Lorenz A. von der Polizei erschossen
Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:
Cagla Yaşat
Am 20. April, in der Nacht zu Ostersonntag, wurde der 21-jährige Lorenz in Oldenburg durch 3 Schüsse der Polizei getötet. Laut ersten Berichten soll es zuvor vor einem Club zu einem Zwischenfall gekommen sein: Lorenz wurde offenbar abgewiesen und soll mit Pfefferspray um sich gesprüht haben. Daraufhin verfolgten ihn Passanten, da er angeblich mit einem Messer gedroht habe. Als Streifenpolizisten ihn stellen wollten, soll Lorenz ein Messer gezogen haben – woraufhin ein 27-jähriger Beamter viermal auf ihn schoss.
Diese Version des Geschehens wurde schnell von ersten Medien und der Polizei verbreitet – doch bereits wenige Tage später stellten sich diese Angaben als falsch heraus.
Die Wahrheit sieht anders aus
Videoanalysen und Zeugenaussagen zeigen ein anderes Bild: Lorenz wurde insgesamt mehrfach von hinten getroffen. Ein Schuss streifte seinen Oberschenkel, drei weitere trafen Hüfte, Rücken und Hinterkopf. Es gibt keine Hinweise darauf, dass er den Polizisten gefährlich nahe kam oder überhaupt ein Messer bei sich trug.
Doch solche Falschmeldungen über den Tathergang sind kein Einzelfall. Immer wieder werden Opfer tödlicher Polizeigewalt nachträglich kriminalisiert, um das Handeln der Polizei zu rechtfertigen.
Ein Muster systematischer Vertuschung?
Ein Jahr vor dem Tod von Lorenz wurde Lamin Touray, ein 46-jähriger Geflüchteter aus Gambia, in Nienburg erschossen. Auch in diesem Fall rechtfertigte die Polizei ihre tödliche Gewalt mit einem angeblichen Messerangriff. Lamin wurde insgesamt achtmal angeschossen, obwohl sich der Notruf seiner damaligen Partnerin auf eine psychische Ausnahmesituation bezog – nicht auf eine Bedrohung. Die Frau bestreitet bis heute, je von einem Messer gesprochen zu haben. Dennoch klassifizierte die Polizei den Vorfall als Bedrohungssituation.
Die offizielle Darstellung diente erneut dazu, die Polizei als schützend und in Notwehr handelnd darzustellen – eine Darstellung, die durch spätere Erkenntnisse massiv infrage gestellt wird.
Fehlende Deeskalation – ein strukturelles Problem
Der Umgang der Polizei mit psychischen Ausnahmezuständen ist erschreckend unvorbereitet – obwohl die Zahl psychisch erkrankter Menschen laut RKI in der Gesellschaft wächst. Anstatt deeskalierend zu handeln, eskalieren viele Einsätze tödlich. Diese Fälle werfen grundlegende Fragen auf: Warum werden psychisch belastete Personen nicht durch speziell geschulte Kräfte betreut? Warum greifen Polizisten so schnell zur Waffe? Warum haben die Opfer meistens Migrationshintergrund? Warum kommt es in den wenigsten Fällen zur Verurteilung des Polizisten, der geschossen hat?
In vielen Fällen übernehmen Medien ungeprüft die Darstellungen der Polizei. Auch im Fall von Qosay, der vor vier Jahren nach einer Polizeikontrolle starb, wurde er in den Medien als kriminell dargestellt – offenbar mit dem Ziel, Proteste zu verhindern und juristische Konsequenzen für die Beamten zu vermeiden. Ähnliche Diffamierungsversuche gab es nun auch im Fall von Lorenz: Der „Spiegel“ stellte ihn als Kriminellen dar, obwohl dafür keine belastbaren Beweise vorliegen.
Wie verlief die Demonstration in Oldenburg?
Etwa 10.000 Menschen versammelten sich in Oldenburg, um Lorenz zu gedenken und Gerechtigkeit zu fordern. Die Mutter von Lorenz bat eindringlich um einen friedlichen Verlauf der Demonstration – dem alle Teilnehmenden nachkamen. An ihrer Stelle sprach eine enge Vertraute. Auch Freunde von Lorenz, Angehörige von Qosay und der Bruder von Oury Jalloh ergriffen das Wort. Ihre Reden machten deutlich, wie tief der Schmerz sitzt, wenn Angehörige durch Polizeigewalt sterben – und die Verantwortlichen straffrei bleiben.
Immer wieder bleibt Gerechtigkeit aus, Ermittlungen verlaufen sich im Sande. Auch im Fall Lorenz führt die benachbarte Polizeiinspektion Delmenhorst die Untersuchungen – ein Muster, das bereits beim Tod von Qosay zu beobachten war. Die Nähe und gegenseitige Loyalität innerhalb der Polizei erschweren unabhängige Aufklärung erheblich.
Dass so viele Menschen anwesend waren, ist sehr wichtig für den Verlauf des Prozesses, für die lückenlose Aufklärung des Falles und dass der Polizist, der Lorenz tötete, gerecht bestraft wird. Doch was ist da schon gerecht? Vor allem bei Menschen mit Migrationsgeschichte versuchen die Justiz und die Medien die Gegenproteste klein zu halten und die Taten unter den Tisch zu kehren, deswegen ist es auch viel schwieriger für die Opfer rassistischer Polizeigewalt Gerechtigkeit, geschweige denn eine vernünftige Aufklärung des Tathergangs zu erlangen.
Die politische Reaktion: Ignoranz statt Aufklärung
Oldenburgs Oberbürgermeister Jürgen Krogmann (SPD) blieb der Demonstration fern. Stattdessen warnte er öffentlich vor „Spekulationen und Verallgemeinerungen“ in Bezug auf die Polizei – und stellte damit diejenigen, die rassistische Polizeigewalt anprangern, in eine extremistische Ecke. Eine gründliche Untersuchung des Vorfalls? Kein Wort dazu. Vielmehr scheint es, als wolle die Politik möglichst schnell zur Tagesordnung übergehen.
„Wir vergessen ihre Namen nicht“
Der Tod von Lorenz reiht sich ein in eine erschreckende Liste von Todesfällen durch Polizeigewalt. Doch immer mehr Menschen lassen sich nicht zum Schweigen bringen. Die große Beteiligung an der Demonstration zeigt: Die Stimmen werden lauter. Sie fordern Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen – für Lorenz, für Lamin, für Qosay, für Oury Jalloh und alle anderen, deren Leben durch staatliche Gewalt ausgelöscht wurde.
Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben