Sprache des Krieges

Der türkische Autokrat Erdogan, gewählter Präsident des Landes und selbsternannter Alleinherrscher, spielt sich auf als »Retter der Menschheit«. Kritik an seinem Krieg gegen die Kurden im eigenen Land, an seiner verschärften Repression gegen Andersdenkende, vor allem aber an der von ihm befohlenen Aggression gegen das Nachbarland Syrien wird entweder durch seine Vasallen von ihm abgeschirmt – oder er läßt sie an sich abperlen.

Er berauscht sich an – vermeintlichen – militärischen Erfolgen und am Applaus seiner Gefolgsleute.

Der mysteriöse Putschversuch vom Sommer 2016, der bis heute viele Fragen über Beteiligte und Hintergründe offen läßt, hat vor allem ihm selbst den größten Nutzen gebracht. Er bot ihm die Gelegenheit, sich als »Märtyrer«, als Opfer finsterer Intrigen darzustellen und tatsächliche oder vermeintliche Gegner zu Hunderten und Tausenden wegzusperren. Der Ausnahmezustand, der ihm seit dem sogenannten Putsch freie Hand gibt für verschärfte Repressionen, ist inzwischen auf seine Anweisung zum sechsten Mal verlängert worden.

In einer Rede am Mittwoch machte Erdogan so offen wie kaum vorher seine Denkweise deutlich. Seine Armee werde die »Offensive« in Nordsyrien bis zur Vernichtung aller »Terroristen« fortsetzen. »Zuerst werden wir die Terroristen ausrotten, dann werden wir es dort lebenswert machen«, sagte er in Ankara. Die Türkei schütze nicht nur ihre Grenze, sondern »rettet auch die Ehre der gesamten Menschheit«.

Der Aufschrei, der eigentlich von Seiten der selbsternannten Demokraten in der Zentrale und in den Hauptstädten der EU zu erwarten gewesen wäre, blieb jedoch aus. Diese Leute, die in der EU-Kommission mit über uns entscheiden, und die in den Regierungen der Mitgliedstaaten die Politik der EU widerspruchslos umsetzen, fügen sich der aggressiven Rhetorik des starken Mannes in Ankara. Sie erheben vielleicht zaghaft einen Zeigefinger, geben sich besorgt und mahnen »Verhältnismäßigkeit« bei der Kriegführung an, aber sie widersprechen ihm nicht – und geben ihm damit mehr als deutlich grünes Licht.

Wo bleiben hier die vielzitierten »europäischen Grundwerte«? Mit der direkten Unterstützung des Krieges, die sowohl in der unwidersprochenen Weitergabe des Sprache des türkischen Kriegsherrn, als auch in der Lieferung von Waffen und Ausrüstungen durch die EU-Führungsmacht Deutschland an die türkische Armee zu Ausdruck kommt, hat sich die Europäische Union ein weiteres Mal der Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis als unwürdig erwiesen.

In den Medien ist weiterhin von einer angeblichen »Enklave Afrin« die Rede, die es nicht gibt und nie gegeben hat, das Gebiet gehört zu Syrien und es hat nie eine Grenze oder gar das Territorium eines anders Staates zwischen Afrin und Syrien gegeben. Die EU und ihre Mitgliedstaaten halten an der Einstufung der PKK als »Terrororganisation« fest, ungeachtet der Tatsache, daß der türkische Staat die Kurden terrorisiert und alle Organisationen der Kurden gleich mit als »Terroristen« bezeichnet. Es wird gebilligt, daß an der Seite der türkischen Aggressoren tatsächliche Terroristen nach Syrien eindrangen, nämlich die Islamisten der »Freien Syrischen Armee«, abgesehen davon, daß die Türkei jahrelang Terroristen des »IS« ausbildete und versorgte.

All das geschieht, um die wahren Ziele Erdogans zu verschleiern, die mit den Absichten der EU – wie auch der USA und der Golfmonarchien – übereinstimmen: die Aufspaltung Syriens und ein »Regimewechsel« in Damaskus.

Uli Brockmeyer

 

Aus: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek