Eine andere Einstellungspolitik muss her

Bei der ADEM waren Ende des letzten Monats offiziell 20.253 Arbeitsuchende eingeschrieben, was im Vergleich zu April 2019 einem Anstieg von 31 Prozent entspricht. Allein im Vormonat stieg die Zahl an Arbeitsuchenden um 1.796 Personen. Wahrhaftig eine skandalöse Situation für ein Land, das zu den reichsten der Welt gehört.

Analysiert man die allmonatlich veröffentlichten Statistiken, so fällt auf, dass es den Regierenden schon seit vielen Jahren nicht nur an Alternativen im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit fehlt. Als mindestens genau so kritisch zu betrachten ist inzwischen die Situation vieler »älterer« Frauen und Männer geworden, die aufgrund der vom Patronat seit Jahren betriebenen Einstellungspolitik kaum noch Chancen haben, zurück ins aktive Arbeitsleben zu finden.

Die Statistiken sprechen in dieser Hinsicht eine deutliche Sprache. Wer heute nämlich älter als 50 ist – vielfach schon ab 40 –, wird immer häufiger ausgemustert, als »untauglich« abgestempelt, rücksichtslos ausrangiert. Dass ihnen die Türen bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz versperrt bleiben, nachdem ihnen, aus welcher Ursache auch immer, ihr vorheriger Arbeitsvertrag gekündigt wurde, ist praktisch zur Regel geworden.

Beispiele, die diese skandalöse Entwicklung belegen, gibt es zuhauf. Ob nun die 50-jährige Verkäuferin einer Supermarktkette, deren Arbeitsvertrag aus Gesundheitsgründen gekündigt wurde, der um einige Jahre jüngere Handwerker einer in Konkurs geratenen Firma, oder die erst 43-jährige ehemalige Sekretärin eines nach dem Tod des Inhabers stillgelegten Familienbetriebs, sie alle wurden in anschließenden Vorstellungsgesprächen mit der Begründung abgewiesen, sie seien leider zu alt, um den Anforderungen, die Erwerbstätigen heutzutage abverlangt werden – zunehmende Flexibilität, maximale Deregulierung der Arbeitszeitorganisation, innerbetrieblicher Konkurrenzkampf, Druck, Hetze, usw. – auf Dauer gerecht werden zu können.

Doch nicht nur die Arbeitsbedingungen, die sich in den letzten Jahren quer durch alle Wirtschaftsbereiche spürbar verschlechtert haben, werden »älteren« Arbeitsuchenden als unüberwindbare Hindernisse entgegengehalten. Als weitere Hürde gilt, dass berufserfahrene Arbeitskräfte anders zu entlohnen wären als jüngere unerfahrene Arbeitsuchende, wodurch sie die Lohnkosten des Betriebs zu sehr belasten würden.

Eine Einstellungspolitik, die zur Folge hat, dass seit Jahren nicht nur die Zahl an Langzeitarbeitslosen ständig wächst, sondern auch mehr als 8.000 Arbeitsuchende derzeit älter als 45 sind. So sieht die bittere Realität im reichen Luxemburg aus.
Eine Situation, die ohne Umdenken nicht zum Positiven zu ändern sein wird. Eine andere Politik muss deshalb her. Statt dem Finanz- und Großkapital weiter Geschenke in Millionenhöhen zufließen zu lassen und sich immer wieder an überflüssigen Aufrüstungsobjekten und unsinnigen Kriegen finanziell zu beteiligen, täten die Regierenden besser daran, gestärkt in beschäftigungsintensive Betriebe der Klein- und Mittelindustrie sowie in neue Arbeitsplätze zu investieren, die auch Arbeitsuchenden mit nur geringer Qualifikation zugänglich wären. Wirtschaftsbereiche dazu gibt es zuhauf.

Wer die Zukunft des Landes jedoch weiter nur mehr in der Hochtechnologie sehen will, so wie dies seit Jahren hierzulande der Fall ist, riskiert, dass in absehbarer Zeit – nicht zuletzt auch infolge der Corona-Krise – immer größere Teile der Bevölkerung nicht mehr am aktiven Arbeitsleben teilhaben werden.

gilbert simonelli

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek