren Kriegen gegen Jugoslawien 1999 und den Irak 2003. Sie stellen das Recht des Stärkeren über das internationale Recht.

Zweitens: Der US-Militärplan einer „Full Spectrum Dominance“ aus dem Jahr 2000, der vorsieht, bis 2020 eine umfassende militärische Überlegenheit zu Wasser, zu Lande, in der Luft, im Welt- und im Cyberraum zu erreichen.

Drittens: Die Auflösung des Vertrags über die Begrenzung von Raketenabwehrsystemen (ABM) durch George W. Bush 2002. Die Kündigung des ABM-Vertrages gefährdet tendenziell die strategische Zweitschlagkapazität Russlands, insbesondere dann, wenn es eine vereinbarte Obergrenze für strategische Atomsprengköpfe und ihre Trägersysteme gibt. Das ist mit dem New Start-Vertrag der Fall.

Viertens: Seit 2006 verfolgen die USA das Ziel mittels eines Sofortschlags innerhalb einer Stunde jeden Ort der Erde treffen zu können. Dieser „Prompt Global Strike“ verschafft ihnen ein weltweites Erpressungspotenzial, was die Stärke des Rechts untergräbt.

Russland sieht seine Kerninteressen durch den Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe, der NATOResponse-Force, und durch US-Stützpunkte in Bulgarien und Rumänien gefährdet. Durch das NATOAngebot aus dem Jahr 2008, die Ukraine und Georgien aufzunehmen, fühlt es sich ernsthaft bedroht.

Mit dem Staatsstreich in der Ukraine 2014 drohte das Land als Pufferstaat zwischen NATO und Russland verloren zu gehen. Russland befürchtete, seinen Marinestützpunkt auf der Krim an die NATO zu verlieren. Seitdem betreibt Moskau eine Destabilisierung der Ukraine, um sie von einer Eingliederung in den Westverbund abzubringen.

Der NATO-Beschluss vom September 2014, wonach die europäischen NATO-Staaten und Kanada bis 2024 möglichst zwei Prozent, statt wie damals durchschnittlich 1,4 Prozent3, ihrer Wirtschaftsleistung für das Militär ausgeben sollen, verändert das ohnehin sehr schiefe Kräfteverhältnis bei den konventionellen Waffen zwischen Russland und der NATO weiter zu Gunsten der NATO. An dieser Stelle komme ich nicht um die Nennung von mehreren Zahlen herum, um die Schieflage zu dokumentieren. Die NATO verfügt mit knapp 3,5 Mio. Soldaten über das 4,4 fache Russlands, die NATO hat 25 Prozent mehr Kampfpanzer, sie hat das 2,8 fache an Kampfhubschraubern, das Vierfache an Erdkampf- und Kampfflugzeugen. Die NATO hat das 2,7 fache an Zerstörern, Fregatten und Korvetten und das 2,6 fache an U-Booten. Nur in einer einzigen Kategorie schwerer Waffen hat Russland mehr als die NATO: Es hat 8 Prozent mehr Artilleriesysteme.4 Beim Vergleich der Militärausgaben wird der Unterschied wohl am deutlichsten. Die NATO schätzt, dass sich ihre Militärausgaben in diesem Jahr zusammen auf 1.013 Milliarden Dollar5 belaufen werden. SIPRI gibt die russischen Militärausgaben für 2017 mit 66,3 Milliarden Dollar an. Russland hatte sie auf 2017 um 20 Prozent gesenkt.

Im konventionellen Bereich kann Russland nicht aufholen. Russland versucht diese Unterlegenheit durch taktische Atomwaffen auszugleichen, die im europäischen Teil lagern. Die Umsetzung des Zwei-Prozent-Ziels erschwert eine Abrüstung der ca. 2.000 taktischen Atomsprengköpfe Russlands.6

Zunehmende NATO-Manövertätigkeit von Norwegen, über die Ostsee, dem Baltikum und Polen bis hinunter zum Schwarzen Meer und der Ausbau Deutschlands zur logistischen Drehschreibe und zum Truppenaufmarschgebiet provoziert russische Militärübungen. Dadurch erhöhen sich nicht nur die Spannungen, sondern auch die Gefahr eines Krieges aus Versehen.

Einen Lösungsansatz und einen für mich überraschenden Beleg für die bestehende Brisanz fand ich in der FAZ vom 12.4.18. Unter der Überschrift „Dialog statt Eskalation“ schreiben Edmund Stoiber, Horst Teltschik, Günter Verheugen und Antje Vollmer:

„Worauf es in erster Linie ankommt, ist die Überwindung der Sprachlosigkeit. Über alle Konfliktpunkte und Streitpunkte mit Russland muss offen geredet werden, ohne Vorbedingungen und Drohungen. Wir sollten eine Politik entwickeln, die sich ausschließlich am internationalen Recht und an der gemeinsamen Verantwortung für das Schicksal der gesamten Menschheit ausrichtet. Deutschland und die EU sollten dazu die Initiative ergreifen. Die Idee einer gesamteuropäischen Partnerschaft ist zwar nicht neu, aber wartet auf Verwirklichung. Das ist das richtige und große außenpolitische Thema dieser Legislaturperiode. Wer das nicht sehen will, ist blind für die Gefahr
eines dritten und letzten Weltkrieges.“7

1 Vgl. Jürgen Bruhn, Der Kalte Krieg oder: Die Totrüstung der Sowjetunion. Der US-militär-industrielle Komplex und seine
Bedrohung durch Frieden, Gießen 1995, 263 Seiten,
2 Vgl. Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht – Amerikas Strategie der Vorherrschaft, 1997, 311 Seiten
3 Defence expenditure of NATO Countries (2011 – 2018), NATO Press Release 10.7.2018. 15 Seiten,
https://www.nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/pdf_2018_07/20180709_180710-pr2018-91-en.pdf
4 Welt am Abgrund? Der Münchner Sicherheitsbericht, Deutsche Welle, 8.2.18, http://www.dw.com/de/welt-am-abgrundder-
münchner-sicherheitsbericht/a-42482455
5 Siehe Fußnote 3
6 http://bos.sagepub.com/content/early/2015/04/13/0096340215581363.full.pdf+html , S. 2
7 FAZ 12.4.2018, Helmut Schäfer (Staatsminister im Auswärtigen Amt 1987 – 1998), Edmund Stoiber (bayrischer
Ministerpräsident (1993-2007), Horst Teltschik (Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz 1999-2008), Günter
Verheugen (EU-Kommissar 1999-2010), Antje Vollmer(Vizepräsidentin des Bundestages 1994-2005), Dialog statt Eskalation

Quelle:

VVN-BdA Landesvereinigung Nordrhein-Westfalen