Ein Jahr »Hau-Ab-Gesetz II«: Was hat sich getan?

Am 07. Juni 2019 wur­den mit dem »Zwei­ten Hau-Ab-Gesetz« im Rah­men des Migra­ti­ons­pa­kets mas­si­ve Ver­schär­fun­gen für Asyl­su­chen­de ein­ge­führt. Die nega­ti­ven Fol­gen sind in der Pra­xis bereits deut­lich spür­bar und haben sich durch die welt­wei­te Pan­de­mie noch ver­schärft.

Ein Jahr nach dem Inkraft­tre­ten des beson­ders umstrit­te­nen »Zwei­ten Hau-Ab-Geset­zes« (Zwei­tes Gesetz zur bes­se­ren Durch­set­zung der Aus­rei­se­pflicht) zieht PRO ASYL Bilanz: Das Gesetz hat zu einer mas­si­ven Ent­rech­tung von Geflüch­te­ten bei­getra­gen, die gera­de in der Pan­de­mie­zeit fata­le Wir­kun­gen ent­fal­tet. Das Gesetz zwingt Schutz­su­chen­de mona­te­lang in beeng­te Wohn­ver­hält­nis­se in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen und erhöht den Abschie­be­druck ins Maß­lo­se. Es hält die Men­schen in einem Schwe­be­zu­stand und ver­hin­dert das Ankom­men. „Das Hau-Ab-Gesetz ist der staat­li­cher Kon­tra­punkt zum berühm­ten Satz »Wir schaf­fen das«. Der zivil­ge­sell­schaft­li­chen Will­kom­mens­kul­tur wird somit ein Rie­gel vor­ge­scho­ben“, kri­ti­siert Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL.

PRO ASYL for­dert einen Stopp der rigo­ro­sen Abschie­bungs­po­li­tik, die selbst vor Abschie­bun­gen in Kriegs­län­der wie Afgha­ni­stan nicht zurück­schreckt und die gesund­heit­li­chen Gefah­ren auf­grund der Coro­na-Pan­de­mie außer Acht lässt. Gleich­wohl wer­den aber schon jetzt Abschie­bun­gen in Län­der wie Paki­stan, Ser­bi­en oder die Repu­blik Mol­dau for­ciert – ohne Rück­sicht­nah­me auf die Coro­na-Situa­ti­on vor Ort. Für völ­lig abwe­gig hält es PRO ASYL eben­so inner­eu­ro­päi­sche Abschie­bun­gen etwa nach Ita­li­en oder Grie­chen­land und ande­re Ein­rei­se­staa­ten unver­än­dert anzu­stre­ben. Schon vor Coro­na sind die Betrof­fe­nen dort in Elend und Per­spek­tiv­lo­sig­keit gelan­det.

Das Fest­hal­ten von Tau­sen­den in Sam­mel­un­ter­künf­ten ist ange­sichts der Coro­na-Pan­de­mie ver­ant­wor­tungs­los. PRO ASYL hat­te bereits im März umfang­rei­che For­de­run­gen zu den Fol­gen der Coro­na-Pan­de­mie ver­öf­fent­licht. Bis zu 18 Mona­te leben auf­grund des Geset­zes jetzt noch mehr Men­schen als zuvor in gro­ßen Mas­sen­un­ter­künf­ten. Sie fürch­ten die Anste­ckung mit dem Coro­na-Virus und die Abschie­bung in Her­kunfts- oder EU-Staa­ten.

Ver­län­ger­ter Auf­ent­halt in Mas­sen­un­ter­künf­ten – trotz Pan­de­mie

Mit dem »Zwei­ten Hau-Ab-Gesetz« wur­de die Ver­pflich­tung zur Wohn­sitz­nah­me in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen von 6 auf 18 Mona­te aus­ge­wei­tet. Das hat dazu geführt, dass sich seit August 2019 Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen und AnkER-zen­tren ver­stärkt zu Mas­sen­un­ter­künf­ten ent­wi­ckelt haben. Aus Hes­sen wur­de bereits im Novem­ber 2019 berich­tet, dass fast kei­ne Asyl­su­chen­den mehr aus der Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung auf die Kom­mu­nen ver­teilt wer­den und die Zahl der Per­so­nen in der Erst­auf­nah­me um 1.000 Men­schen gestie­gen ist – trotz gleich­zei­tig sin­ken­der Anzahl von Asyl­su­chen­den.

Schon unter nor­ma­len Bedin­gun­gen ist die­se Mas­sen­un­ter­brin­gung grund­sätz­lich abzu­leh­nen. Men­schen ste­hen täg­lich in Schlan­gen an der Essens- oder Hygie­ne­mit­tel­aus­ga­ben an, sie müs­sen sich mit frem­den Men­schen auf engem Raum ein Zim­mer und die Sani­tär­an­la­gen tei­len, der Geräusch­pe­gel ist hoch und es gibt in der Regel kaum Schutz­räu­me für Kin­der und vul­nerable Per­so­nen­grup­pen. Die ein­ge­tre­te­ne Covid 19-Pan­de­mie ver­schärft die­se Situa­ti­on wei­ter, wie eine ers­te Public Health-Stu­die zum Coro­na-Virus in Flücht­lings­un­ter­künf­ten zeigt. Dem­nach wur­de Ende Mai ein Aus­brei­tungs­ri­si­ko des Virus von 17% in Flücht­lings­un­ter­künf­ten fest­ge­stellt, was mit den Coro­na-Hot­spots auf Kreuz­fahrt­schif­fen ver­gleich­bar ist.

Die Stu­die pro­ble­ma­ti­siert zudem, die ange­sichts des Auf­tre­tens von COVID 19 ver­häng­ten Voll­qua­ran­tä­nen in 30 von 42 Sam­mel­un­ter­künf­ten, d.h. Aus­gangs­sper­ren für alle Bewohner*innen, auch für die Gesun­den, die damit einer erhöh­ten Gefahr der Anste­ckung aus­ge­setzt sind. So kommt es inner­halb der Ein­rich­tun­gen zu immer neu­en Infi­zie­run­gen, was zu Ket­ten­qua­ran­tä­nen führ­te. Im bay­ri­schen AnkER-Zen­trum Geld­ers­heim dau­er­te die Qua­ran­tä­ne zwei Mona­te. Obwohl die Expert*innen der Stu­die und das Robert Koch-Insti­tut von Voll­qua­ran­tä­nen drin­gend abra­ten, wird auch im Som­mer 2020 immer wie­der von sol­chen berich­tet (z. B. im Juli in Bran­den­burg).

Abschie­bung um jeden Preis

Der Fokus des Hau-Ab-Geset­zes lag auf dem Bereich der Abschie­bung. Mit ver­schie­de­nen Maß­nah­men soll­ten die Abschie­bungs­zah­len, an denen in Deutsch­land mitt­ler­wei­le anschei­nend eine erfolg­rei­che Asyl­po­li­tik gemes­sen wird, in die Höhe getrie­ben wer­den.

Durch die Coro­na-Pan­de­mie kamen die Abschie­bungs­ma­schi­ne­rie ab März 2020 zunächst fast zum Erlie­gen: Die meis­ten Her­kunfts­län­der schlos­sen ihre Gren­zen und mach­ten ihre Flug­hä­fen dicht. Nur eini­ge deut­sche Behör­den ver­such­ten selbst in die­ser Situa­ti­on ver­bis­sen Abschie­bun­gen durch­zu­füh­ren, wie der der Ver­such zwei Frau­en per extra gebuch­tem Char­ter­flie­ger im März in das Coro­na-Kri­sen­land Iran oder, eben­falls per Char­ter­flug, eine ein­zel­ne Frau Anfang April nach Togo abzu­schie­ben zeig­ten.

Obwohl welt­weit die Infek­ti­ons­zah­len immer noch stei­gen, wird aber schon wie­der in Län­der wie Ser­bi­en, Paki­stan und in die Repu­blik Mol­dau abge­scho­ben – ohne Rück­sicht auf die gesund­heits­ge­fähr­den­de und für Rück­keh­rer exis­tenz­be­dro­hen­de Gesamt­si­tua­ti­on vor Ort. Auch in euro­päi­sche Staa­ten wird wie­der abge­scho­ben, selbst nach Ita­li­en und Spa­ni­en, wäh­rend für Tou­ris­ten gleich­zei­tig Rei­se­war­nun­gen aus­ge­spro­chen wer­den. Dabei ist für die meis­ten Betrof­fe­nen die Frist, in der sie in einen EU-Staat über­stellt wer­den kön­nen, längst abge­lau­fen. Aber Deutsch­land pocht auf die Sicht­wei­se, dass die Dub­lin-Fris­ten durch den pan­de­mie­be­ding­ten Abschie­bungs­stopp unter­bro­chen wor­den sei­en und nun von vor­ne lau­fen – also wei­ter abge­scho­ben wer­den kann.

Erleich­te­rung von Abschie­be­haft und Ver­schlech­te­rung der Unter­brin­gung

Seit dem »Zwei­ten Hau-Ab-Gesetz« wur­den ver­schie­de­ne Rege­lun­gen zur Abschie­bungs­haft ver­schärft, um die Inhaft­nah­me zu erleich­tern. Bis Ende Juni 2022 kön­nen seit­dem Per­so­nen zum Zweck der Abschie­bung in nor­ma­len Gefäng­nis­sen – getrennt von den Straf­ge­fan­ge­nen – unter­ge­bracht wer­den. Der Euro­päi­sche Gerichts­hof hat­te 2014 in einem Ver­fah­ren zu Deutsch­land fest­ge­stellt, dass eine Unter­brin­gung in der glei­chen Ein­rich­tung nicht euro­pa­rechts­kon­form ist, da Abschie­bungs­haft kei­ne Bestra­fung ist und dem­entspre­chend auch die Umstän­de der Haft bes­ser und weni­ger streng sein müs­sen. Von die­ser euro­pa­rechts­wid­ri­gen Mög­lich­keit machen bis­her die Bun­des­län­der Meck­len­burg-Vor­pom­mern und Sach­sen-Anhalt Gebrauch.

Quelle:

Pro Asyl