Von der »Freiwilligkeit« der Sonntagsarbeit

Dreißig Minuten Pause. Mikrowellen-Essen, dem Kopf eine Pause zu gönnen. Viel Zeit ist das nicht, doch es muß weitergehen. Das Personal ist knapp, aber gerade genug, um den Laden am Laufen zu halten. Abends ins Bett fallen, um anderntags den nächsten Arbeitsmarathon zu bewältigen. An Urlaub ist nicht zu denken, nur wenn er irgendwann abgebaut werden muß, werden die Angestellten nach Hause geschickt, um ihn abzuhocken. Freizeitausgleich für Sonntage gibt es in der Woche, wenn der Partner arbeitet und die Kinder in der Schule sind.

Hier sind wir mittendrin in Luxemburg, genauer gesagt, im Handelssektor. Die Dreistigkeit, mit der hier über die Köpfe des Personals hinweg entschieden wird, ist kaum zu überbieten. Der rezent bekannteste Fall ist wohl Carrefour in Esch, wo am ersten Weihnachtstag aufgesperrt wurde.

Da rotieren in manchen Betrieben die Beschäftigten, machen die Arbeit von zwei oder drei Personen. Der Frust ist groß, doch die Angst noch größer. Keiner traut sich aufzumucken, man muß ja froh sein, seine Stelle zu haben. Auch eher erstaunt dürften diese Menschen darauf reagieren, wenn ein Direktionsmitglied der Handelskammer CLC im Radio 100,7 verkündet, es gebe mit der Sonntagsarbeit kein Problem, da sie auf 4 Stunden beschränkt sei und, jetzt kommt’s: freiwillig sei. Dieses Freiwillig ist eine immer wieder vom Patronat des Sektors gestreute urbane Legende, die in den allermeisten Fällen schlicht und ergreifend nicht stimmt. In einem lohnabhängigen Arbeitsverhältnis gibt es keine Freiwilligkeit.

Bekannt ist, daß die neoliberale Regierung kein allzu großes Interesse zeigt, sich hier einzumischen. Die Handelsföderation, die einerseits hinter jeder Ecke kommunistische Umtriebe wittert, wenn von stärkerer Preiskontrolle die Rede ist, jammert auf der anderen Seite, die Menschen würden ihre Kaufkraft ins Ausland tragen und zieht den Schluß, weil die Geschäfte dort länger offen seien und die Personalkosten in Luxemburg konkurrenzfähigere Preise verhinderten. Um mit dem Onlinehandel und den Geschäften in der Grenzregion mithalten zu können, sollte vielleicht an der Produktpalette gearbeitet werden, anstatt an den Öffnungszeiten.

Schlecht oder gar unbezahlte Überstunden sowie künstliche Personalknappheit bringen zwar dem Unternehmer mehr ein, schaden aber der Kaufkraft und Gesundheit des Beschäftigten. Obwohl der Rubel rollt, wird gejammert, daß sich die Balken biegen, auch wenn die CSL insbesondere den großen Handelsriesen immer wieder vorrechnet, daß die Lohnstückkosten so groß sind wie nirgends in der EU. Und diese Handelsriesen sind es, welche die Ausweitung der Öffnungszeiten durchpeitschen wollen, auch gegen die Interessen kleiner und mittlerer Betriebe, die dann nicht mitziehen können und die vielleicht auch eine andere Personalpolitik machen.

Kein Recht auf Privatleben, Gesundheit, Familie oder Kino mit Freunden. Schlechte Entlohnung und dauernder Streß. Fehlt eigentlich nur noch, daß die Leute im Dezember in den Läden angekettet werden, damit kein Verkäufer auf die Idee kommt, das »Fest der Liebe« gelte auch für ihn. Um diesen Entwicklungen in Richtung einer Dienstleistungs-Kaste von Menschen, die zu mickrigen Löhnen immer verfügbar sein müssen, entgegenzuwirken, ist es auch wichtig, die Gewerkschaften bei den Sozialwahlen und Betriebsratswahlen in diesem Frühjahr zu unterstützen.

Christoph Kühnemund

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek