Yanis Varoufakis: Erste Gedanken über die Erklärung des Eurogipfels zum Thema Griechenland

Yanis Varoufakis. Foto: Jörg Rüger / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)Der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat in einem Artikel auf seinem Blog das am Montag unterzeichnete Kürzungspaket des Eurogipfels als »neuen Versailler Vertrag« bezeichnet und mit dem Putsch von 1967 verglichen. Wir dokumentieren den Beitrag in der von Presstranslations besorgten deutschsprachigen Übersetzung:

In den nächsten Stunden und Tagen werde ich im Parlament sitzen, um die Gesetzgebung zu überwachen, die Teil der jüngsten Vereinbarung des Euro-Gipfels bezüglich »Griechenland« ist. Ich warte auch darauf, persönlich von meinen Genossen Alexis Tsipras und Euclid Tsakalotos zu hören, die in den letzten Tagen viel durchgemacht haben. Bis dahin behalte ich mir jedes Urteil über die Gesetzgebung vor. Währenddessen sind hier ein paar erste Gedanken, die die Erklärung des Euro-Gipfels hervorgerufen hat.

  • Ein neuer Vertrag von Versailles spukt in Europa – Ich gebrauchte diesen Ausdruck auch im Frühjahr 2010, um das erste griechische ›Rettungsprogramm‹, das zu dieser Zeit vorbereitet wurde, zu beschreiben. Wenn diese Allegorie damals nicht passend genug war, dann ist sie jetzt traurigerweise jetzt.
  • Niemals vorher hat die Europäische Union die Entscheidung getroffen, die so fundamental die Prinzipien der Europäischen Integration untergräbt. Die europäischen Führer haben mit ihrem Verhalten gegenüber Alexis Tsipras und unserer Regierung einen entscheidenden Schlag gegen das europäische Projekt ausgeführt.
  • Das Projekt der europäischen Integration wurde in den letzten Tagen wirklich stark verwundet. Und wie Paul Krugman richtig anmerkt: Was auch immer man von Syriza oder Griechenland hält, es waren nicht die Griechen oder Syriza, die den Traum eines demokratischen, vereinten Europas ermordet haben.
  • Im Jahr 1971 warnte der Cambridge-Ökonom Nick Kaldor, dass der Beschluss einer Währungsunion vor einer politischen Union möglicherweise nicht nur zu einer gescheiterten Währungsunion führen würde, sondern sogar zur Zerstörung des europäischen Politikprojekts. Später, im Jahre 1999, warnte auch der deutsch-britische Soziologe Ralf Dahrendorf, dass die Wirtschafts- und Währungsunion Europa eher teilen als vereinen würde. All die Jahre hoffte ich, dass sie falsch liegen würden. Nun haben die Mächte in Brüssel, Berlin und Frankfurt sich verschworen, um sie als wahr zu beweisen.
  • Die Erklärung des Euro-Gipfels gestern liest sich wie ein Dokument der Kapitulationsbedingungen Griechenlands. Es bedeutet eine Erklärung, die bestätigt, dass Griechenlands einwilligt, ein Vasall der Eurogruppe zu werden.
  • Die Erklärung der Eurogruppe von gestern morgen hat weder etwas mit Wirtschaft zu tun, noch mit irgendeiner Sorge für die Art von Reformen, die es schaffen könnten, Griechenland aus seinem Sumpf herauszuholen. Es ist einzig und allein ein Manifest einer Politik der Demütigung in Aktion. Sogar wenn man unsere Regierung verabscheut, muss man erkennen, dass die Liste der Forderungen der Eurogruppe eine große Distanz zu Anstand und Vernunft aufweist.
  • Die Erklärung der Eurogruppe von gestern morgen signalisiert eine komplette Annullierung der nationalen Souveranität, ohne dass eine supra-nationale, pan-europäische Souveranitätsorgan-Politik an ihren Platz gestellt wird. Europäer, sogar diejenigen, die sich nicht um Griechenland kümmern, sollten vorsichtig sein.
  • Viel Energie der Medien wird darauf verwendet, ob es die Kapitulationsbedingungen durch das griechische Parlament schaffen werden oder nicht, und ganz besonders, ob die Parlamentsmitglieder wie ich auf Linie bleiben und für die relevanten Gesetze stimmen werden. Ich denke nicht, dass das die interessanteste Frage ist. Die wichtige Frage ist: Hat die griechische Wirtschaft irgendeine Chance, sich unter diesen Umständen wieder zu erholen? Das ist die Frage, die mich in den Parlamentssitzungen, die in den nächsten Stunden und Tagen folgen werden, beschäftigen wird. Die größte Sorge ist, dass sogar eine komplette Kapitulation unsererseits zu einer weiteren Vertiefung der endlosen Krise führen wird.
  • Der jüngste Euro-Gipfel ist in der Tat nicht anderes als der Höhepunkt eines Staatstreiches. 1967 nutzten ausländische Mächte Panzer, um die griechische Demokratie zu beenden. In meinem Interview mit Phillip Adams bei ABC Radio Nationals LNL sagte ich, dass 2015 ein weiterer Staatsstreich durch ausländische Kräfte durchgeführt werde – diesmal nicht mit Panzern, sondern mit griechischen Banken. Vielleicht ist der wichtigste wirtschaftliche Unterschied, dass 1967 nicht auf das Griechenlands öffentliches Eigentum gezielt wurde. 2015 forderten die Kräfte hinter dem Staatsstreich die Übergabe aller verbliebenen Vermögenswerte, damit diese in den Dienst unserer unbezahlbaren, unnachhaltigen Schulden gestellt werden.

Quelle: yanisvaroufakis.eu / Übersetzung: Presstranslations / RedGlobe