Kräftemessen im Mittelmeer

Auf den griechischen Inseln spielen sich zur Zeit ernste Dramen ab, von denen sich die antiken Dichter nicht hätten träumen lassen. Während die Türkei – unter Verletzung des Abkommens mit der EU, das sie sich mit mindestens sechs Milliarden Euro teuer bezahlen ließ – immer mehr Flüchtlinge in Richtung Griechenland und damit auf das Territorium der Europäischen Unon passieren läßt, quellen auf Inseln wie Lesbos oder Samos die Flüchtlingslager über.

Nicht nur die Flüchtlinge, die viel Elend und einen mühevollen Weg hinter sich haben, stehen unter starker Anspannung. Auch bei den griechischen Inselbewohnern sind die Nerven bis zum Anschlag gespannt. Waren und sind viele Griechen breit, sich für das Wohl der Geflüchteten einzusetzen, ihnen zu helfen, eine halbwegs zumutbare Unterkunft zu gewähren und sie mit Essen zu versorgen, fühlen sie sich immer mehr allein gelassen. Wer nun auf Lesbos und am Dienstag auch auf Samos gezündelt hat, wird sich kaum zuverlässig feststellen lassen. Grund dafür hätten sowohl die im Elend steckenden Geflüchteten als auch die Inselbewohner, die seit Jahren kein »normales« Leben haben.

Sie alle spüren von Tag zu Tag mehr, daß sie kaum Hilfe zu erwarten haben, weder von der Europäischen Union, die nicht müde wird, die Fahne der »Menschenrechte« in die Höhe zu strecken, noch von ihrer Regierung. Die konservative Nea Dimokratia ist seinerzeit auch wegen ihres Versprechens gewählt worden, gegenüber Flüchtlingen und Migranten eine härtere Linie zu fahren. Und die EU redet seit Jahren über eine »Migrationspolitik«, die in erster Linie eine Flüchtlingsabwehr ist. Die wirklichen Fluchtursachen werden nicht bekämpft, sondern von der EU und der NATO sowie deren Mitgliedstaaten noch vergrößert.

Während die griechische Regierung und die örtlichen Behörden nicht genügend Geld zur Verfügung stellen, um die Folgen der kapitalistischen Krise, noch verstärkt durch die aktuelle Gesundheitskrise, für die eigene Bevölkerung abzumildern, während wegen nicht ausreichender Mittel die Insassen der Flüchtlingslager oft nicht einmal eine Mahlzeit am Tag bekommen, ist der griechische Staat unter Führung der Konservativen und ihres Premierministers Kyriakos Mitsotakis dabei, eines der größten Aufrüstungsprogramme der jüngeren griechischen Geschichte aufzulegen.

Unter dem lautstarken Protest der griechischen Kommunisten verkündete der Premier am vergangenen Wochenende bei der traditionellen Rede auf der Expo in Thessaloniki, daß Griechenland neue Waffensysteme in Frankreich und Deutschland ordern und zudem die Armee und die Kriegsmarine um mehrere tausend Berufssoldaten vergrößern werde. Nach bisher nicht offiziell bestätigten Angaben wird diese neue Rüstungsspirale so um die zehn Milliarden (!) Euro kosten. Begründet wird das mit der wachsenden Bedrohung durch den Erzfeind Türkei, der zwar seit Jahrzehnten ein NATO-Partner ist, aber mit stillschweigender Billigung durch EU, NATO und USA eine beispiellose Aufrüstung betreibt und zudem Nachbarstaaten militärisch bedroht.

Zudem verletzt die Türkei durch ihre Suche nach Erdgas im Mittelmeer so ziemlich alle internationalen Verträge. Zur Bekräftigung ihrer Ansprüche läßt sie ihre Kriegsmarine auffahren. Die Friedensnobelpreisträgerin EU sieht diesem Waffenklirren zu, ringt sich zuweilen zu einer »Drohung« mit Sanktionen durch – und streitet sich derweil über die mögliche Aufnahme von 400 Flüchtlingen aus dem Lager Moria…

Uli Brockmeyer

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek