Anhaltende Angriffe der Türkei auf Nordsyrien: Offensive gegen IS gestoppt

Pressemitteilung von Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, 02.11.2018

Seit fünf Tagen greift die türkische Armee die demokratisch-autonomen Kantone in Nordsyrien an. Bei den bisherigen Angriffen auf Kobanê und Girê Spî (Tall Abyad) wurden drei Personen getötet und mehrere Personen verletzt. Am Abend des 1. Novembers wurde beim Beschuss auf das Dorf Tilfindir ein 12-jähriges Mädchen durch eine Kugel am Kopf getroffen. Im Krankenhaus ist das Mädchen ihren Verletzungen erlegen. Die Bewohner des Dorfes berichten, dass ein Scharfschütze das Opfer bewusst ins Visier genommen habe. Bei den zwei weiteren Todesopfern handelt es sich um Mitglieder der lokalen Selbstverteidigungskräfte.

Der erste Angriff fand nur einen Tag nach dem Vierergipfel in Istanbul statt, bei dem sich die Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, der Türkei und Russland zum „Friedensprozess in Syrien” beraten hatten. In einer gemeinsamen Abschlussrunde hatte der türkische Präsident Erdoğan angekündigt, einen weiteren Angriffskrieg gegen Rojava führen zu wollen. Diese Ankündigung hat Erdoğan am Dienstag in der Fraktionssitzung seiner Partei wiederholt: „Wir werden die Terrorstrukturen östlich des Euphrats zerstören. Wir haben dazu unsere Vorbereitungen, unsere Pläne und Programme abgeschlossen. Bald werden wir eine größere und effizientere Operation beginnen.“

Nach türkischen Angriffen: Offensive gegen Islamischen Staat gestoppt

Die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) haben als Reaktion auf die Angriffe des türkischen Staates auf Kobanê und Girê Spî die am 10. September eingeleitete Offensive zur Befreiung der letzten Hochburg des sogenannten Islamischen Staates (IS) in Deir ez-Zor an der syrisch-irakischen Grenze vorübergehend gestoppt. In einer aktuellen Erklärung der QSD heißt es, dass der türkische Staat zu einem Zeitpunkt, an dem die Operation gegen den IS in ihre letzte Phase getreten ist, Nord- und Ostsyrien angreife. Die internationale Koalition gegen den IS wird zur Stellungnahme angesichts der türkischen Angriffe aufgerufen. Die QSD verweisen darauf, dass eine Koordination zwischen den Angriffen des IS in Hajin und den Angriffen des türkischen Staates stattfindet: „Als Demokratische Kräfte Syriens begreifen wir die Angriffe des türkischen Staates als Unterstützung der IS-Terroristen. Zeitgleich zu den türkischen Angriffen finden auch in Hajin heftige Angriffe des IS statt. Wir sehen, dass diese Angriffe koordiniert stattfinden. Aus diesem Grund stoppen wir vorübergehend die Endphase der Offensive zur Beendigung des Terrors, die wir gegen den IS führen. Durch die türkischen Angriffe wird unsere Operation gegen den IS in die Länge gezogen.“

Die QSD wendet sich in ihrem Aufruf an die internationale Staatengemeinschaft: „Wir rufen dazu auf, die Angriffe des türkischen Staates auf sichere Gebiete in Nordsyrien zu verurteilen. Die internationale Koalition rufen wir dazu auf, eine klare Haltung zur Feindseligkeit der Türkei zu beziehen. Die Türkei unterstützt den IS und die Angriffe des türkischen Staates widersprechen der Strategie der internationalen Koalition, deren Bündnispartner wir im Kampf gegen den Terror sind.“

PYD: „Der türkische Staat will das Ende des IS verhindern“

Die Partei der Demokratischen Einheit (PYD) hat in einer schriftlichen Erklärung zu den Angriffen des türkischen Staates auf Kobanê und Girê Spi daran erinnert, dass am 1. November, dem Welt-Kobanê-Tag, weltweit die Menschen gegen den Terror aufgestanden sind und den Widerstand von Kobanê unterstützt haben. Der IS hatte 2014 trotz der Unterstützung des türkischen Staates Kobanê nicht einnehmen können, wodurch der Anfang des Endes der Terrororganisation eingeleitet wurde.

Türkische Angriffe gefährden die globale Sicherheit

In diesem Kontext verwies Dr. Abdulkerim Omar vom Rat für auswärtige Angelegenheiten des nordsyrischen Kantons Cizîrê auf die Situation der mehreren hundert in Nordsyrien verhafteten IS-Mitglieder aus verschiedenen Ländern. Im Kampf gegen den IS sind nach Angaben Omars 790 Mitglieder der Terrormiliz aus 46 Ländern in Nord- und Ostsyrien gefangen genommen worden. 584 Frauen und 1248 Kinder leben unter Aufsicht in den Flüchtlingslagern al-Hol, Roj und Ain Isa. Da der Kampf gegen den IS in Deir ez-Zor andauere, müsse von einem Ansteigen dieser Anzahl ausgegangen werden. In der letzten IS-Bastion Hajin an der syrisch-irakischen Grenze, gegen die sich die aktuelle QSD-Offensive richtet, werden knapp 5000 IS-Mitglieder vermutet. Abdulkerim Omar erklärte weiter, dass die Versorgung der gefangenen IS-Mitglieder problematisch sei und diese insbesondere aufgrund der türkischen Angriffe eine große Gefahr darstellen. Sollten sich die Angriffe ausweiten und dadurch eine Sicherheitslücke entstehen, sei nicht auszuschließen, dass die Gefangenen flüchten und auch eine Gefahr für Europa bedeuten könnten. Die aus europäischen Staaten stammenden IS-Mitglieder müssten in ihren Herkunftsländern vor Gericht gestellt werden, auch für ihre Familien trage Europa Verantwortung, erklärte Omar abschließend auf der Pressekonferenz.

Quelle:

Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.