Freiheit und Notwendigkeit

Luxemburg ist mit dem Anstieg der Neuinfektionen nicht mehr allein als sogenanntes »Risikogebiet« in Europa. Lange Zeit hatte das Großherzogtum eher von afrikanischen oder osteuropäischen Ländern auf der Hitliste des deutschen RKI Gesellschaft. In Deutschland schien derweil alles in Butter. So in Butter, daß mancher auf die Idee kam, der Firlefanz mit der Maske und dem Abstand sei vernachlässigenswert. Während Einwohner aus Luxemburg sich im Nachbarland beschimpfen lassen mußten, das Virus einzuschleppen, wurde in der deutschen Hauptstadt, und nicht nur da, wie in den goldenen Zwanzigern gefeiert und tagsüber Maßnahmen- und sorgenfrei demonstriert.

Die Quittung dafür hat Berlin längst bekommen, auch andere deutsche Großstädte reißen die Marke des RKI und Maßnahmen werden verschärft. Es war klar, daß der Herbst eine schwierige Situation bringen wird, da sich vieles nicht mehr im Freien abspielen kann. Doch war fast ebenso klar, daß es nicht gelingen wird, die Lage im Griff zu halten.

Dabei geht es nicht ums Reisen. Das Reisen an sich stellt kein Risiko dar, wie der Berliner Virologe Jonas Schmidt-Chanasit im deutschen Fernsehen bestätigte. Es hängt alles an der Einhaltung der hygienischen Maßnahmen. Und an diesen reiben sich die »Querdenker«, die mit Faschisten marschieren und absurde Theorien verbreiten.

Sie sehen ihre Freiheit gefährdet, wenn sie ein Stück Stoff vor dem Mund tragen oder Abstand halten sollen, um ihre Mitmenschen zu schützen. Sie stellen ihre eigenen Interessen über die der Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft, die aufgrund der gesellschaftlichen Ordnung ohnehin auf Egoismus getrimmt ist und deswegen nicht damit umgehen kann, daß der einzelne etwas tun muß, von dem er selbst nicht unmittelbar profitiert. Diese Personen sehen in ihren Mitmenschen nicht sich selbst, die Gemeinschaft, sondern Konkurrenten. Mit der Entfremdung vom Gattungswesen Mensch geht nach Marx die Entfremdung von anderen Menschen einher. Menschen sind nur Instrument in einem fremden Produktionsprozess. Deshalb gelten für sie andere Menschen nur als Instrumente für ihre eigenen Interessen.

Als Zahl ausgedrückt könnten dies beispielsweise 71.233 Verstöße gegen die Maskenpflicht innerhalb eines Monats in Zügen und Bahnhöfen in Deutschland sein. Und die Lage verschärft sich durch solches Verhalten: Wir wissen, daß die aktuellen Fallzahlen nur ein Abbild der Lage von vor etwa 10 Tagen darstellt. Viele dieser Infizierten werden erkranken und einige von ihnen schwer. Die Kapazitäten der Krankenhäuser müssen sich wieder vermehrt auf Corona konzentrieren. Und dafür hagelt es dann wieder Kritik der Corona-Gegner. Wobei diese Bezeichnung natürlich irreführend ist. Corona-Gegner sind wir wohl alle. Es sind vielmehr Corona-Eindämmungsgegner, die Virologen, Politikern und allen, die ihnen in die Quere kommen, offen drohen.

Da wird auch nicht davor zurück geschreckt, Busfahrer so brutal zu attackieren, daß diese später versterben, anders als die an Masken gestorbenen Schulkinder, die als gezielte Fake-News genauso die Runde machen, wie »Positiv getestet bedeutet nicht krank«, wohl wissend, daß positiv getestet infektiös bedeutet und die Person andere anstecken kann, die dann ernstlich erkranken. Aber wie bereits erwähnt: Den Corona-Leugner interessieren seine Mitmenschen nicht.

Kritik an einseitigen wirtschaftlichen Maßnahmen und am Zurückfahren sozialer Errungenschaften hört man von ihnen nicht, obwohl diese richtig ist. Bei den hygienischen Maßnahmen jedoch sollte Einsicht in die Notwendigkeit bestehen. Ansonsten steht der nächste Lockdown direkt bevor, dem Kulturschaffende, Beherbergungsbetriebe und andere Existenzen dann machtlos zusehen müssen.

Christoph Kühnemund

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek