Politik in Zeiten der Krise

Sie hören es nicht gern, und sie versuchen dieses eine Wort zu vermeiden wie der sagenhafte Teufel das Weihwasser: »Krise«. Ja, es ist Krise, auch wenn seit Jahren immer wieder behauptet wird, sie sei vorbei, man lebe in Zeiten nach der Krise, oder man habe zumindest Licht am Ende des Tunnels gesehen.

Diese Krise des Kapitalismus, die ihren besonders eindrucksvollen Ausdruck erhielt in der sogenannten Bankenkrise vor über zehn Jahren, diese Krise ist viel mehr als nur eine Banken-, Finanz- oder Euro-Krise. Sie drückt sich nicht immer in erster Linie durch Banken- oder Firmenpleiten aus, auch nicht unbedingt in steigenden Zahlen von Menschen ohne Arbeit oder ohne Wohnung. Selbst die Zahlen über den Anteil von Menschen, die an oder unter der Armutsgrenze leben müssen, sind kein sicherer Indikator.

Der kapitalistische Staat, seine Institutionen und auch die direkt oder indirekt in seinem Lohn stehenden Medien haben seit Jahrzehnten ihre Methoden verfeinert, negative Ereignisse und katastrophale Daten so zurechtzubiegen und darzustellen, daß sie nicht mehr ganz so finster erscheinen oder sogar als »Erfolgsmeldung« durchgehen – wie die Agenturmeldung vom Montag, die Arbeitslosigkeit in Eurozone sei »auf niedrigstem Stand seit 2008«. Erst im zweiten Absatz kann man dann lesen, daß in der Europäischen Union, diesem grandiosen Erfolgsprojekt, im Mai 2019 immerhin 15,653 Millionen Menschen arbeitslos waren, in den Ländern mit der Euro-Währung 12,348 Millionen Menschen.

Wer sich daran erinnert, mit welchen statistischen Tricks in den einzelnen Ländern Arbeitslose aus den Erhebungen herausgerechnet werden, weiß, daß die wirklichen Zahlen mindestens beim Doppelten liegen. Und was nützt einem arbeitslosen Jugendlichen in Griechenland oder Italien oder auch in Luxemburg die Information, die Situation habe sich im Monat Mai um 0,1 Prozentpunkt verbessert?
Beispiel für diese Entwicklung ist auch die Meldung vom Montag, daß die Aktien der Deutschen Bank am Montagmorgen »Rückenwind erhalten« haben. Der Grund dafür ist ein ganz typisch kapitalistischer: Auslöser waren Berichte vom Wochenende, wonach die Bank bis zu 20.000 Stellen und damit mehr als ein Fünftel der aktuellen Arbeitsplätze streichen will…

Aber auch in der ganz gewöhnlichen Politik macht sich die Krise immer stärker bemerkbar. So wurde in der vergangenen Woche in der japanischen Stadt Osaka ein Treffen von Staats- und Regierungschefs der 20 selbsternannten »führenden Industriestaaten« zelebriert, mit dem Ergebnis, daß buchstäblich nichts dabei herauskam außer daß die wenigen Damen und vielen Herren wieder einmal Gelegenheit für ein Schwätzchen in kleineren und größeren Runden bekamen. Das war selbst einem Donald Trump zu peinlich, so daß er sich kurzerhand per Twitter zu einem Besuch in Nordkorea einlud, um mal wieder eine gute Presse zu bekommen. Daß der USA-Präsident mit dem Betreten nordkoreanischen Territoriums faktisch die Existenz der KDVR anerkannte, war jedoch offenbar keinem seiner Berater vorher aufgefallen.
Der Gipfel der gegenwärtigen Peinlichkeit in der Politik ist ganz sicher der EU-Gipfel, bei dem der Versuch unternommen werden soll, in Hinterzimmergesprächen das künftige Spitzenpersonal der EU auszuwürfeln. Auch dabei geht es nicht um Politik, die das Leben der einfachen Menschen lebenswerter machen könnte, sondern ausschließlich um Machtpositionen der Herrschenden, also darum, wer mit etwas weniger Schaden in dieser Krise überleben kann.

Uli Brockmeyer

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek