Expertenrat ist nicht gefragt

Während des vermeintlich »Großen Sprungs nach vorn«, dessen klägliches Scheitern 1959 zu nicht weniger als dem Rücktritt des als Staatsgründer der Volksrepublik China idolisierten Mao Tse-tung vom Posten des Staatschefs führte, wurde der Expertenrat zugunsten der »Empfehlungen« politisch motivierter Laien vernachlässigt.

So wurde angeordnet, alle Sperlinge zu töten, weil die kleinen Singvögel das Getreide wegfräßen. Wie andere voluntaristische Aktionen führte das in die Katastrophe: Im Folgejahr brach die chinesische Getreideproduktion wegen einer nie dagewesenen Heuschreckenplage weiter ein, weil es ganz einfach keine Vögel mehr gab, um die gefräßigen Insekten zu dezimieren.

In Polen feiert der Voluntarismus dieser Tage fröhliche Urständ. Die Regierung hat angeordnet, zur Verhinderung einer weiteren Ausbreitung der seit Jahren im Osten des Landes grassierenden Afrikanischen Schweinepest (ASP) bis Ende Januar mehr als 200.000 Wildschweine abzuschießen. Wer eine trächtige Bache erlegt, kassiert 150 Euro – mehr als doppelt so viel wie für nichtträchtige Bachen, Keiler oder Frischlinge.

Mehrere hundert Wissenschaftler hatten in einem offenen Brief an die Regierung gegen das »sinnlose Wildschweinmassaker« protestiert, doch auf den Expertenrat wurde genauso gepfiffen wie auf demonstrierende Naturschützer in Warschau und Krakau sowie eine Petition, die binnen weniger Tage von 150.000 Menschen unterzeichnet wurde.

Die Wissenschaftler gaben jedoch zu bedenken, die Abschußaktion könne das Gegenteil des Gewollten bewirken. So könnten die Wildschweinrotten durch die uneingeschränkte Bejagung auseinandergetrieben werden, und sich erst recht ausbreiten. Außerdem könnte sich das ASP-Virus durch den Kontakt mit dem Blut erkrankter Wildschweine beim Aufbrechen an der Abschußstelle über die Stiefel der Jäger erst recht verbreiten.
Doch auch in Deutschland fordert der Bauernverband »vorsorglich« einen Abschuß von 70 Prozent des Wildschweinbestandes, und in Belgien haben die Lokalautoritäten vergangene Woche entschieden, die strenggesicherten Puffer- und Überwachungszonen, in denen ebenfalls sämtliche Wildschweine abgeschossen werden, zu erweitern, nachdem zwei ASP-infizierte Wildschweine außerhalb der Zonen gefunden wurden.

In Luxemburg haben der ehemalige Ressortchef Fernand Etgen und Nachfolger Romain Schneider bislang besonnen auf die sich von der Wallonie nähernde Tierseuche reagiert. Vor allem wurde in Betracht gezogen, daß der Mensch und seine verfehlte Agrarpolitik ihre eigentlichen Verbreiter sind.

Auf Warnschildern, die die Straßenbauverwaltung auf Autobahnraststätten aufstellen ließ, wird dazu aufgerufen, keine Lebensmittelreste liegenzulassen, und auf dem Flughafen wird derzeit verstärkt darauf hingewiesen, daß man verderbliche Lebensmittel wie Fleisch- und Wurstwaren, Eier und Milchprodukte nicht in die EU einführen darf.
Freilich könnten auch die Schweinezüchter einer weiteren Verbreitung von ASP vorbeugen, indem sie die Hygiene in den Ställen mit Desinfektionsmatten an den Eingängen und einer geringeren Besatzdichte verbessern.

Oliver Wagner

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek