Soll der nationale Notstand dazu dienen, das soziale Rad zurückzudrehen?

Während der nächsten Tage werden wir noch ausreichend Gelegenheit haben, uns eingehender mit dem »Stabilitätsplan« zu befassen, den die Regierung während der vergangenen Woche verkündete und der dazu beitragen soll, einen Zusammenbruch der Wirtschaft zu vermeiden.

Heute wollen wir uns darauf beschränken, zwei Maßnahmen zu kommentieren, die von der Regierung beschlossen wurden und die für die Arbeitswelt und die Lohnabhängigen wichtig sind, weil sie direkte Auswirkungen auf ihr Einkommen und ihre Arbeitsbedingen haben.

Bei der ersten Maßnahme handelt es sich um die Kurzarbeit, die Teil des »Stabilitätsplans«ist. Natürlich ist anzuerkennen, dass die Maßnahme auf eine ganze Reihe von Wirtschaftsbereichen ausgeweitet wurde und eine Milliarde Euro bereitgestellt wird, um die Kurzarbeit während zwei Monaten zu finanzieren. Gleichfalls zu begrüßen ist, dass die Regierung – allerdings erst nach Gesprächen mit den Gewerkschaften – festhielt, dass der Lohn der Kurzarbeiter nicht unter den Mindestlohn in Höhe von 2.142 Euro fallen darf.

Doch warum müssen Lohnabhängige, die 3.000 Euro oder etwas mehr verdienen, Lohneinbußen hinnehmen, wo doch der Arbeitsminister zuvor richtig festgestellt hatte, die Kurzarbeiter seien die ersten, die in der Coronakrise bluten würden?
Weil es eine Frage der Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit ist, hatte die KPL bereits am 20. März 100 statt 80 Prozent des üblicherweise bezogenen Lohnes für Kurzarbeit gefordert, und auch der OGBL hatte 100 Prozent für Beschäftigte mit einem Bruttolohn bis 3.000 Euro gefordert. Wir stellen fest: Die Regierung hält ganz bewusst an der Diskriminierung eines Großteils der Lohnabhängigen fest, was zeigt, dass ihr Solidaritätsdiskurs in manchem nicht über ein Lippenbekenntnis hinausgeht.
Die zweite Maßnahme, die kommentiert werden muss, ist die Entscheidung der Regierung, unter dem Vorwand des nationalen Notstands, den 12-Stunden-Tag, beziehungsweise die 60-Stundenwoche in insgesamt ­14 Wirtschaftsbereichen zu ermöglichen – ein Rückfall in die 1950er Jahre.

Hätte sich diese Maßnahme auf den Gesundheits- und Pflegebereich erstreckt, hätte man das noch nachvollziehen können, vorausgesetzt, die Regierung hätte parallel dazu auch eine Reihe Maßnahmen im Interesse der Gesundheitspersonals dekretiert, was sie aber nicht tat.

Doch warum sollten die Beschäftigten aus dem Einzelhandelsbereich und anderen Wirtschaftszweigen, die während eines Achtstunden-Tags oft schon am Limit sind, während der nächsten zwei Monate 12 Stunden am Tag klotzen?

Manche Unternehmen machen inzwischen Umsätze wie das nur in der Weihnachtszeit der Fall ist und könnten ganz schnell auf den Geschmack kommen und der Regierung nahe legen, diese Regelung auch nach der Gesundheitskrise, die nahtlos in eine Wirtschaftskrise übergehen wird, beizubehalten.
Verlängerte Arbeitszeiten dienten dem Kapital in der Vergangenheit immer dazu, die Ausbeutung und die Profite mit Hilfe längerer Arbeitszeiten zu erhöhen. Warum sollten sie das heute nicht tun wollen?

Um zu verhindern, dass das soziale Rad zurückgedreht wird, muss kräftig gegengesteuert werden. Die Gewerkschaften und die fortschrittlichen politischen und gesellschaftlichen Kräfte stehen vor einer großen Verantwortung.

Ali Ruckert

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek