Zu den Verbotsdrohungen gegen die Rote Hilfe

Am 30. November 2018 war im rechtskonservativen Magazin „Focus“ zu lesen, Innenminister Horst Seehofer plane ein Verbot der Roten Hilfe e.V. (RH). Seitdem schwebt diese Drohung wie ein Damoklesschwert über der strömungsübergreifenden linken Solidaritätsorganisation. Der Vorstoß reiht sich ein in die enthemmte Hetze gegen kritische Kräfte, die in den vergangenen Jahren von den grundrechtsfreien Wochen rund um den G20-Gipfel, über das Verbot der Internetplattform linksunten.indymedia.org, bis hin zum „Online-Pranger“ gegen G20-Gegner*innen regelmäßige erschreckende Höhepunkte erreichte. Allerdings: Eine Welle von Unter-stützungsbekundungen und breiter Berichterstattung in den Medien stellt sich diesem neuen Angriff der Repressionsmaschinerie entgegen.

Dass die Tätigkeit der Roten Hilfe den staatlichen Behörden ein Dorn im Auge ist, ist erstmal wenig verwunderlich. Unter dem Motto „Solidarität ist eine Waffe“ organisiert sie juristischen und finanziellen Beistand für linke Aktivist*innen, die wegen ihrer politischen Betätigung von Repression betroffen sind. Sie schützt in erster Linie davor, mit den Folgen allein gelassen zu werden. Ebenfalls zentral ist die Öffentlichkeitsarbeit, die sich gegen Gesetzesverschärfungen und Vereinsverbote richtet, besonders brutale Polizeieinsätze und absurde Urteile gegen Linke kritisiert, oder die Freilassung von politischen Gefangenen fordert. Die ständig zunehmende Zahl von derzeit weit über 9000 Mitgliedern aus unterschiedlichsten Bewegungen und Parteien zeigt, wie wichtig die Rote Hilfe als Institution und ihre Arbeit für ein breites Spektrum fortschrittlicher Kreise ist.

Anna und Arthur: Alles linksradikale Straftäter!

Weder die Kritik an den Repressionsorganen, noch die juristische oder finanzielle Unterstützung von Personen, die von Repression betroffen sind, sind etwas, was nach irgendeinem Paragrafen strafbar wäre. Doch in Zeiten der manisch anmutenden Jagd gegen Linke scheint das bedeutungslos zu sein. Die Begründungen der Verbotsdrohungen sind dabei Tatsachen, die sowohl legal als auch legitim sind. Allerdings sind sie für das Innen-ministerium und die Propagandist*innen der „Inneren Sicherheit“ besonders unliebsam und werden daher mit Vorliebe kriminalisiert.

Einer der angeführten Kernvorwürfe ist zum Beispiel die – in den Presseberichten zum Skandal aufgeblähte – Unterstützung für „linksradikale Straftäter“. Damit ist nichts anderes als die Umsetzung des Vereinszwecks der Roten Hilfe gemeint, die laut ihrer Satzung Menschen beisteht, die sich „für die Ziele der Arbeiter_innenbewegung, der internationalen Solidarität, des antifaschistischen, antisexistischen, antirassistischen, demokratischen und gewerkschaftlichen Kampfs, sowie des Kampfs gegen Antisemitismus, Militarismus und Krieg“ einsetzen und deshalb „vor Gericht gestellt und zu Geld- oder Gefängnisstrafen verurteilt werden oder sonstige Nachteile erleiden.“ (aus §2 der Satzung der Roten Hilfe e.V.). Dass Aktivist*innen, die mit Prozessen überzogen und eventuell verurteilt werden, üblicherweise Straftaten vorgeworfen werden, ist eigentlich selbstverständlich – zumindest nach den Ansprüchen des so oft betonten Rechtsstaats. Und wie schnell die Einsatzkräfte mit Ermittlungsverfahren zur Hand sind, ist allen bekannt, die schon mal an politischen Protesten teilgenommen haben. Wenn die „Unterstützung von Straftätern“ in Form von Prozesskostenübernahme und juristischen Beistand strafbar wäre, müssten Rechtsschutzversicherungen mit Verboten und Anwält*innen mit einer Verurteilung rechnen. Skandalisiert wird in diesem Zusammenhang auch die dringende Empfehlung der Roten Hilfe, im Polizeiverhör vom Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch zu machen. Möglicherweise wird demnächst die aus jedem Vorabendkrimi bekannte Formulierung bei der Festnahme – „Alles was Sie ab jetzt sagen, kann gegen Sie verwendet werden“ – zensiert werden? Ebenfalls mit Empörung angeführt werden dann noch das schnelle Mitgliederwachstum der Roten Hilfe, sowie die prominenten Politiker*innen verschiedener Parteien, die der Organisation angehören.

Dem Trend der Diffamierungs- und Kriminalisierungskampagne gegen Linke folgend werden auch in Bezug auf die Solidaritätsorganisation die teilweise militanten Proteste gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg bemüht. Die Rote Hilfe, so der Vorwurf, sei dort „aufgetreten“. Das ist sie, und zwar durch Öffentlichkeitsarbeit zu polizeilichen Gewaltexzessen und Willkürakten, durch die Zusammenarbeit mit dem Anwaltlichen Notdienst und bei der Organisierung von Rechtshilfe und Solidarität bei den folgenden Prozessen.
Doch abgesehen von der Auflistung völlig legaler und korrekter Tatsachen, verbreiten Blätter wie der Focus auch offene Lügen, die teilweise von anderen Medien umstandslos kopiert wurden.

So berichtete das Wochenmagazin, die von der Roten Hilfe Unterstützten müssten „sich verpflichten, auch nach verbüßter Strafhaft den ‚revolutionären Straßenkampf‘ fortzusetzen“. Hintergrund der Behauptung ist, dass die Rote Hilfe – ihrem Selbstverständnis als linker Organisation entsprechend – sich klar gegen Reueerklärungen, Distanzierung von der eigenen politischen Aktivität, sowie gegen die Belastung von Genoss*innen bei Polizei und Justiz ausspricht und ihre finanzielle Unterstützung davon abhängig macht. Die bizarre Idee einer vertraglichen Vereinbarung über die Teilnahme an Barrikadenkämpfen sorgte für herzliches Lachen bei allen Kenner*innen der Solidaritätsorganisation, die ihrerseits noch nie den „revolutionären Straßenkampf“ propagiert hat, sondern keinerlei Stellung zu Aktionsformen bezieht.

Diffamierung in Dauerschleife

So weit, so absurd. Doch es geht noch grotesker: Einer der gebetsmühlenartig wiederholten Vorwürfe ist, dass sich die Rote Hilfe nie von den Anschlägen der Roten Armee Fraktion (RAF) distanziert hat. Warum sollte sie auch? Schließlich war sie an den Aktionen der Stadtguerilla nicht beteiligt. Zu den stets wiedergekäuten bewussten Lügen rechter Medien gehörte über Jahre hinweg die Behauptung, die Solidaritätsorganisation unterstütze die RAF oder stehe ihr nahe. Dabei wurde geflissentlich ignoriert, dass die Gruppe bereits am Ende des vorigen Jahrhunderts, vor inzwischen über zwanzig Jahren, ihre Selbstauflösung erklärt hat. Obwohl sich diese Tatsache inzwischen auch in reaktionäre Kreise herumgesprochen hat, wird das Gespenst der Stadtguerilla immer wieder aus dem Hut gezaubert, wenn es darum geht, ein Bedrohungsszenario zu entwerfen und eine besondere Gefährlichkeit zu betonen. Auch die Behauptung, die Rote Hilfe unterstütze „die Gefangenen aus der RAF“ feiert selbst Jahre nach der Freilassung der letzten Inhaftierten bei jeder neuen Hetzkampagne fröhliche Urstand.
Der aktuelle Angriff ist keineswegs der erste, der von rechten Kreisen angestoßen wird. Immer wieder wurde führenden Politiker*innen ihre RH-Mitgliedschaft vorgeworfen. Diese gerieten in Folge durch die massiven Angriffe und Verleumdungen in den Medien unter Druck. So sah sich 2007 die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel zum Austritt genötigt, und 2013 musste sich die Sprecherin der Grünen Jugend, Sina Doughan, gegen Verunglimpfungen durch Hinterbänkler*innen von CDU und CSU zur Wehr setzen.

Doch das eigentliche Problem, das der nach rechts rückende Rechtsstaat mit der Roten Hilfe hat, kommt in den Antworten auf eine sogenannte „Kleine Anfrage” mehrerer Mitglieder der Bundestagsfraktion der LINKEN vom 24. Juli 2018 zum Vorschein. Außer der zunehmenden Mitgliederzahlen und Bedeutung im öffentlichen Diskurs führt das Bundesinnenministerium (BMI) den strömungsübergreifenden Charakter an, der die Stärke der Organisation ausmacht. Sie bilde „bewusst und gewollt ein Sammelbecken für – wenn auch nicht ausschließlich – Anhänger unterschiedlicher kommunistischer und anarchistischer Theorieansätze sowie diese Ansätze unterstützende Vereinigungen und Personenzusammenschlüsse. Mit der Verfassung-sordnung des Grundgesetzes sind sozialistisch-kommunistische Gesellschaftsordnungen nicht vereinbar“ (BT-Drucksache 19/3553 S. 5). Offenbar sind Meinungsfreiheit und -pluralismus inzwischen ebenfalls auf der Abschussliste. Auch in Bezug auf das Engagement beim G20-Gipfel konkretisierte das BMI die Anklagepunkte. So habe die Solidaritätsorganisation im Vorfeld die Kampagne „United we stand“ ins Leben gerufen, Printmedien dazu erstellt, sowie ein Spendenkonto eingerichtet. Außerdem „veröffentlichte die RH zahlreiche Pressemitteilungen, um ihre Sichtweise der Geschehnisse darzustellen und das Handeln staatlicher Institutionen (…) vehement zu kritisieren. Damit hat sich die RH nicht nur auf die Unterstützung von legitimen Protesten beschränkt, sondern sie hat vielmehr potenziellen Straftätern auch aus extremistischen Kreisen finanzielle und moralische Unterstützung für den Fall strafrechtlicher Verfolgung zugesichert“ (ebd. S. 7). Dass diese Tatsachen Teil von nicht nur legitimer, sondern auch völlig legaler Rechtshilfearbeit sind, ist jedem vernünftigen Menschen sofort ersichtlich. Die Substanzloslosigkeit der Verbotsforderungen ändert jedoch nichts an der Bedrohlichkeit der Ankündigungen. Im Fall der im Sommer 2017 kriminalisierten linken Online-Plattform linksunten.indymedia.org wurde dem Presseorgan auch der Vorwurf gemacht, über die missliebigen G20-Proteste berichtet und die Aufrufe zu den Demonstrationen dokumentiert zu haben, also als Presseorgan von der Pressefreiheit Gebrauch gemacht zu haben.

Aktive Solidarität üben!

Die Rote Hilfe wird sich aktiv gegen die staatlichen Angriffe wehren und hatte in früheren Fällen auch schon beträchtliche Erfolge beim juristische Vorgehen gegen staatliche Verleumdungen. Ausgerechnet der Inlandsgeheimdienst, der unter dem irreführenden Namen „Verfassungsschutz“ (VS) firmiert und unter anderem durch die systematische Unterstützung des Nazi-Netzwerks NSU, sowie durch die Verharmlosung rechter Gewalt Schlagzeilen machte, hatte in Bremen im Jahresbericht 2016 die Rote Hilfe e.V. als „gewaltorientiert“ bezeichnet. Dagegen hatte diese geklagt und Recht erhalten. Das Verwaltungsgericht Bremen verpflichtete in seinem Urteil vom 23. Oktober 2017 den Innensenator, den VS-Bericht nicht mehr zu verbreiten, da die Einschätzung weder nachvollziehbar, noch auf Tatsachen gestützt sei. Auch gegen möglicherweise kommende Repressalien gegen die Gesamtorganisation wird die Rote Hilfe juristisch und durch Öffentlichkeitsarbeit vorgehen.
Weit wichtiger sind jedoch die breite Unterstützung durch die sozialen Bewegungen, die zahlreichen Solidaritätsbekundungen von unterschiedlichsten linken Organisationen, Politiker*innen verschiedener Parteien und die großteils positive Berichterstattung in den Medien.

Jetzt ist es Zeit, gemeinsam die staatlichen Angriffe abzuwehren, indem weitere Menschen die Rote Hilfe e.V. durch Beitritt und aktive Mitarbeit stärken, den Verleumdungen entgegentreten und klar Position beziehen: Für strömungsübergreifende linke Solidaritätsarbeit – Schafft Rote Hilfe!

Quelle:

re:volt magazine

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