Russisches Außenministerium zur Situation um den INF-Vertrag

Indem man versucht, ihren destruktiven Beschluss über den Ausstieg aus dem INF-Vertrag zu rechtfertigen, entfachen die USA die Informations- und Propaganda-Kampagne, deren Grundlage gewissenlose Deutungen und offene Mutmaßungen bilden. Neben unsauberen Versuchen, die Verantwortung auf Russland zu verschieben, wird absichtlich die Bedeutung und Begründetheit der jahrelangen russischen Besorgnisse über die Erfüllung des Vertrags durch Washington selbst abgewertet. Mehr noch werden unglaubwürdige Informationen über die Entwicklung und den Inhalt des Dialogs zu gegenseitigen Ansprüchen eingeworfen.

In den Veröffentlichungen und Äußerungen der offiziellen Personen der USA wird unter anderem behauptet, dass Russland „statt auf die Gründe der Besorgnisse der USA bezüglich des INF-Vertrags zu reagieren, eigene Ansprüche anmeldet“. Doch alles war genau umgekehrt. Die Amerikaner äußerten zum ersten Mal Vorwürfe gegen Russland im Jahr 2013. Zugleich wird die Frage nach der Nutzung der so genannten „Zielflugkörper“ durch das Pentagon als Verstoß gegen den Vertrag seit 1999 gestellt, das Thema der Angriffsdrohnen wird seit Beginn der 2000er-Jahre aufgeworfen.

Die Erklärungen der US-Vertreter, dass die USA angeblich ausführlich auf die russischen Ansprüche antworteten, entsprechen ebenfalls nicht der Realität. Im Laufe vieler Jahre zeigte Russland möglichst viel Geduld, indem von Amerikanern die Beseitigung der eindeutigen Verstöße des INF-Vertrags angestrebt wurde. Als Bestätigung der eigenen Position wurden argumentierte und technisch begründete Beweise angeführt. Dennoch tat Washington sie einfach ab.

Wenn man über US-Drohnen mit Angriffspotential ausführlicher spricht, entsprechen einige ihre Typen vollständig dem in INF-Vertrag enthaltenen Begriff „landgestützter Marschflugkörper“. Darunter wird eine unbemannte Anlage zur Beförderung der Waffe gemeint, die mit einem eigenen Triebwerk ausgestattet ist, und deren Flug im größten Teil seiner Flugbahn mit dem aerodynamischen Auftrieb gewährleistet wird. Ob Washington das will oder nicht, wurde gerade so ein entsprechender Punkt im Vertrag formuliert, was nicht ignoriert werden darf.

Die Erwähnungen der Startanlagen, einmalige bzw. mehrfache Anwendungen gibt es im INF-Vertrag nicht. Deswegen verletzen jede Drohnen den Vertrag, die vom Boden abgefeuert werden, mit einem Schlagwirkung-Radius von 500 bis 5500 Kilometern.

Dabei sind die Versuche, auf die Entwicklungen der Angriffsdrohnen in Russland hinzuweisen, absolut unbegründet. Solche Systeme der erwähnten Klasse, die eine gemäß dem Vertrag verbotene Reichweite haben, sind in Russland im Unterschied von den USA nicht stationiert. Was die Forschungen betrifft, sind Forschungs- und Entwicklungsarbeiten gemäß INF-Vertrag nicht verboten.

Bezüglich einer großangelegten Nutzung der „Zielflugkörper“ an den Tests, die als Raketenabwehrtests bezeichnet werden, durch das Pentagon hat Russland alle Gründe, um zu verdächtigen, dass in der Tat Mittel getestet werden, die durch INF-Vertrag verboten sind. Unter dem Vorwand der Tests des Raketenabwehr-Warnsystems werden sie für die Reichweite von 500 bis 5500 km ohne Schadenwirkung auf sie und mit dem ganzen Flugzyklus – vom Start bis Niedergang der Nutzlast, die oft Manövriergefechtsköpfe, Blöcke mit Scheinzielen u.a. umfasst, gestartet.

Damit entwickeln die USA unter dem Deckmantel der „Zielflugkörper für die Raketenabwehr“ Raketen, deren Reichweite, Geschwindigkeit, Steuersystem, Ausmaß und Gewicht des Gefechtskopfes den Mitteln ähnlich sind, die von Einschränkungen des INF-Vertrags betroffen sind. Die Behauptungen der USA, dass die „Zielflugkörper“ nicht als solche auftreten, weil nicht mit Angriffszielen getestet werden, können wir nicht akzeptieren, weil ihre Starts ohne Abfangen nicht von den Tests der Trägersysteme zu unterscheiden sind.

Ein weiterer russischer Anspruch gegen die USA, der wohl die größten Besorgnisse im Kontext des Vertrags auslöst, ist der landgestützte Aufbau der universellen Startanlagen Mk-4 mit Komplexen Aegis Ashore. Sie werden in Europa angeblich ausschließlich zur Lösung der Raketenabwehr-Aufgaben stationiert. Doch die erwähnten Startanlagen ermöglichen den Kampfeinsatz von Mittelstreckenraketen Tomahawk und anderer Angriffswaffen vom Boden. Das ist ein direkter und eklatanter Verstoß des INF-Vertrags.

Bekannterweise haben die USA gemäß INF-Vertrag einst die Boden-Startanlagen für Marschflugkörper des Typs Tomahawk beseitigt. Diese Waffen wurden ursprünglich im Rahmen eines einheitlichen Programms als universelle Raketenmittel entwickelt, die verschiedene Stationierungstypen vorsahen. Die land- und seegestützten Versionen unterschieden sich äußerlich fast nicht voneinander.

Jetzt, nach einigen Jahrzehnten baut die US-Seite de facto die Infrastruktur für die Tomahawk-Raketen auf dem Boden aus. Das geschieht dem INF-Vertrag zuwider. Die Verlegung der Mk-41-Anlagen von Schiffen auf den Boden verlegt diese Anlagen eindeutig in die Kategorie der Startanlagen für landgestützte Marschflugkörper.

Die Erklärungen der offiziellen Personen der USA, dass die bereits in Rumänien stationierten und zur Stationierung in Polen vorbereitenden Startanlagen nicht den seegestützten Startanlagen Mk-41 ähnlich sind, widersprechen den Worten der US-Militärs und Entwickler des Komplexes Aegis Ashore. Sie haben ehrlich zugegeben, dass die land- und seegestützten Versionen dieser Startanlage „fast identisch“ sind.

Neben der vertragsrechtlichen Seite hat diese Frage eine wichtige strategische Dimension für die russische Seite. Denn es handelt sich um die Entstehung der amerikanischen Raketeninfrastruktur unmittelbar nahe Russland. Die Bedrohung für unsere Sicherheit wird dadurch verstärkt, dass die USA die Pläne des Wiederaufbaus des Potentials der seegestützten Marschflugkörper in nuklearer Ausstattung ankündigten, deren Rolle erneut die Tomahawk-Raketen übernehmen können, wie es bereits früher war. Das heißt, dass solche Raketen mit Nuklear-Befüllung sich in der Zukunft ebenfalls in Startzellen der Komplexe Aegis Ashore in Rumänien und Polen erweisen können.

Beim Verzicht auf jegliche positive Änderungen zu den für Russland kritisch wichtigen Problemen, bemühen sich die USA, die Aufmerksamkeit auf die angeblichen russischen „Verletzungen“ des INF-Vertrags zu verschieben. Dabei wird das so verzerrt, als ob der russischen Seite eine bedeutende Menge von Informationen vorgelegt wurde, die auf unsere „Schuld“ hinweist.

Das stimmt nicht. Nicht zufällig verschweigt Washington, dass Russland im Laufe von fünf Jahren von den USA Angaben zu drei wichtigsten Aspekten bekommen wollte, deren komplexe Analyse den Weg zu einer professionellen Erörterung der Ansprüche der USA hätte eröffnen können. Das sind eine eindeutige Definition der Rakete, die Verdächtigungen aufkommen lässt; Hinweis auf konkrete Starts, wann laut den USA unsere Verpflichtungen gemäß INF-Vertrag verletzt worden seien. Und das wichtigste – die Bereitstellung objektiver Angaben, auf deren Grundlage Schlussfolgerung gemacht wurde, dass die Reichweite während der Tests größer als die erlaubte war.

Statt gleich den ganzen Komplex der angeblich vorhandenen Informationen bereitzustellen, worauf Russland beharrte, wählten die Amerikaner den anderen Weg. Ursprünglich gab es irgendwelche unklare Andeutungen im Sinne „sie wissen auch selbst sehr gut, wie sie verletzen“. Danach wurden der russischen Seite minimale und äußerst allgemeine Angaben übergeben, denen vereinzelt, manchmal nur einmal im Jahr Teilchen von Informationen zugefügt wurden, wie Satellitenaufnahmen aus dem Internet und Bezeichnung des Typs des breit genutzten Fahrwerks der Startanlage, auf deren Grundlage nicht ein professioneller Befund gemacht werden kann.

Washington brauchte einige Jahre, bevor es eine konkrete Rakete nannte – 9M729, die im Rahmen der Modernisierung des Komplexes Iskander-M entwickelt wurde. Doch die Russische Seite verheimlichte nie ihre Existenz, was man uns nun vorzuwerfen versucht. Wir bestätigten das Vorhandensein dieser Mittel im russischen Arsenal, nachdem sein Index von Amerikanern genannt worden war. Doch wir wiesen die Tatsache zurück, dass dieses Erzeugnis einst für eine laut INF-Vertrag verbotene Reichweite getestet wurde.

Was konkrete Starts betrifft, die Russland angeblich als Verstoß des INF-Vertrags auf dem Gelände in Kapustin Jar im Gebiet Archangelsk absolvierte, wurden ihre Daten – 2008 und 2011 – der russischen Seite nur fünf Tage nach der Verkündigung der USA über den beabsichtigten Ausstieg aus dem INF-Vertrag am 20. Oktober 2018 mitgeteilt. Doch auch diese Informationen enthielten keine faktenbezogene Begründung. Es wurde keine genaue Reichweite genannt, für die die Rakete laut Amerikanern getestet wurde. Stattdessen wurde nur auf rätselhafte Aufklärungsinformationen hingewiesen, die allerdings nicht bereitgestellt wurden.

Mit anderen Worten wurde der Russischen Föderation lange Zeit vorgeschlagen, selbstständig den Puzzle aus einzelnen Elementen, die in verschiedener Zeit erhalten wurden, zusammenzubauen, während kein einziger Beweis der Verletzung des INF-Vertrags durch Russland vorgelegt wurde. Weder der Raketenindex, noch die Daten der Starts, die in Kapustin Jar im Rahmen der Tests bzw. Kampf-Trainings der Raketen-Spezialisten regelmäßig stattfinden, bedeuten etwas Rechtswidriges.

Dass die USA heute die Fakten neugestalten, wobei ihr Beschluss, den INF-Vertrag endgültig zu zerstören, plump rechtfertigt wird, stärkt die Überzeugung, dass der Kurs auf die Torpedierung des Vertrags von Amerikanern seit langem genommen wurde. Der wahre Grund ist der Wunsch, sich die Hände maximal frei zu machen, die Möglichkeit eines unbeschränkten Spektrums der militärischen Instrumente zum gewaltsamen Druck auf jede Opponenten überall in der Welt zu sichern.

Das ist eine sehr gefährliche Politik, die sehr traurige Folgen für die globale Stabilität nach sich ziehen kann. Der internationalen Öffentlichkeit, vor allem den Staatsbürgern der USA und anderer Nato-Länder, deren Behörden amerikanische Insinuationen blind wiederholen, soll sich Gedanken darüber machen, wohin die Jagd Washingtons nach dem Gespenst der Militärdominanz führen kann.

Quelle:

Außenministerium der Russischen Föderation