Jochen Vogler zur Eröffnung des VVN-Landesbüros in Oberhausen

Rede zur Eröffnung des VVN-BdA-Landesbüros in Oberhausen am 15.2.2019

Es freut uns sehr, daß wir die Eröffnung unseres Landesbüros in Oberhausen hier in der Gedenkhalle begehen dürfen. Und es freut uns, daß Sie alle unserer Einladung dazu hier gefolgt sind. – Zeigt uns das doch, welche Anerkennung und Verbundenheit Sie/Ihr unserer Vereinigung damit bekunden/bekundet. Diese Halle ist der erste Gedenkort, der sich mit Ausstellungen, inzwischen der 3.Dauer- Ausstellung, der Nazizeit widmet. Im Katalog der aktuellen Ausstellung mit dem Titel: Stadtgesellschaft in Oberhausen im Nationalsozialismus 1933 – 1945 wird ausdrücklich auf die Beiträge und Verdienste der VVN zur Ausstellung und zur Zwangsarbeiterentschädigung hingewiesen.

Die VVN ist die älteste antifaschistische Organisation in diesem Land. Ihr Gründungsdatum liegt noch vor dem der Bundesrepublik Deutschland. Der Bündnischarakter ist Gründungsüberzeugung der Vereinigung. Die wegen ihres Widerstandes gegen das Naziregime die Konzentrationslager überlebten, die Verfolgung und den Holocaust überlebten, die aus dem Exil zurückkehrten gründeten ungeachtet ihrer jeweiligen Parteizugehörigkeit, ihres Glaubens, ihrer Konfession die VVN im Oktober 1947 in Düsseldorf. Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus – unter dieser Losung wollten sie das Nachkriegsdeutschland mit gestalten.

Leitmotiv war ihnen schon damals der Schwur von Buchenwald, den die 21 000 überlebenden internationalen Häftlinge nach ihrer Selbstbefreiung am 12. April 1945 auf dem Appellplatz des Konzentrationslagers Buchenwald ablegten. Seine letzten Sätze lauten: „Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.“

Und dies bleibt nach wie vor das Leitmotiv unserer Vereinigung.

Gründungsmitglied und im Präsidium und später Präsident der VVN war der Kaplan Joseph Rossaint, der wegen seiner Widerstandsarbeit gegen das Naziregime von der Nazijustiz zu Zuchthausstrafen verurteilt wurde. Den Mordbefehl für die Häftlinge des Zuchthauses Remscheid Lüttringhausen im April 1945 überlebte er nur deshalb, weil der damalige Direktor Engelhardt ihn zu einem Arbeitskommando beorderte. Joseph Rossaint wirkte noch vor der Nazizeit 5 Jahre als Kaplan in der Pfarrgde. St. Marien in Oberhausen. Er erhielt hier 1927 seine Priesterweihe, hier organisierte er den Widerstand der Jugend. Mit seiner Person zeigt sich auch eine bedeutende Verbindung zwischen Oberhausen und der VVN.

Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus – für den Frieden und gegen alte und neue Nazis, das waren und bleiben die wichtigsten Aktionsfelder unserer Vereinigung. So ist es selbstverständlich, daß wir ein geachteter Partner in der Friedensbewegung sind und ebenso selbstverständlich bei der Organisation der Ostermärsche mitwirken. Deshalb bleibt uns allen hier in Oberhausen auch Fasia Jansen in herausragender Erinnerung, die mit ihrer großen Stimme alle bedeutenden Aktionen der Friedensbewegung bis zu ihrem Tode begleitete.

Der Bündnischarakter unserer Organisation wurde leider schon 1948 beeinträchtigt. In diesem Jahr – in der Frühzeit des Kalten Krieges- faßte die SPD einen Unvereinbarkeitsbeschluß gegenüber der VVN, den sie erst 2010 aufhob.
Die kommunistischen Mitglieder und christliche und andere Antifaschistinnen und Antifaschisten blieben in der VVN. Die VVN unterstützte damals maßgeblich die Aktionen gegen die Wiederaufrüstung und geriet deswegen unter staatlichen Verbotsdruck. Das in einer Zeit, als Richter, Beamte, Politiker ihre Berufserfahrungen aus der Nazizeit ungehindert in der Bundesrepublik weiter einsetzen durften.

Mit ihrem Wirken orientiert sich die VVN immer am Grundgesetz und an der Landesverfassung. Unter dem Eindruck des gerade niedergerungenen „Dritten Reiches“ sind in diesen Dokumenten antifaschistische Elemente enthalten, an denen auch Kommunisten mitarbeiteten. Zu nennen sind hier Max Reimann – im Parlamentarischen Rat und im ersten Bundestag – , Jupp Angenfort, Karl Schabrod im ersten Landtag von NRW. Sie waren Mitglieder der VVN.
Und wir erinnern natürlich immer wieder an die Bestimmungen
– zum Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges nach Artikel 26,
– zur Verpflichtung und Sozialisierung des Eigentums zum Allgemeinwohl nach den Artikeln 14 und 15
– und nach der Fortdauer der alliierten Bestimmungen zum Verbot der NSDAP und entsprechender Nachfolgeorganisationen nach Art. 139 des Grundgesetzes.

Die politischen Entscheidungen zeigen uns, welche Geringschätzung diese Artikel erfahren.

Und mit Verwunderung und Zorn nehmen wir zur Kenntnis, welche Entfaltungsmöglichkeiten den Nachwuchs- Nazis in diesem Land zugestanden werden.

Unermüdlich waren unsere Kameradinnen und Kameraden als Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in Schulen, bei Veranstaltungen, auf Demonstrationen und wo immer sich die Gelegenheit ergab, unterwegs, um über die Nazizeit zu berichten und aufzuklären und vor Wiederholungen zu mahnen. Diese Zeitzeugen, wenn sie noch leben, sind inzwischen über 90Jahre alt. Unermüdlich engagiert ist noch immer unsere Ehrenvorsitzende Esther Bejarano, die -inzwischen 94-jährig- mit der Rap-Formation microphone mafia noch immer zahlreiche Veranstaltungen durchführt und damit gerade junge Leute zu begeistern vermag und zum Nachdenken anregt.

Aber natürlich müssen wir alle uns der Situation stellen, daß uns die Erfahrungen dieser Generation nur noch über Aufzeichnungen, Bücher, Filme und Dokumentationen zur Verfügung stehen. Dies nachhaltig zu bewahren, dazu ist noch viel Arbeit in unserem Archiv notwendig. Dafür danken wir der Klara Tuchscherer, die sich schon seit Jahren sorgfältig um den Bestand kümmert. Das Archiv der Landesvereinigung der VVN befindet sich nun auch hier in Oberhausen und ist nach Absprache nutzbar.

Und in der Erkenntnis, daß die Generation, die über die Nazizeit noch aus eigener Erfahrung berichten konnte, nicht mehr zur Verfügung stehen kann, gründete sich über die VVN eine Gruppe, die sich Kinder des Widerstandes nennt und in absehbarer Zeit die dritte Broschüre mit Erfahrungsberichten herausgibt. Sie sind die neuen Zeitzeugen: denn sie kennen die Erlebnisse ihrer Eltern und sie wissen auch über die 2. Verfolgung ihrer Eltern in der Nachkriegszeit zu berichten. Die Geschichte der unmittelbaren Nachkriegszeit, die 1950er Jahre ist auch noch eine andere Geschichte als die des Wirtschaftswunders.

Und auch aktuell erleben wir, daß unser Engagement nicht nur geschätzt wird. „Die VVN-BdA ist die bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus. Sie arbeitet mit offen linksextremistischen Kräften zusammen. In der VVN-BdA wirdnach wie vor ein kommunistisch orientierter Antifaschismus verfolgt.Diese Form des Antifaschismus dient nicht nur dem Kampf gegen den Rechtsextremismus. Vielmehr werden alle nicht-marxistischen Systeme –also auch die parlamentarische Demokratie – als potenziell faschistisch,zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus betrachtet, die es zu bekämpfen gilt.“ – Seite 223, Verfassungsschutzbericht Bayern 2017, Rubrik Linksextremismus. Diese ungeheuerliche Einschätzung des bayrischen Verfassungsschutzes bedeutet, dass die VVN die demokratische Gesellschaft als Vorstufe zur faschistischen ansieht. Wir verteidigen die demokratischen Grundlagen gegen die immer bedrohlicheren faschistischen Umtriebe in diesem Land. Und zwar im Bündnis mit allen demokratischen Gruppen und Vereinigungen. Es ist ausgemachter und böswilliger Blödsinn, daß wir die Demokratie als Vorstufe zum Faschismus betrachten. Das Gegenteil trifft zu: Gemeinsam mit vielen anderen wehren wir uns gegen den Abbau demokratischer Rechte. In einem Gutachten des hessischen Verfassungsschutzes wird zudem der Schwur von Buchenwald mit falschen Zitaten als Beleg für diese Einschätzung benannt.

Landessprecher der VVN-BdA NRW, Jochen Vogler, in der Gedenkhalle Oberhausen am 15.02.2019.

Was kümmert uns aber, was die CSU in ihren Verfassungsschutzbericht schreibt und was die Hessen-Koalition für Ungeheuerlichkeiten.ihres VS-Amtes duldet? Wir mussten leider feststellen, dass Behörden in unserem Land von den rechtskonservativ regierten Bayern und Hessen abschreiben. Der Eintrag der VVN im bayrischen Verfassungsschutzbericht dient nun dazu, unserer Landesvereinigung und einigen eigenständigen Kreisvereinigungen in NRW die Gemeinnützigkeit streitig machen zu wollen. Neben allen Anforderungen, denen wir uns verpflichtet fühlen, müssen wir uns nun auch dieser Zumutung erwehren.

Angesichts von fortgesetzten Nazi-Umtrieben, angesichts der Tatsache, daß eine offen rassistische Partei inzwischen auch über parlamentarischen Einfluß im Bundestag und in allen Länderparlamenten verfügt und damit an bedeutenden finanziellen Mitteln beteiligt ist, ist antifaschistisches Engagement in dieser Gesellschaft weiterhin dringend erforderlich. Denn: „1933 wäre verhindert worden, wenn alle Hitlergegner die Einheitsfront geschaffen hätten. Dass sie nicht zustande kam, dafür gab es für die Hitlergegner nur eine einzige Entschuldigung. Sie hatten keine Erfahrung, was Faschismus bedeutet, wenn er einmal an der Macht ist. Aber heute haben wir alle diese Erfahrung. Für alle zukünftigen Generationen gibt es keine Entschuldigung mehr, wenn sie den Faschismus nicht verhindern.“

Diese Mahnung hinterließ uns Peter Gingold, der als jüdischer Nazigegner aus Deutschland vertrieben wurde und in Frankreich in der Resistance kämpfte.

Es bleibt noch viel zu tun für die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln und für eine Welt des Friedens und der Freiheit.

Quelle:

VVN-BdA Landesvereinigung Nordrhein-Westfalen